Missbrauchsprozess: Verteidiger wirft Saar-Justiz Versäumnis vor
(kig) „Es fehlen Akten, das kann doch wohl nicht wahr sein“, kritisiert Verteidiger Jens Schmidt am Saarbrücker Landesgericht energisch. „Wir haben uns bemüht, sie zu suchen. Das Gericht hat sie nicht bekommen“, erwidert der Vorsitzende Richter Thomas Emanuel ruhig. Es ist der bereits siebte Verhandlungstag im Prozess um den mutmaßlichen Missbrauch von nun erwachsenen Pflegekindern. Das mutmaßliche Opfer Fabian (Name von der Redaktion geändert) stellt sich im Zeugenstand den Fragen der Anwälte der angeklagten Pflegeeltern.
Der Verteidiger pocht auf die Videoaufnahme einer Vernehmung von Fabian, die 2013 stattgefunden hat. Nur ist diese nicht mehr zu finden. Der Richter wendet sich an den Verteidiger: „Seit wann sind Sie mandatiert in dieser Sache? Bis zum vorherigen Verhandlungstag hatten Sie keine Initiative gezeigt, die Videos zu sehen.“Der Verteidiger wehrt sich: „Das stimmt so auch nicht. Ich bin davon ausgegangen, dass sie existieren.“Schmidt ist sauer: „Das ist ein eindeutiges Versäumnis der saarländischen Justiz und dass Sie das so kaltlässt, entsetzt mich zutiefst.“Die Vernehmung liegt aber schriftlich vor. Daher liest Richter
Emanuel sie im Gerichtssaal vor. Damals, 2013 bei der Polizei, bestritt Fabian noch alle Missbrauchsvorwürfe gegen seine damaligen Pflegeeltern Patrick und Sabine D. Sagte, er sei weder von ihnen gequält noch geschlagen worden. Zum Zeitpunkt dieser Aussage wohnte Fabian noch bei seinen Pflegeeltern.
Heute erinnere er sich nicht mehr an diesen Termin, erklärt Fabian vor Gericht: „Uns wurde auf verschiedene Weise eingetrichtert, was wir zu sagen haben.“Die Pflegekinder seien etwa bei einem Besuch des Jugendamtes dazu aufgefordert worden, zu sagen, es ginge ihnen in der Familie gut und Sabine D. sei „die tollste Mutter der Welt“. 2015 habe er dann eine neue Aussage gemacht, die Familie D. belastet und angezeigt. Wie auch an den vergangenen Prozesstagen fragt Verteidiger Schmidt detailliert nach. So will er von Fabian wissen, ob er sich daran erinnern könne, dass er von seinen Pflegeeltern mit Schlappen, Besenstiel oder Handfeger geschlagen worden sei.
„Beim letzten Mal haben sie gesagt, es sei mit einem Handfeger geschlagen worden“, moniert Schmidt. „Ich kann mich jetzt nicht mehr daran erinnern, dann ist das halt so“, entgegnet Fabian ruhig. „Sie suchen die ganze Zeit danach, wie Sie mir einen Strick drehen können“, wirft er dem Anwalt vor und äußert Zweifel daran, dass dieser wirklich auf der Suche nach der Wahrheit in diesem Fall sei. Als ihn der Vorsitzende Emanuel daraufhin verwarnt, bittet Fabian um eine Toilettenpause und ergänzt leise, weiterhin in ruhigem Tonfall, er sei gerade wütend. Nach der kurzen Unterbrechung geht Verteidiger Schmidt darauf ein und hakt nach, wieso Fabian denn wütend sei. „Sie versuchen, jeden von uns emotional in die Ecke zu drängen“, wirft er gelassen vor. „Damit ist die Frage beantwortet“, sagt Richter Emanuel ebenso ruhig. „Nein, ist sie nicht“, wirft Schmidt sauer entgegen, wodurch erneut ein lautes Wortgefecht zwischen Richter und Verteidiger entsteht.
„Jetzt hört es aber doch auf. Ganz ehrlich, ich bitte hier alle Beteiligten, sachlich zu sein“, sagt Emanuel lautstark. Und die Situation verschärft sich kurz, als die Verteidigung Fabian vorwirft, in der Pause gar nicht, wie vorgegeben, die Toilette besucht zu haben. „Das ist doch keine faire Prozessführung“, moniert Emanuel.