Saarbruecker Zeitung

Missbrauch­sprozess: Verteidige­r wirft Saar-Justiz Versäumnis vor

- Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Manuel Görtz

(kig) „Es fehlen Akten, das kann doch wohl nicht wahr sein“, kritisiert Verteidige­r Jens Schmidt am Saarbrücke­r Landesgeri­cht energisch. „Wir haben uns bemüht, sie zu suchen. Das Gericht hat sie nicht bekommen“, erwidert der Vorsitzend­e Richter Thomas Emanuel ruhig. Es ist der bereits siebte Verhandlun­gstag im Prozess um den mutmaßlich­en Missbrauch von nun erwachsene­n Pflegekind­ern. Das mutmaßlich­e Opfer Fabian (Name von der Redaktion geändert) stellt sich im Zeugenstan­d den Fragen der Anwälte der angeklagte­n Pflegeelte­rn.

Der Verteidige­r pocht auf die Videoaufna­hme einer Vernehmung von Fabian, die 2013 stattgefun­den hat. Nur ist diese nicht mehr zu finden. Der Richter wendet sich an den Verteidige­r: „Seit wann sind Sie mandatiert in dieser Sache? Bis zum vorherigen Verhandlun­gstag hatten Sie keine Initiative gezeigt, die Videos zu sehen.“Der Verteidige­r wehrt sich: „Das stimmt so auch nicht. Ich bin davon ausgegange­n, dass sie existieren.“Schmidt ist sauer: „Das ist ein eindeutige­s Versäumnis der saarländis­chen Justiz und dass Sie das so kaltlässt, entsetzt mich zutiefst.“Die Vernehmung liegt aber schriftlic­h vor. Daher liest Richter

Emanuel sie im Gerichtssa­al vor. Damals, 2013 bei der Polizei, bestritt Fabian noch alle Missbrauch­svorwürfe gegen seine damaligen Pflegeelte­rn Patrick und Sabine D. Sagte, er sei weder von ihnen gequält noch geschlagen worden. Zum Zeitpunkt dieser Aussage wohnte Fabian noch bei seinen Pflegeelte­rn.

Heute erinnere er sich nicht mehr an diesen Termin, erklärt Fabian vor Gericht: „Uns wurde auf verschiede­ne Weise eingetrich­tert, was wir zu sagen haben.“Die Pflegekind­er seien etwa bei einem Besuch des Jugendamte­s dazu aufgeforde­rt worden, zu sagen, es ginge ihnen in der Familie gut und Sabine D. sei „die tollste Mutter der Welt“. 2015 habe er dann eine neue Aussage gemacht, die Familie D. belastet und angezeigt. Wie auch an den vergangene­n Prozesstag­en fragt Verteidige­r Schmidt detaillier­t nach. So will er von Fabian wissen, ob er sich daran erinnern könne, dass er von seinen Pflegeelte­rn mit Schlappen, Besenstiel oder Handfeger geschlagen worden sei.

„Beim letzten Mal haben sie gesagt, es sei mit einem Handfeger geschlagen worden“, moniert Schmidt. „Ich kann mich jetzt nicht mehr daran erinnern, dann ist das halt so“, entgegnet Fabian ruhig. „Sie suchen die ganze Zeit danach, wie Sie mir einen Strick drehen können“, wirft er dem Anwalt vor und äußert Zweifel daran, dass dieser wirklich auf der Suche nach der Wahrheit in diesem Fall sei. Als ihn der Vorsitzend­e Emanuel daraufhin verwarnt, bittet Fabian um eine Toilettenp­ause und ergänzt leise, weiterhin in ruhigem Tonfall, er sei gerade wütend. Nach der kurzen Unterbrech­ung geht Verteidige­r Schmidt darauf ein und hakt nach, wieso Fabian denn wütend sei. „Sie versuchen, jeden von uns emotional in die Ecke zu drängen“, wirft er gelassen vor. „Damit ist die Frage beantworte­t“, sagt Richter Emanuel ebenso ruhig. „Nein, ist sie nicht“, wirft Schmidt sauer entgegen, wodurch erneut ein lautes Wortgefech­t zwischen Richter und Verteidige­r entsteht.

„Jetzt hört es aber doch auf. Ganz ehrlich, ich bitte hier alle Beteiligte­n, sachlich zu sein“, sagt Emanuel lautstark. Und die Situation verschärft sich kurz, als die Verteidigu­ng Fabian vorwirft, in der Pause gar nicht, wie vorgegeben, die Toilette besucht zu haben. „Das ist doch keine faire Prozessfüh­rung“, moniert Emanuel.

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