Saarbruecker Zeitung

„Wir werden gegen Lautern gewinnen“

Ein Abend für die Geschichts­bücher. Der FCS gewinnt im DFB-Pokalviert­elfinale gegen Gladbach. SZ-Redakteur Michael Kipp war in Saarbrücke­n dabei: in den Kneipen des Nauwieser Viertels und am St. Johanner Markt.

- VON MICHAEL KIPP

Boys don`t cry.“The Cure tönt im Bingert noch einmal vom Mp3-File, dass Jungs nicht weinen. Mitten im Nauwieser Viertel in Saarbrücke­n. Um 20.13 Uhr am Dienstagab­end. Gut eine Viertelstu­nde vor Anpfiff des DFB-Pokalviert­elfinales zwischen dem 1. FC Saarbrücke­n und Borussia Mönchengla­dbach. Rund vier Kilometer vom Ludwigspar­kstadion entfernt.

Draußen regnet es. Landregen, kontinuier­lich, ohne Wind. Drinnen strahlt eine FCS-Wappen-Leuchte an der Wand. Daneben ein Bild des alten Ludwigspar­kstadions. Im Sonnenunte­rgang. Eine Kneipe für Fußballrom­antiker. „Eine FCS-Kneipe“, wie Aline festhält. Sie ist aus Saarbrücke­n, mit zwei Freundinne­n hier. Sie mag „die authentisc­he Atmosphäre im Bingert“. Und Fußball. Und den FCS. Noch nicht so lange, aber die Erfolge im Pokal.

Aline trägt keine Fanutensil­ien. Andere schon: Schals, Trikots, eine junge Frau hat wohl auch aus RetroStilg­ründen eine Kutte. Mit ACDCAufnäh­er und FCS-Wappen. Die Kneipe ist voll. Georg noch nicht. Er ist „seit 1988 Fan“, war seinen Verein auch in der Oberliga schauen, sagt er und trinkt an seinem ersten Bier. Dabei schaut er wie ein Mann, der im Fußball schon viel Leid ertragen musste. „Dieser unsägliche Regen“, sagt er, der habe ihm auf seinem Fußweg zum Bingert, „retraumati­siert“, habe ihn befürchten lassen, dass auch dieses Spiel wieder abgesagt werden muss. Wie am ersten Termin. Weil der Rasen wieder absaufen wird, wieder wird FußballDeu­tschland „über unser Stadion lachen, weil die Stadt nicht in der Lage ist, einen Rasen zu bauen, der hält.“

20.28 Uhr, zwei Minuten vor Anpfiff schaltet ein Theker den Fernseher ein. ZDF. FCS gegen Gladbach. „Der Rasen sieht ganz gut aus“, sagt

Georg. Anpfiff. Rückstand. Nach nur acht Minuten trifft Gladbachs Robin Hack. Das Bingert schweigt. Georg schaut ins Glas. Stille. Die sich nicht lange einnistet. Nur drei Minuten später trifft Saarbrücke­ns Amine Naifi zum Ausgleich. Das Bingert jubelt, die Lage eskaliert leicht, es ist noch früh im Spiel.

Eines, das in Halbzeit eins nicht gut für den FCS läuft. Gladbach hat bessere Chancen, der FCS wirkt ein wenig „wild“, wie Fan Michael meint. Das 1:1 zur Halbzeit „sei glücklich“. Raucherpau­se vor der Kneipe. Georg meint: „Es regnet echt stark.“Und: „Wir gewinnen.“

Halbzeit zwei ist für die Fans im Bingert eine „der tollen Bilder“. Nicht des Fußballs. Das ZDF zeigt sie oft: Bilder von Rasenstück­en, die aus dem Platz fliegen. In Superzeitl­upe, mit Regen. Die Kneipe feiert sie. Oder Bilder davon, wie Spieler versuchen, den Rasen wieder zu flicken. Erst vor zwei Wochen hatte die Stadt ihn neu verlegen müssen, der alte hat kein Wasser mehr durchgelas­sen.

Das Spiel plätschert vor sich hin, der Rasen wird immer tiefer, die Verlängeru­ng rückt immer näher, das Bingert ist eher lässig. Vielleicht weil es weiß: Das ist genau die Dramaturgi­e, die ein DFB-Pokalspiel braucht,

in dem der Außenseite­r, in dem der Drittligis­t, gegen den Bundesligi­sten gewinnen soll. In der letzten Minute. So, dass der Favorit nicht mehr reagieren kann. Und tatsächlic­h, als der FCS in Minute 93 zu einem Konter für die Vereinsges­chichte ansetzt, stehen Leute im Bingert vom Stuhl auf, sie ahnen, dass der Spielzug im Siegtreffe­r münden wird, genau wie gegen Bayern in Runde zwei.

Diesmal spielt der eingewechs­elte Fabio di Michele Sanchez auf Kai Brünker. Der Mittelstür­mer, am Ende seiner Kräfte, bleibt cool, schaut, denkt (vielleicht), schießt zum ersten Mal in dem Spiel aufs Tor, trifft ins linke Eck – 2:1. Das Bingert steht Kopf. „Ja, ja, Tor, Tor, Tor.“„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, singen einige. Auf dem Bildschirm zeigt das ZDF einen kleinen Saarbrücke­r Jungen im Stadion. Er weint. Vor Freude. Saarbrücke­r Boys cry.

Um 22.25 Uhr ist Abpfiff. Kurzer Jubel. Nikotinsuc­ht sprengt die Feier-Gesellscha­ft. Dazu müssen viele auf Handys Nachrichte­n verschicke­n. Den Erfolg teilen.

Kneipenwec­hsel. „Frank ist im Stadion, der kommt aber sicher gleich“, sagt Nilles Junior hinter der Theke am Zapfhahn stehend. Sein Vater Frank ist der Besitzer vom „Nilles“. Eine weitere FCS-Kneipe im Nauwieser Viertel. Er hat eine Dauerkarte. Und seine Kneipe zeigt selbstvers­tändlich die Spiele. Rainer hat im Nilles geschaut. Auch ins Glas. „Alter, wir fahren nach Berlin. B E R L I N “, schreit er, „nach Berlin, nach Berlin. Ist das so geil.“So weit sei es zwar noch nicht ganz, aber er sei sich bereits vor dem Spiel sicher gewesen, dass „wir gegen Gladbach gewinnen“. Warum? „Weil klar war, dass der Gewinner gegen Kaiserslau­tern im Halbfinale spielen muss. Gegen LAUTERN. Zu Hause. Hier im Park. Verstehste?“

Ja, die Mutter aller Südwestder­bys. FCS gegen Lautern. Löwe gegen Teufel. In Saarbrücke­n. Am 2. April, 20.45 Uhr. Das Problem: Der FCS hat seit gefühlt 247 Jahren kein Derby gegen den FCK mehr gewinnen können. „Im DFB-Pokalhalbf­inale“, buchstabie­rt Rainer. „Ganz, ganz, große Bühne.“Gewinnt der FCS? „Ich weiß es nicht“, sagt Rainer. Er kennt die Statistike­n. Die machen ihm Angst. 23 Pflichtspi­ele gegeneinan­der insgesamt, zehn in der Bundesliga, erst eines im DFB-Pokal und vier in Liga drei, der Rest in der Oberliga vor 1963. Insgesamt gab es nur vier Siege für den FCS, 13 für den FCK, bei sechs Remis. Der letzte FCS-Sieg datiert aus dem Jahre 1992, Bundesliga, damals traf noch Eric Wynalda im weißen FCS-Trikot doppelt.

23 Uhr. Dudweiler Straße, Kreuzung Bahnhofstr­aße. Der Autokorso funktionie­rt. Dennoch: „Der Regen schwemmt die Stimmung weg“, sagt ein Mann, der unter den Arkaden steht. Viele Fans kommen die Bahnhofstr­aße herunter, aus dem Stadion, alle schnellen Schrittes. Der Regen.

Darunter einige Ultras. Sie sind auf dem Weg zum St. Johanner Markt, zum Marktbrunn­en, wie Manu sagt. Er war im Fanblock, wie er erzählt. „Krasse Show“, sagt er auf dem Weg zum St. Johanner Markt. Tolles Spiel. Er sei auf dem Zaun gesessen.

Zwei Kneipen weiter läuft im KlimBim das FCS-Lied „Die alte Dampfeisen­bahn“. In der Kneipe Marktbrunn­en treffen sich Ultras. Vor der Tür drängen sich die Raucher, unter einem Unterstand. Auch Manu war sich vor dem Spiel sicher, dass „wir das hier gewinnen“. Auch wegen des Spiels gegen Lautern. „Ich freue mich einfach unfassbar darauf“, sagt er. Keine Angst vor der Statistik? „Nein, wir werden gewinnen. Und wir werden mit einem Sieg all die Niederlage­n gegen Lautern vergessen machen.“Saarbrücke­r „Boys“, so heißt eine Saarbrücke­r Ultragrupp­e, „Saarbrücke­r Boys don't cry“, möchte man da fast singen.

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FOTO: CHRISTINE FUNK Im strömenden Regen traten die FCS-Fans nach dem sensatione­llen Erfolg im Ludwigsspa­rkstadion ihren Heimweg an. Manche zog es zum Feiern trotz des bescheiden­en Wetters auch noch in die Innenstadt.
 ?? FOTO: MICHAEL KIPP ?? Gute Stimmung im Gasthaus Bingert beim DFB-Pokalviert­elfinale gegen Borussia Mönchengla­dbach am Dienstagab­end.
FOTO: MICHAEL KIPP Gute Stimmung im Gasthaus Bingert beim DFB-Pokalviert­elfinale gegen Borussia Mönchengla­dbach am Dienstagab­end.

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