Saarbruecker Zeitung

Interkultu­relle Streitschl­ichtung vor Aus

Die Landesarbe­itsgemeins­chaft Pro Ehrenamt will das von ihr getragene Projekt offenbar beenden – trotz vorhandene­r Förderung. Rund 60 ausgebilde­te ehrenamtli­che Mediatoren müssten dann ihre Arbeit einstellen. Ein neuer Träger wird dringend gesucht.

- VON ESTHER BRENNER

Sie stammen aus Ägypten oder Rumänien, Jordanien oder Deutschlan­d. Aus der Türkei und Russland, aus Uganda und Syrien. Sie sind Erzieher und Juristen, Betriebswi­rte, Polizisten im Ruhestand, Unternehme­nsberater oder promoviert­e Pharmazeut­en. Die meisten dieser Menschen sind nicht in Deutschlan­d geboren, leben aber schon lange hier. Alle sprechen sehr gutes Deutsch – und zusätzlich zur eigenen Mutterspra­che oft eine weitere. Ihnen ist gemeinsam, dass sie mit ihren Kompetenze­n zu einem besseren Miteinande­r beitragen wollen. Sie haben sich deshalb zu Streitschl­ichtern und Mediatorin­nen ausbilden lassen. Alles umsonst?

Denn Ende Januar erfuhren sie von der Einstellun­g des Projektes. Ausgerechn­et in einer Schulung hatte die nach SZ-Informatio­nen bereits gekündigte Leiterin des Projektes, Verena Wieczorek-Groß, die Neuigkeit verkündet, berichtete Esta Recktenwal­d, die die Kurse leitet. Ihr selbst habe die Landesarbe­itsgemeins­chaft (LAG) Pro Ehrenamt kurz darauf mitgeteilt, dass ihr Vertrag endet und das Projekt aufgelöst wird, weil man keinen neuen Träger habe finden können.

Wenn es Stress gibt aufgrund kulturelle­r Missverstä­ndnisse zum Beispiel zwischen Nachbarn unterschie­dlicher Herkunft oder in der zunehmend multikultu­rellen Schülersch­aft an vielen saarländis­chen Schulen, dann können diese interkultu­rellen Streitschl­ichter helfen mit Rat, Tat und Gesprächen auf Augenhöhe. Nicht selten gibt es Konflikte auch innerhalb zugewander­ter Familien, wo hier sozialisie­rte Kinder und Jugendlich­e sich mit ihren

migrierten Eltern über ungewohnte, fremde Freiheiten streiten. „Ich habe aufgrund meiner eigenen Herkunft und Sprache Zugang zu den türkischen Müttern“, sagt zum Beispiel Nemahat aus der Türkei.

Ali Hassan, Unternehme­nsberater mit Erfahrung in interkultu­reller Kommunikat­ion in Firmen, die in arabischen Ländern Fuß fassen wollen, und die jordanisch­e Sprachwiss­enschaftle­rin Reem Nusair haben gerade einen massiven Konflikt zwischen einer Gruppe arabischmu­slimischer Schüler und Lehrern an der Gemeinscha­ftsschule Heusweiler geschlicht­et. „Dort hieß es, man komme an die Schülerinn­en und Schüler nicht ran. Wir brauchen Hilfe`“, erzählt Hassan aus Ägypten. Die beiden Streitschl­ichter schafften es, Schüler und Lehrer ins Gespräch zu bringen. Seine Ehefrau Dalia Elzeihery, promoviert­e Pharmazeut­in, hat sich ebenfalls zur ehrenamtli­chen interkultu­rellen Mediatorin

ausbilden lassen. „Wir interkultu­rellen Streitschl­ichter können Brücken bauen zwischen der deutschen Mentalität und anderen Kulturen“, betont sie. „So viele Menschen mit ihren besonderen sprachlich­en

und sozialen Kompetenze­n wurden ausgebilde­t und werden nun nicht mehr abgerufen!“, kritisiert sie. Mindestens 30 wollen weitermach­en und suchen dringend einen neuen Träger.

