Saarbruecker Zeitung

Früh-Rente als Exit-Strategie für Grenzgänge­r

Der Informatio­nsbedarf zur Rente für Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r in Luxemburg ist riesig. Kein Wunder, kommen die Babyboomer-Jahrgänge im Großherzog­tum nun an die magische Altersgren­ze, frühzeitig aufs Altenteil zu gehen. Was das Besondere daran ist.

- VON SABINE SCHWADORF Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Vincent Bauer

Kaum vorstellba­r: Im Durchschni­tt liegt das Rentenalte­r in Luxemburg derzeit bei 60,1 Jahren. Tatsächlic­h wird es aufgrund der Vorruhesta­ndsregelun­gen nach 40 Beitragsja­hren wohl noch niedriger liegen. In einem internatio­nalen Vergleich der OECD hat die Organisati­on ermittelt, dass Beschäftig­te

im Großherzog­tum mit sehr hohen Renten am frühesten in den Ruhestand eintreten. Eine volle Rente im Alter von 62 Jahren kam internatio­nal nur noch in Kolumbien und Griechenla­nd vor.

Warum das so ist, hat einen einfachen Grund: In Luxemburg kann man bereits mit 57 Jahren in Rente gehen – sofern 40 Beitragsja­hre oder 480 Monate erfüllt sind, inklusive Arbeitslos­enzeiten. Wer also mit 16 Jahren bereits eine Ausbildung begonnen hat, kann in Luxemburg in die vorgezogen­e Altersrent­e gehen. Bei voller Rentenhöhe!

Für Akademiker kommt dies dann immerhin bereits mit 60 Jahren infrage. Denn während Luxemburg alle Studienjah­re im Alter zwischen 18 und 27 Jahren bei der Rente anerkennt, sind es in Deutschlan­d bis zu acht Jahre ab 17.

„Vielen Grenzgänge­rn sind die Möglichkei­ten nicht bekannt. Beratungss­tellen sind rar“, stellt der Trierer Anwalt und deutsch-luxemburgi­sche Steuerrech­tsexperte Stephan Wonnebauer fest. Die Luxemburge­r Sozialbehö­rden machten auch keine Werbung dafür, dass Grenzgänge­r früher in Rente gehen könnten. „In den offizielle­n Rentenbros­chüren (Stand Januar 2024) ist gar nicht erwähnt, dass Akademiker früher in Rente gehen können. Ob das politisch gewollt ist“, fragt er sich deshalb.

Immerhin fällt es ihm auf, dass sich derzeit „eindeutig mehr“Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r als in den Jahren zuvor über die Bedingunge­n zur Rente in Luxemburg informiere­n wollten: „Wir führen beinahe täglich Rentenbera­tungen durch. Dabei geht es im Prinzip um die vorgezogen­e Altersrent­e, die Altersrent­e und Invalidenr­ente“, erklärt er.

Doch warum ist das so? Auch dazu hat Wonnebauer eine Einschätzu­ng: „Viele Grenzgänge­r sind ausgebrann­t. Mit dem Alter wollen sie die langen Fahrtstrec­ken nicht mehr auf sich nehmen“, weiß der Experte aus den Beratungsg­esprächen. Viele Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r seien täglich zwei bis drei Stunden oder bis zu 180 Kilometer unterwegs zur Arbeit. „Mit dem Alter fällt dies eben schwerer.“

Allerdings hat sich auch das Arbeitskli­ma in Luxemburg verändert. Nicht nur, dass bei der jüngsten Befragung zum Quality-of-Work-Index durch die Arbeitnehm­erkammer Luxemburgs (CSL) herauskam, dass sich das Wohlbefind­en am Arbeitspla­tz in Luxemburg seit zehn Jahren stetig verschlech­tert hat. „Hinzu kommt noch, dass sich viele Firmen verändert haben. Die Arbeitsges­chwindigke­it etwa im Finanzgesc­häft hat sich erheblich erhöht“, stellt Wonnebauer fest.

Auch könnten viele Beschäftig­te in Luxemburg mit Mitte 50 nicht mehr den Arbeitgebe­r wechseln.

„Der Arbeitsmar­kt für ältere Arbeitnehm­er ist eher schlecht. Das hängt mit der Gehälterst­ruktur in Luxemburg zusammen“, sagt der Experte. „Also bleibt als Exit-Strategie für viele dann nur noch die vorgezogen­e Rente.“Wobei es die Höhe der Rente vielen Beschäftig­ten im Großherzog­tum aber auch erleichter­e, diese Entscheidu­ng zu treffen.

Das bestätigen die Zahlen auch im internatio­nalen Vergleich: Laut der OECD-Untersuchu­ng haben in Luxemburg die Rentner im Schnitt ein Einkommen, das sogar über dem Durchschni­ttseinkomm­en der Gesamtbevö­lkerung liegt. Nicht nur, dass die Rentner im Land wie in Israel und Italien das Durchschni­ttseinkomm­en der Gesamtbevö­lkerung

mit 110 Prozent übersteigt. Luxemburg ist auch das einzige Land, in dem auch das Durchschni­ttseinkomm­en der über 75-Jährigen über dem Schnitt der Bevölkerun­g liegt.

Stephan Wonnebauer weiß aus der Praxis: „Die Luxemburge­r Rente ist oftmals zwei- bis dreimal höher als die deutsche Rente. Wir haben mit vielen Rentnern zu tun, deren Rente bei 4000 Euro und höher liegt, weil sie eben mehr als 20 Jahre in Luxemburg tätig waren.“

Die Folge für den Arbeitsmar­kt ist klar: So arbeiten weniger als die Hälfte der 55- bis 64-Jährigen in Luxemburg überhaupt noch. Bei den 65- bis 69-Jährigen sind es nur noch etwa zehn Prozent.

In den kommenden zehn Jahren

geht ein Gros der Babyboomer in Rente – und das trifft die Luxemburge­r Wirtschaft ganz besonders. „Die Babyboomer-Generation hat Luxemburg aufgebaut“, sagt Wonnebauer und verweist auf die 1980er- und 1990er-Jahre, als viele Deutsche auch angesichts fehlender Perspektiv­en und höherer Arbeitslos­igkeit als heute in der Region Trier oder im Saarland in Luxemburg zu arbeiten begannen. „Das ist genau diese Generation, die Luxemburg in den letzten dreißig Jahren beim Aufbau des Reichtums geholfen hat.“

Und die versucht nun verstärkt, ihre Lorbeeren für die vergangene­n Jahre einzufahre­n. Immerhin stellt die Luxemburge­r Rentenkass­e derzeit im Jahr dreimal mehr Anträge

auf vorgezogen­e Altersrent­e als für die klassische Altersrent­e ab 65 Jahren fest.

„Wer früh genug dran ist, hat eine große Flexibilit­ät bei den Renten“, weiß der Anwalt. So gebe es Sonderrege­ln für Nachtschic­htarbeiter oder bei langem Reclasseme­nt, also der Wiedereing­liederung in den Arbeitsmar­kt ohne Anspruch auf Invalidenr­ente. „Auch diese Grenzgänge­r können früher in Rente gehen. Viele, die krank sind, haben die Möglichkei­t statt einer geringen Invalidenr­ente eine höhere Altersrent­e zu beziehen“, sagt er.

 ?? FOTO: KAI REMMERS/DPA ?? Immer mehr Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r der Babyboomer-Generation in Luxemburg erreichen den Zeitpunkt, frühzeitig in Rente zu gehen. Und das bei überaus attraktive­n Ruhestands­bezügen. Doch vielen sind die Möglichkei­ten gar nicht bekannt.
FOTO: KAI REMMERS/DPA Immer mehr Grenzgänge­rinnen und Grenzgänge­r der Babyboomer-Generation in Luxemburg erreichen den Zeitpunkt, frühzeitig in Rente zu gehen. Und das bei überaus attraktive­n Ruhestands­bezügen. Doch vielen sind die Möglichkei­ten gar nicht bekannt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany