EU will in vier Jahren nur noch emissionsfreie Neubauten
Unwuchten sind aus der EU-Gebäuderichtlinie in der nun beschlossenen Fassung verschwunden. Doch es bleiben viele Vorgaben, die Anstrengungen einfordern.
Die Gebäudeeffizienzrichtlinie der EU hat schon viele Schlagzeilen geliefert. Von „Heizhammer“bis „Zwangssanierung“, von Warnungen vor überschuldeten Hausbesitzern bis Schreckensszenarien unfinanzierbarer Mietpreissteigerungen.
Was am Dienstag in Straßburg in einer Schlussabstimmung letztlich EU-Recht wird, lässt die meisten dieser Befürchtungen ins Leere laufen. In den Verhandlungen ist viel Zwang herausgenommen, viel flexible Umsetzung je nach nationalen und örtlichen Bedingungen hineingekommen. Und doch tut es den Abgeordneten sofort in den Ohren weh.
Einer der Richtlinien-Gegner, der italienische Rechtspopulist Angelo Ciocca von der Lega, greift als Kommentar zum Abstimmungsergebnis von 370 Ja- gegen 199-Nein-Stimmen zur Trillerpfeife, dass es nur so schmerzt.
Die Empörung ist groß über den Politiker, der nach Kurzinterventionen seiner gestressten Kollegen wiederholt mehr mit Aktivismus als mit parlamentarischer Arbeit auffalle, bis die finnische Sitzungspräsidentin Heidi Hautala den Störer rauswerfen lässt. Aber ganz ausgeschlossen ist nicht, dass den EU-Gesetzgebern die Richtlinie nicht nur aktivistisch noch mal um die Ohren fliegt.
Die CDU- und CSU-Abgeordneten haben sich – im Gegensatz zu ihren EVP-Fraktionskollegen – für ein Nein entschieden. „Zu detailverliebt“, befindet ihre Sprecherin Angelika Niebler. Neue Vorgaben für Fahrradstellplätze und die Vorverkabelung für Ladesäulen seien auf europäischer Ebene in diesem Ausmaß nicht nötig. Zudem kriecht den Konservativen ein Verdacht durch den Kopf: Kommt es am Ende doch noch zu einer faktischen Sanierungspflicht für gewerblich genutzte Gebäude durch die Hintertür?
Schließlich gibt es für Nicht-Wohngebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz immer noch klare zeitliche Vorgaben zur umfangreichen Sanierung. Dabei ist nach Überzeugung der Unionsabgeordneten die Richtlinie gar nicht nötig, da der europäische Emissionshandel bereits auf Gebäude ausgeweitet worden sei, um deren Dekarbonisierung zu erreichen.
199 Nein-Stimmen sind zwar weit entfernt von einem Scheitern der Richtlinie, wie es am Wochenende zwischenzeitlich befürchtet worden war. Aber sie machen das Ausmaß der Zweifel deutlich. Wenn auch der Ministerrat in Kürze dem ausgehandelten Kompromiss zustimmt, müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht überführen. Spätestens 2026 wissen Hausbesitzer in Deutschland also genau, was auf sie zukommt.
Doch schon jetzt ist klar, dass es zeitlich ziemlich robust zugehen wird. Denn bereits weniger als vier Jahre später sollen alle neu gebauten Wohnhäuser grundsätzlich emissionsfrei sein, von Behörden genutzte Bürogebäude bereits weniger als zwei Jahre später.
Unterm Strich müssen die Mitgliedstaaten durch diverse Vorgaben erreichen, dass der Primärenergieverbrauch aller Wohngebäude bis 2030 um mindestens 16 Prozent niedriger liegt, bis 2035 um mindestens 20 bis 22 Prozent.
Die 16-Prozent-Minus-Vorgabe taucht noch ein weiteres Mal auf und dürfte es auch hier eng werden lassen: Bis 2030 müssen 16 Prozent der am schlechtesten gedämmten Nichtwohngebäude saniert sein, bis 2033 sogar 26 Prozent. Wer den Prozess von Planung, Mittelbeantragung, Ausschreibung, Vergabe und Dauer von Bauarbeiten kennt, wird erahnen, welche gewaltigen HauruckVerpflichtungen auf Behörden und Unternehmen zukommen.
Auch für die Gasheizungsbranche wird es perspektivisch eng. Ab 2025 dürfen mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizkessel nicht mehr subventioniert werden, bis 2040 soll es keine mehr geben. Wer also jetzt noch keinen neuen Kessel hat, muss eine Neuinvestition mit einer typischen Laufzeit von 20 bis 25 Jahren bereits vor deren Ende durch eine weitere neue ersetzen. Allerdings gibt es einen Ausweg über hybride Heizungssysteme, bei denen der Heizkessel etwa mit Solarthermie oder Wärmepumpen kombiniert wird.
Ausnahmen können die Mitgliedstaaten für Kirchen, denkmalgeschützte Gebäude oder andere architektonisch wichtige Bauwerke machen. Auch landwirtschaftlich genutzte Gebäude müssen den strengen Vorgaben nicht unbedingt entsprechen. Doch das liefert nicht die Überschrift, sondern die Notwendigkeit, die EU angesichts der eskalierenden Klimakrise bis 2050 in die Klimaneutralität zu bringen.
Da die Gebäude für 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs stehen und zugleich für 36 Prozent aller CO2-Emissionen, ist für den irischen Grünen, Ciaran Cuffe, den Chefverhandler des Gebäudedossiers, eindeutig, dass die Richtlinie der „Schlussstein“der europäischen Klimaschutzgesetzgebung ist.
Sein Appell an die Abgeordneten wird von einer deutlichen Mehrheit geteilt: Die Gelegenheit zu nutzen „niedrigere Energierechnungen zu unterstützen, den Kampf gegen Energiemangel und die Schaffung Tausender hochwertiger lokaler Jobs in ganz Europa“.
Die Zustimmung der deutschen Grünen ist mit einer Erwartung auch an die eigene Bundesregierung verbunden: Sie müsse jetzt dafür sorgen, Eigentümer und Mieter zu entlasten. „Schon jetzt leiden arme Menschen am stärksten unter hohen Heizkosten, weil ihre Häuser schlecht gedämmt sind“, macht Grünen-Klimaexperte Michael Bloss klar.