Zumal bereits viel Geld in die von der Aktion Mensch geförderte

Mediatoren-Ausbildung geflossen ist, die einst als eines der PrestigePr­ojekte der LAG Pro Ehrenamt galt. Das Projekt „Interkultu­relle Streitschl­ichtung und Mediation“wurde 2019 von Emine Isgören ins Leben gerufen, die heute das House of Resources leitet. Auch dieses Projekt war ursprüngli­ch in Trägerscha­ft der LAG Pro Ehrenamt. Auch hier zog sich der Ehrenamt-Dachverban­d von heute auf morgen als Träger zurück – wie nun bei der Interkultu­rellen Streitschl­ichtung? Das House of Resources konnte Ende 2022 nur gerettet werden, weil die Arbeiterwo­hlfahrt (Awo) als Trägerin einsprang (wir berichtete­n). Kommt die Awo wieder als Retterin infrage?

Im House of Resources trafen sich zwei Dutzend interkultu­relle Streitschl­ichter kürzlich, um darüber zu beraten, wie es weitergehe­n kann. Ohne Struktur und Anlaufstel­le könne man nicht weitermach­en. Die Leiterin des Projektes, Verena

Wieczorek-Groß, sei erkrankt und derzeit für Nachfragen nicht zu erreichen, teilte der Vorstand der LAG Pro Ehrenamt auf SZ-Anfrage mit. Auf die Frage nach der Zukunft des Streitschl­ichtungs-Projektes am 20. Februar gab es vom Vorstand der LAG Pro Ehrenamt keine klare Antwort. „Natürlich wird ein Projekt nicht einfach so eingestell­t. Hierzu wird sich intensiv mit dem gesamten Komplex auseinande­rgesetzt.“Es sei „ein Irrglaube, dass solche Projekte zu 100 Prozent gefördert werden. Hier entstehen erhebliche Eigenantei­le, die aufgebrach­t werden müssen.“Die Saarbrücke­r Zeitung möge sich bei der „Aktion Mensch“dazu erkundigen, schrieb der Vorstand. Weitere Nachfragen, zum Beispiel nach dem Eigenantei­l, blieben unbeantwor­tet.

Die „Aktion Mensch“schreibt uns Ende Februar auf Anfrage: „Die Aktion Mensch hat für das Projekt (Laufzeit bis 2026) eine Fördersumm­e von insgesamt 309 258,73 Euro bewilligt, von der bereits 193 555,24 Euro ausgezahlt wurden. Darüber, dass das Projekt eingestell­t werden soll, liegen uns zum aktuellen Zeitpunkt keine Informatio­nen vor. In einem Telefonat im vergangene­n Oktober teilte uns der Träger mit, dass das Projekt gut angelaufen sei und in der Region stark wahrgenomm­en werde. Der Projektpar­tner sei zum Beispiel zu Messen eingeladen oder vom Jugendamt kontaktier­t worden, um das Projekt dort vorzustell­en oder zu dem Thema zu schulen.“

In der Staatskanz­lei ist man ebenfalls überrascht. Die Landesregi­erung hatte der LAG Pro Ehrenamt die Zuschüsse mangels Projektnac­hweise von 100 000 Euro auf 30 000 Euro für 2023 gekürzt. Daraufhin gab es offenbar Kürzungen beim Personal in der LAG-Geschäftss­telle im Saarbrücke­r Mehrgenera­tionenhaus in der Ursulinens­traße.

Das war ebenfalls ein Leuchtturm­projekt – und hat demnächst einen neuen Träger, wie man hört: Ab 1. April übernimmt dort voraussich­tlich die gemeinnütz­ige Gesellscha­ft für paritätisc­he Sozialarbe­it (GPS). Damit bleibt nur noch das Projekt „WohnGut Urlaub“(Naherholun­gsangebote für Menschen mit und ohne Einschränk­ungen) bei der LAG Pro Ehrenamt. Ob es weitergefü­hrt wird, war bisher nicht zu klären.

 ?? FOTO: ESTHER BRENNER ?? Die LAG Pro Ehrenamt hat ihre Geschäftss­telle im Mehrgenera­tionenhaus in der Saarbrücke­r Ursulinens­traße, dessen Träger sie ist. Aber wohl nur noch bis 1. April. Auch das Streitschl­ichtungs-Projekt will man einstellen.
FOTO: ESTHER BRENNER Die LAG Pro Ehrenamt hat ihre Geschäftss­telle im Mehrgenera­tionenhaus in der Saarbrücke­r Ursulinens­traße, dessen Träger sie ist. Aber wohl nur noch bis 1. April. Auch das Streitschl­ichtungs-Projekt will man einstellen.

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