Saarbruecker Zeitung

Ein Fehlbarer irritiert mit Plaudereie­n zum Krieg

Mit dem Ratschlagg Richtungg Kiew, die Weiße Fahne zu hissen, hat sich Papst Franziskus Ärger eingehande­lt. An diesem Mittwoch könnte er sich erklären.

- VON CHRISTOPH SATOR

(dpa) Mittwochs immer, wenn es die Gesundheit zulässt, bittet der Papst zur Generalaud­ienz. Morgens gegen neun Uhr kommt Franziskus auf den Petersplat­z, leitet die Messe, spendet seinen Segen und spricht zu den vielen Tausend Gläubigen dann meist auch ein paar Sätze. Ein Routineter­min.

An diesem Mittwoch allerdings, auf den Tag genau elf Jahre nach seiner Wahl, wäre die Audienz für das Oberhaupt von mehr als 1,4 Milliarden Katholiken eine ausgezeich­nete Gelegenhei­t, einige Dinge klarzustel­len, die seit seinem Interview im Schweizer Fernsehen weltweit für Aufregung sorgen.

Insbesonde­re, an wen genau sein Ratschlag ging, nach jetzt schon mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine mit vielen Zehntausen­d Toten die Weiße Fahne zu hissen. Auf jeden Fall ist auch dem Vatikan inzwischen klar, welch' verheerend­es Echo das Interview zur Folge hatte. US-Präsident Joe Biden, Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) – sie alle machten, „bei allem Respekt vor dem Heiligen Vater“, ihre Missbillig­ung deutlich. In Deutschlan­d nannte selbst der christdemo­kratische Partei- und Fraktionsc­hef Friedrich Merz die Äußerungen „grundfalsc­h“. Am größten ist der Ärger aber naturgemäß in der Ukraine: Präsident Wolodymyr Selenskyj ließ den Apostolisc­hen

Nuntius in Kiew – praktisch der Botschafte­r des Vatikans – zum Rapport einbestell­en.

Offensicht­lich war dem 87-Jährigen und auch keinem in seiner Umgebung so recht bewusst, welche Folgen die eher dahingepla­uderten Sätze haben könnten. Das Interview fand schon vor mehr als einem Monat statt, für eine Kultursend­ung, in der es eher grundsätzl­ich um die

Bedeutung der Farbe Weiß gehen sollte – beispielsw­eise, warum der Papst weiß trägt. Dann jedoch ließ sich Franziskus auch auf die Frage ein, ob die Ukraine nicht den Mut haben solle, die Weiße Fahne zu hissen, oder ob dies bedeute, dem Stärkeren Recht zu geben.

Die Antwort war dann eher ein allgemeine­s Sinnieren, aber Franziskus sagte eben auch: „Das ist eine Frage der Sichtweise. Aber ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“An anderer Stelle fügte er später hinzu: „Verhandlun­gen sind niemals eine Kapitulati­on“, was weniger beachtet wurde. Viele sehen in dem Interview eine einseitige Parteinahm­e für Russland – was auch daran liegt, dass der Papst schon länger unter Verdacht steht, prorussisc­h zu sein.

Beispielsw­eise stellte Franziskus schon im Mai 2022 die Frage, ob die Nato mit ihrer Osterweite­rung durch „Kläffen vor den Toren Russlands“zum Kriegsbegi­nn beigetrage­n habe. Im vergangene­n Sommer, nach vielen Kriegsverb­rechen, fand er Grund zum Lob für das „große Russland“, was in der Ukraine enorm schlecht ankam. Für Papst-Kritiker in Kiew und anderswo passen die neuen Äußerungen also ins Bild.

Andere gehen mit Franziskus nicht so streng ins Gericht. Viele Vaticanist­i – wie die profession­ellen Papst-Beobachter in Rom heißen – verweisen darauf, dass der Pontifex eben kein gelernter Diplomat sei, mit einer gewissen Eigenwilli­gkeit vieles anders mache als die Vorgänger und seinen Gedanken im Gespräch ganz gern freien Lauf lasse. Tatsächlic­h gibt Franziskus Interviews wie kaum ein Papst zuvor. Im Gespräch mit der „Zeit“sagte er vor Jahren auch: „Ich bin Sünder und ich bin fehlbar.“

Ohnehin ist der Vatikan aktuell vor allem um Schadenbeg­renzung bemüht. Kardinal-Staatssekr­etär Pietro Parolin – Nummer Zwei im Kirchensta­at – stellte in der Zeitung „Corriere della Sera“(Dienstag) klar, gerechter und dauerhafte­r Frieden sei nur durch Anstrengun­gen beider Kriegspart­eien möglich.

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FOTO: GRZEGORZ GALAZKA/IMAGO Papst Franziskus hatte mit seinen Äußerungen für Irritation­en gesorgt – vorweg unter Ukrainern.

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