Habeck eröffnet Firmen-Poker um Klima-Hilfe
Der grüne Wirtschaftsminister gibt den Startschuss für die erste Bieterrunde der Klimaschutzverträge. Sie sind ein wichtiges Instrument, um die besonders energieintensive Industrie klimaneutral zu machen. Die Wirtschaft steht massiv unter Druck und brauch
In der Problembeschreibung sind sie sich einig. „Wir haben eine akute Wachstumsschwäche“, sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Montagabend im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Hausherr Robert Habeck von den Grünen hatte die wirtschaftliche Lage mit dem vorhergesagten Mini-Wachstum von 0,2 Prozent dieses Jahr kürzlich als „dramatisch schlecht“bezeichnet.
Habeck und Kretschmer, deren politische Schnittmengen ansonsten überschaubar sind, diskutieren an diesem Abend über wirtschaftliche Transformation, über „Wertschöpfung und Wertschätzung“. Schon bei der Beschreibung der Ursachen für die wirtschaftliche Misere treten die Differenzen zwischen den beiden zutage. Ganz zu schweigen von der Frage nach den Wegen, die aus dem Tal herausführen sollen.
So kritisiert Kretschmer eine „sehr unkalkulierbare Energiepolitik“, während Habeck auf die krisenbedingten Schocks und die befürchtete Notlage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verweist. Kretschmer bemängelt politische
Entscheidungen, die zusätzliche bürokratische Lasten erzeugen würden. Habeck kontert: Beim Bürokratieabbau sei vieles Ländersache, etwa bei der Bauordnung oder der Genehmigung von Windkraftanlagen.
Streitpunkt Lieferkettengesetz: Kretschmer will das Vorhaben in dieser Phase „abschaffen“. Jetzt müsse dieses Land erst wieder „Wind unter die Flügel“bekommen, so der CDUPolitiker. Habeck erwidert, dass man es nicht grundsätzlich falsch finden könne, dass Produkte nicht mit Kinder- oder Sklavenarbeit hergestellt werden, auch wenn er sich eine „gewisse Verschlankung“beim Lieferkettengesetz durchaus vorstellen kann. So weit, so kontrovers.
Doch wie kann es gelingen, die Transformation der Wirtschaft voranzutreiben und Unternehmen dabei zu unterstützen? Habeck unternimmt am Dienstag einen konkreten Schritt, indem er den Startschuss für das Gebotsverfahren für die sogenannten Klimaschutzverträge gibt. Das Wirtschaftsministerium hält dafür einen „mittleren zweistelligen Milliardenbetrag“bereit, der in den kommenden Jahren allmählich abfließen soll, so Habeck.
Diese Verträge, die zwischen dem
Staat und besonders energieintensiven Unternehmen geschlossen werden, sollen die Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsanlagen fördern. Mit den Klimaschutzverträgen stelle man sicher, dass die Transformation in den Unternehmen gelinge, sagt Habeck am Dienstag. „Wir sichern Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit und schützen das Klima: Allein die geförderten Anlagen aus der ersten Gebotsrunde werden mehrere Millionen Tonnen CO2 einsparen.“
Konkret soll der Staat die Mehrkosten für klimafreundliche Produktionsverfahren, wenn diese derzeit noch nicht rentabel sind, im Vergleich zu konventionellen Verfahren ausgleichen. Der Ausgleich richtet sich an energieintensive Branchen wie die Chemie-, Stahl-, Papier- oder Glasindustrie. Gefördert werden können etwa der Bau von Schmelzwannen für die Glasproduktion, die mit Strom laufen, oder die Umstellung auf Direktreduktionsanlagen für die Stahlproduktion, die mit Wasserstoff betrieben werden.
Vier Milliarden Euro sind allein für die erste Ausschreibungsrunde vorgesehen. Die Klimaschutzverträge sollen über 15 Jahre laufen und den Unternehmen damit Planungssicherheit geben. Das Geld soll schrittweise über die Vertragslaufzeit ausgezahlt werden. Um in diesen Genuss zu kommen, müssen sich die Unternehmen aber zunächst in einem Bieterwettbewerb durchsetzen. Dafür bieten sie mit einem „Dekarbonisierungspreis“, so Habeck.
Unternehmen bieten also darauf, ihre Produktion zu einem möglichst günstigen Preis CO2-neutral zu machen. „Wir fördern nur das, was wirklich gefördert werden muss“, betont der Grünen-Politiker. Insgesamt soll es vier Ausschreibungsrunden geben, eine weitere soll im Herbst dieses Jahres starten, zwei im kommenden Jahr.
Die Klimaschutzverträge sollen nicht nur großen Unternehmen zustehen sein, sondern auch Unternehmen mit kleineren Produktionsanlagen offenstehen. Die Referenzanlage muss zehn Kilotonnen CO2 pro Jahr ausstoßen, was mittelständische Unternehmen aus der Glasund Papierindustrie erreichen.
Die EU-Kommission hatte bereits Mitte Februar ihr Ok für die Klimaschutzverträge gegeben. Größere Staatsbeihilfen müssen von der EU-Kommission genehmigt werden, um Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU zu vermeiden. Die vier Milliarden Euro der ersten Ausschreibungsrunde speisen sich zum Teil aus einem EU-Sondertopf.
Bei der Diskussionsrunde am Montagabend spielen die Klimaschutzverträge noch keine Rolle. Kretschmer betont, dass das vorhergesagte 0,2 Prozent-Wachstum für dieses Jahr der „Verteilungsspielraum“sei, mit dem man in die Verteidigung investieren, den Umbau der Energiewirtschaft bewerkstelligen, Innovationen anreizen und soziale Sicherungssysteme stabilisieren müsse. Kurzum: Die Herausforderungen sind groß, die Mittel knapp. Auch nach den Klimaschutzverträgen bleibt also genug zu tun.
„Allein die geförderten Anlagen aus der ersten Gebotsrunde werden mehrere Millionen Tonnen CO2 einsparen.“Robert Habeck (Grüne) Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz