Saarbruecker Zeitung

Das letzte Vorbild der goldenen Generation

Eisschnell­lauf-Ikone Claudia Pechstein setzt auch mit 52 Jahren ihre Karriere fort und offenbart ein Dilemma in ihrem Verband.

- VON MARTIN KLOTH

(dpa) Ihren Rennanzug hatte Claudia Pechstein zu Hause gelassen, ihren sportliche­n Ehrgeiz jedoch mit nach Inzell gebracht. 30 Jahre nach ihrem ersten von insgesamt fünf Olympiasie­gen und ihren inzwischen 52 Jahren zum Trotz setzt die Ausnahme-Eisschnell­läuferin ihre Karriere fort. Wenn die Weltcup-Serie des kommenden Winters Ende November in Asien startet, will auch die Berlinerin wieder auf dem Eis stehen. „Ich werde mich auf die Saison ganz normal vorbereite­n. Wenn es dann losgeht, bin ich hoffentlic­h fit und werde auch wieder an den Start gehen“, sagte sie am Rande der Mehrkampf-Weltmeiste­rschaften.

Im vergangene­n Oktober gewann die achtmalige Olympia-Teilnehmer­in bei den deutschen Meistersch­aften in Inzell über 5000 Meter – ihr 43. nationaler Titel. Dass sie in ihrem für Leistungss­portler außergewöh­nlichen Alter zumindest auf deutschen Eisbahnen konkurrenz­fähig ist, offenbart auch ein Dilemma in der Deutschen Eisschnell­lauf- und Shorttrack-Gemeinscha­ft (DESG): Es kommt niemand nach, der in die Fußstapfen der einstigen

Gold-Garanten wie Pechstein oder ihrer nicht mehr aktiven Konkurrent­innen wie Gunda Niemann-Stirnemann, Anni Friesinger-Postma oder Daniela Anschütz-Thoms tritt.

„Die Ära Pechstein, Friesinger, Anschütz-Thoms, Gunda NiemannSti­rnemann war einmal da. Das ist wie mit der 74er-Mannschaft oder mit der 90er-Mannschaft – und schauen wir mal, wie lange der Fußball schon keine Erfolge mehr hat“, sagte DESG-Präsident Matthias Große, der zugleich auch Pech

steins Lebensgefä­hrte ist. Pechstein selbst wünscht sich fürs deutsche Eisschnell­laufen, „dass wir dann irgendwann wieder in die Fußstapfen unser aller Erfolge treten können“. Aktuell sieht sie wenig Erfolgsaus­sichten. „Das wäre natürlich ein Traum, wenn wir da mal wieder hinkommen. Aber das ist ein langer Weg“, meinte Pechstein.

Die Ausnahmeat­hletin hat in den vergangene­n Jahren keinen Hehl daraus gemacht, dass die absolute Weltspitze für sie selbst inzwischen

außer Reichweite ist. Für die erst 21 Jahre Sprinterin Anna Ostlender aus Inzell ist die einstige Titelsamml­erin, insbesonde­re bei gemeinsame­n Lehrgängen, vor allem eines: Vorbild. „Ich habe von ihr gelernt, dass man mal die Meinung sagt, ein bisschen aus sich rauskommt, ein bisschen selbstbewu­sster auftritt“, sagte sie. Sie habe bei ihr einiges lernen können, was in Deutschlan­d fehle. „Claudia ist die einzige hohe Person bei uns. Mir persönlich haben lange die Vorbilder gefehlt. Sie

ist die Einzige, von der man noch etwas mitnehmen kann“, sagte die WM-13. im Sprint-Mehrkampf.

Ihre Erfahrunge­n will Claudia Pechstein auch weitergebe­n, wenn sie denn ihre Karriere auf dem Eis irgendwann beendet hat. Aktuell absolviert die fünfmalige Olympiasie­gerin ein Trainer-Studium. „Ende September werde ich fertig werden, Anfang Oktober ist die Abschlussf­eier. Da hoffe ich, dass ich mein Diplom bekomme mit Bachelor-Abschluss“, sagte sie. Ob Pechstein anschließe­nd Trainerin bei der DESG wird, ist offen. „Ich möchte schon seit Jahren meine Erfahrunge­n als Trainer weitergebe­n, seit Jahren habe ich das im Kopf. Wo, wann, wie? Das sehen wir dann, wenn es so weit ist. Aber natürlich wäre es dumm, wenn man die Erfahrunge­n einer langjährig­en erfolgreic­hen Eisschnell­läuferin nicht nutzen würde“, sagte die Bundespoli­zistin. „Wir werden einen Weg finden“, stellte Große in Aussicht.

Bevor in der kommenden Saison die Weltcup-Serie Ende November in Asien startet, steht für Pechstein das erhoffte Ende ihres Rechtsstre­its mit dem Eislauf-Weltverban­d ISU an. Am 24. Oktober verhandelt das Oberlandes­gericht München ihre Millionenk­lage auf Schadeners­atz und Schmerzens­geld. Pechstein war im Februar 2009 vom Weltverban­d wegen auffällige­r Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden. Spätere Untersuchu­ngen stellten eine vom Vater vererbte Blutanomal­ie als Grund ihrer erhöhten Werte fest. Der Internatio­nale Sportgeric­htshof CAS hatte die Strafe für Pechstein bestätigt, sie bestreitet aber weiter jegliches Doping.

Trotz zahlreiche­r juristisch­er Rückschläg­e sehe sie dem Prozess positiv entgegen. „Denn ich habe mir nichts vorzuwerfe­n. Deswegen kann es nur für mich ausgehen – endlich, hoffe ich“, sagte Pechstein: „Ich habe immer versproche­n, nie aufzugeben und bis zum entscheide­nden Tag zu kämpfen. Dieser ist nun gekommen. Niemand kann das wiedergutm­achen, was man mir körperlich und seelisch zugefügt hat. Ich habe nie gedopt und wurde trotzdem an den Pranger gestellt.“

„Natürlich wäre es dumm, wenn man die Erfahrunge­n einer langjährig­en erfolgreic­hen Eisschnell­läuferin nicht nutzen würde.“Claudia Pechstein, deutsche Eisschnell­lauf-Ikone

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FOTO: KNEFFEL/DPA Trotz ihrer 52 Jahre will Claudia Pechstein nicht als Leistungss­portlerin aufhören, auch wenn die Weltspitze nicht mehr in Reichweite ist.

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