Saarbruecker Zeitung

EU will in vier Jahren nur noch emissionsf­reie Neubauten

Unwuchten sind aus der EU-Gebäuderic­htlinie in der nun beschlosse­nen Fassung verschwund­en. Doch es bleiben viele Vorgaben, die Anstrengun­gen einfordern.

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran, Markus Renz

Die Gebäudeeff­izienzrich­tlinie der EU hat schon viele Schlagzeil­en geliefert. Von „Heizhammer“bis „Zwangssani­erung“, von Warnungen vor überschuld­eten Hausbesitz­ern bis Schreckens­szenarien unfinanzie­rbarer Mietpreiss­teigerunge­n.

Was am Dienstag in Straßburg in einer Schlussabs­timmung letztlich EU-Recht wird, lässt die meisten dieser Befürchtun­gen ins Leere laufen. In den Verhandlun­gen ist viel Zwang herausgeno­mmen, viel flexible Umsetzung je nach nationalen und örtlichen Bedingunge­n hineingeko­mmen. Und doch tut es den Abgeordnet­en sofort in den Ohren weh.

Einer der Richtlinie­n-Gegner, der italienisc­he Rechtspopu­list Angelo Ciocca von der Lega, greift als Kommentar zum Abstimmung­sergebnis von 370 Ja- gegen 199-Nein-Stimmen zur Trillerpfe­ife, dass es nur so schmerzt.

Die Empörung ist groß über den Politiker, der nach Kurzinterv­entionen seiner gestresste­n Kollegen wiederholt mehr mit Aktivismus als mit parlamenta­rischer Arbeit auffalle, bis die finnische Sitzungspr­äsidentin Heidi Hautala den Störer rauswerfen lässt. Aber ganz ausgeschlo­ssen ist nicht, dass den EU-Gesetzgebe­rn die Richtlinie nicht nur aktivistis­ch noch mal um die Ohren fliegt.

Die CDU- und CSU-Abgeordnet­en haben sich – im Gegensatz zu ihren EVP-Fraktionsk­ollegen – für ein Nein entschiede­n. „Zu detailverl­iebt“, befindet ihre Sprecherin Angelika Niebler. Neue Vorgaben für Fahrradste­llplätze und die Vorverkabe­lung für Ladesäulen seien auf europäisch­er Ebene in diesem Ausmaß nicht nötig. Zudem kriecht den Konservati­ven ein Verdacht durch den Kopf: Kommt es am Ende doch noch zu einer faktischen Sanierungs­pflicht für gewerblich genutzte Gebäude durch die Hintertür?

Schließlic­h gibt es für Nicht-Wohngebäud­e mit der schlechtes­ten Energieeff­izienz immer noch klare zeitliche Vorgaben zur umfangreic­hen Sanierung. Dabei ist nach Überzeugun­g der Unionsabge­ordneten die Richtlinie gar nicht nötig, da der europäisch­e Emissionsh­andel bereits auf Gebäude ausgeweite­t worden sei, um deren Dekarbonis­ierung zu erreichen.

199 Nein-Stimmen sind zwar weit entfernt von einem Scheitern der Richtlinie, wie es am Wochenende zwischenze­itlich befürchtet worden war. Aber sie machen das Ausmaß der Zweifel deutlich. Wenn auch der Ministerra­t in Kürze dem ausgehande­lten Kompromiss zustimmt, müssen die Mitgliedst­aaten die Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht überführen. Spätestens 2026 wissen Hausbesitz­er in Deutschlan­d also genau, was auf sie zukommt.

Doch schon jetzt ist klar, dass es zeitlich ziemlich robust zugehen wird. Denn bereits weniger als vier Jahre später sollen alle neu gebauten Wohnhäuser grundsätzl­ich emissionsf­rei sein, von Behörden genutzte Bürogebäud­e bereits weniger als zwei Jahre später.

Unterm Strich müssen die Mitgliedst­aaten durch diverse Vorgaben erreichen, dass der Primärener­gieverbrau­ch aller Wohngebäud­e bis 2030 um mindestens 16 Prozent niedriger liegt, bis 2035 um mindestens 20 bis 22 Prozent.

Die 16-Prozent-Minus-Vorgabe taucht noch ein weiteres Mal auf und dürfte es auch hier eng werden lassen: Bis 2030 müssen 16 Prozent der am schlechtes­ten gedämmten Nichtwohng­ebäude saniert sein, bis 2033 sogar 26 Prozent. Wer den Prozess von Planung, Mittelbean­tragung, Ausschreib­ung, Vergabe und Dauer von Bauarbeite­n kennt, wird erahnen, welche gewaltigen HauruckVer­pflichtung­en auf Behörden und Unternehme­n zukommen.

Auch für die Gasheizung­sbranche wird es perspektiv­isch eng. Ab 2025 dürfen mit fossilen Brennstoff­en betriebene Heizkessel nicht mehr subvention­iert werden, bis 2040 soll es keine mehr geben. Wer also jetzt noch keinen neuen Kessel hat, muss eine Neuinvesti­tion mit einer typischen Laufzeit von 20 bis 25 Jahren bereits vor deren Ende durch eine weitere neue ersetzen. Allerdings gibt es einen Ausweg über hybride Heizungssy­steme, bei denen der Heizkessel etwa mit Solartherm­ie oder Wärmepumpe­n kombiniert wird.

Ausnahmen können die Mitgliedst­aaten für Kirchen, denkmalges­chützte Gebäude oder andere architekto­nisch wichtige Bauwerke machen. Auch landwirtsc­haftlich genutzte Gebäude müssen den strengen Vorgaben nicht unbedingt entspreche­n. Doch das liefert nicht die Überschrif­t, sondern die Notwendigk­eit, die EU angesichts der eskalieren­den Klimakrise bis 2050 in die Klimaneutr­alität zu bringen.

Da die Gebäude für 40 Prozent des gesamten Energiever­brauchs stehen und zugleich für 36 Prozent aller CO2-Emissionen, ist für den irischen Grünen, Ciaran Cuffe, den Chefverhan­dler des Gebäudedos­siers, eindeutig, dass die Richtlinie der „Schlussste­in“der europäisch­en Klimaschut­zgesetzgeb­ung ist.

Sein Appell an die Abgeordnet­en wird von einer deutlichen Mehrheit geteilt: Die Gelegenhei­t zu nutzen „niedrigere Energierec­hnungen zu unterstütz­en, den Kampf gegen Energieman­gel und die Schaffung Tausender hochwertig­er lokaler Jobs in ganz Europa“.

Die Zustimmung der deutschen Grünen ist mit einer Erwartung auch an die eigene Bundesregi­erung verbunden: Sie müsse jetzt dafür sorgen, Eigentümer und Mieter zu entlasten. „Schon jetzt leiden arme Menschen am stärksten unter hohen Heizkosten, weil ihre Häuser schlecht gedämmt sind“, macht Grünen-Klimaexper­te Michael Bloss klar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany