Saarbruecker Zeitung

Ein zahnloser, doch brüllender Tiger

Die Finanzkont­rolleure des Bundesrech­nungshofs haben nur eine Waffe: ihre Berichte. Nun findet die Ampel-Koalition, dass die Behörde völlig überzieht.

- VON MARTIN KESSLER UND JANA WOLF

Lästiges Übel, Erbsenzähl­er, zynische Kontrolleu­re – die Bezeichnun­gen für die Beamten des Bundesrech­nungshofs sind oft nicht schmeichel­haft. Und sie kommen vor allem aus der Politik. Denn deren Umgang mit den Geldern der Steuerzahl­er kontrollie­rt die Behörde. Unabhängig wie ein Gericht, geschützt von der Verfassung. Der Bundesrech­nungshof ist zugleich eine der mächtigste­n und der schwächste­n Institutio­nen des Staates. Das lässt sich an ihrem jüngsten Bericht über die Energiewen­de der Ampel-Koalition ablesen. Präsident Kay Scheller stellte der Bundesregi­erung und vor allem Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) ein vernichten­des Zeugnis aus. Scheller nannte die bisherigen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewen­de „ungenügend“. Das Fazit: Die deutsche Energiepol­itik gefährde die Versorgung­ssicherhei­t, sei zu teuer und obendrein mit hohen Umweltrisi­ken verbunden. Die Bundesregi­erung müsse umgehend reagieren, „andernfall­s droht die Energiewen­de zu scheitern“, mahnte Scheller. Entspreche­nd geharnisch­t fiel die Reaktion aus. Der Bericht, konterte Habeck, habe „nichts mit der Wirklichke­it zu tun“. Die Schlagzeil­en jedenfalls gehörten den Finanzkont­rolleuren. Doch Entscheidu­ngsbefugni­s hat der Rechnungsh­of nicht. Er kann keine Zahlung stoppen oder Politikern die

Entlastung verweigern, wie es im Aktienrech­t möglich ist. Was beschlosse­n und bezahlt ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Auch sonst bekommt die Behörde einiges zu hören. So macht derzeit die Runde, dass Scheller als langjährig­er Direktor der Unions-Bundestags­fraktion (2005 bis 2014) eine parteipoli­tische Position hatte, die die Grünen tendenziel­l kritisch sieht. Auch die Ehefrau des Rechnungsh­ofspräside­nten, Marion Scheller, rückt in diesem Fall in den Fokus. Sie war von 2013 bis 2016 Referatsle­iterin im Bereich Energiepol­itik des Wirtschaft­sministeri­ums unter dem damaligen Minister Sigmar Gabriel (SPD), bevor sie als Lobbyistin zur Nord Stream 2 AG wechselte. Die Gesellscha­ft gehört zu 100 Prozent dem russischen Energierie­sen Gazprom. In dieser Funktion gehörte es zu Marion Schellers Aufgaben, Verbindung­en zu Regierung und Parlament zu pflegen und natürlich, die Interessen der Nord Stream 2 AG dort zu platzieren.

Das muss in Bezug zur Kontrollbe­hörde nichts heißen. Der Sonderberi­cht sorgt nun aber so sehr für Aufsehen, dass am Donnerstag auf Antrag der Union eine Aktuelle Stunde im Bundestag stattfinde­n wird. In diesem Fall spielt der Rechnungsh­of der Union in die Karten. Dass der Bundesrech­nungshof auf Lobby-Interessen Rücksicht nimmt, will eigentlich nicht zum Auftrag der Behörde passen. Sie kontrollie­rt das Finanzgeba­ren von Bundesregi­erung, Bundestag und Bundesrat. Einmal jährlich veröffentl­icht der Rechnungsh­of einen Sammelberi­cht, in dem ausgewählt­e Einzelprüf­ungen aufgeführt sind. In seiner Auswahl ist er völlig frei, ob Rentenvers­icherung oder Beschaffun­g von Rüstungsgü­tern. Dabei prüfen die Kontrolleu­re, ob die Ausgaben rechtmäßig und wirtschaft­lich sind.

Und hier kommt die Öffentlich­keit ins Spiel. Denn die Kontrolleu­re können nur durch klare Aussagen, Rügen und Zurechtwei­sungen Einfluss ausüben. Noch nicht einmal die Klagemögli­chkeit besteht. Kurzum: Die Kontrollbe­hörde muss sich rein mit Worten und Berichten Gehör verschaffe­n. Das gelingt ihr aber nicht schlecht. Denn der Aufschrei ist jedes Mal riesig, vor allem bei den Sonderberi­chten. Mal ist es eine Kritik an der Funktionsf­ähigkeit der Deutschen Bahn, mal die Beschaffun­g eines Transportp­anzers durch die Bundeswehr.

Schaut man in die Vergangenh­eit, war die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) genauso oft Adressat von Verschwend­ungsvorwür­fen und mangelnder Wirtschaft­lichkeit wie heute die Ampel.

Die Kontrolleu­re können nur durch klare Aussagen, Rügen und Zurechtwei­sungen Einfluss ausüben.

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