Wieder einmal zeigt sich die Fragilität der Ampelkoalition
Wer gedacht hat, die Befragung im Bundestag bringt den Kanzler in Bedrängnis, sah sich am Mittwoch getäuscht. Olaf Scholz bekräftigte vielmehr sein Nein zur Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine. Weil mit dem Taurus russisches Territorium bis nach Moskau erreicht werden kann, will der SPD-Kanzler die Kontrolle über diese Waffe nicht den Ukrainern überlassen. Und um selbst die Kontrolle zu behalten, müssten sich nach seiner Lesart deutsche Soldaten an der Zielsteuerung beteiligen – von Deutschland aus oder in der Ukraine. Dies sei „eine Grenze, die ich als Kanzler nicht überschreiten will“. Dies klar im Bundestag zu äußern, ist das lange geforderte Machtwort – so falsch man es auch finden mag.
Und falsch findet man das nicht nur in Teilen der Opposition. Die Kanzler-Befragung macht auch deutlich, wie fragil die Regierungskoalition ist. Während die SPDFraktion die Ausführungen des Kanzlers mit lautem Klatschen quittiert, regt sich bei Grünen und FDP kaum eine Hand. Besonders in der Grünen-Fraktion ist man mit dem Kurs nicht einverstanden, sieht Scholz gewissermaßen schon auf dem Wahlkampf-Pfad als Friedenskanzler. Inwieweit sich die Frustration mit der Ukraine-Politik auf die Zusammenarbeit in den anstehenden Haushaltsberatungen auswirkt? Unklar.
Was in Deutschland im Zuge der Taurus-Debatte nicht mehr existiert, ist ein sogenannter „common sense“von Regierung und Opposition. Das, was die Amerikaner als „rally around the flag“, also ein Versammeln in Krisensituationen hinter dem Regierungschef bezeichnen, ist in Deutschland gerade leider Geschichte. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen und der Kanzler liefern sich ein persönliches Scharmützel, unterstellen sich gegenseitig, Halb-Wahrheiten zu verbreiten. Es ist insgesamt eher ein Trauerspiel, hier braucht sich die AfD tatsächlich nur zurücklehnen. Scholz hat es nicht vermocht, die Union in seine Entscheidungen einzubinden, oder sie auch einfach nur vorab zu informieren. Die Union wiederum nutzt das sensible Thema, den Kanzler persönlich vorzuführen. Doch die Frage von Krieg und Frieden eignet sich hierfür nicht.
Das – auch persönlich – zerrüttete Verhältnis zwischen Kanzler und Oppositionsführer Friedrich Merz schadet. Gerade in Fragen der äußeren Sicherheit braucht es ein Zusammenwirken von den größten demokratischen Kräften, vom SPDRegierungschef und dem CDU-Vorsitzenden. Wenn man dem persönlichen Zerrüttungsgrad nachspürt, dann zeigt jeweils ein Zeigefinger auf den anderen. Merz und Scholz sollten einen Neuanfang wagen, um des Landes willen. Möglicherweise gilt es in Zukunft Entscheidungen zu treffen, die größer sind als die eigene Persönlichkeit.
Einer der wenigen, die auf der Regierungsbank aus der Ministerriege Platz genommen haben, ist Boris Pistorius. Es ist ein Signal, soll auch Einigkeit vermitteln zwischen dem Kanzler und dem SPD-Verteidigungsminister, der gerade gegen die Auswirkungen der für sein Ministerium peinlichen Taurus-Abhöraffäre kämpft. Zusammengefasst: Der Kanzler hat eine Entscheidung getroffen, die er für richtig hält. Warum, das lässt er weiter offen.