Ampel will AfD auf TikTok Paroli bieten
Es gibt bei TikTok eine Sonnenseite mit groovenden Hühnern, singenden Papageien und tanzenden Teenies. Und es gibt eine Schattenseite, wo geätzt und gelästert wird – und wo auch die AfD besonders erfolgreich ist. Nun wollen Ampel-Politiker rechten Inhalte
Lange haben sich SpitzenPolitiker der etablierten Parteien geziert, sich über TikTok mitzuteilen. Dann eroberte die AfD die bei Teenagern und jungen Erwachsenen beliebte chinesische OnlinePlattform. Weil die AfD in Umfragen bei Jugendlichen gut abschneidet, geraten die anderen Parteien unter Druck.
Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) antwortete Ende Februar bei einem Bürgerdialog in Dresden auf die Frage, wieso die AfD dort sehr präsent sei, Parteien der Mitte aber kaum, mit folgenden Worten: „Auch die Bundesregierung diskutiert das und ich halte das auch für richtig.“Nun ist TikTok ein Medium, das vor allem auf Emotionen abzielt: Was Angst macht, verärgert, ekelt, traurig macht, Freude bereitet oder Verachtung auslöst, all das funktioniert. So lösen Videos von Hühnern, die sich im Takt zu Hiphop bewegen, positive Emotionen aus. Das gleiche gilt für Nymphensittiche, die Popsongs trillern und für tanzende Menschen aller Generationen. Trockene Vorträge über Parteienpolitik und Verantwortung funktionieren eher weniger. Dafür aber Populismus.
Ein Beispiel dafür ist der Clip des 47-jährigen AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah: Mit Ratschlägen wie „schau keine Pornos“wendet er sich an junge Männer, die noch nie eine Freundin hatten. Er erreicht damit ein Millionenpublikum. „Echte Männer sind rechts“, ist Krahs Quintessenz. Eine solche Ansprache hätte durchaus auch nach hinten losgehen können. Doch womöglich ist es auch ein Erfolgsrezept bei TikTok, wenn man keine Angst davor hat, sich zu blamieren. Der Hamburger Politikberater und Blogger Martin Fuchs erklärt: „Die Leute bei der AfD haben eine maximale Beinfreiheit in den sozialen Medien, weil es der Partei egal ist, ob sie sich politisch korrekt oder unkorrekt verhalten.“Er beobachtet: „Mitglieder anderer Parteien, haben häufig Angst, die Beinfreiheit zu leben und anzuecken.“
Doch auch hier gibt es Ausnahmen. So kann man die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek durchaus als Superstar der Linken in sozialen Medien bezeichnen. Selbst einige ihrer Reden im Parlament wurden millionenfach angeschaut.
„Die Leute bei der AfD haben eine maximale Beinfreiheit in den sozialen Medien, weil es der Partei egal ist, ob sie sich politisch korrekt oder unkorrekt verhalten.“Martin Fuchs Hamburger Politikberater und Blogger
Besonders beliebt ist ein Clip, in dem sie sich über „die AfD und das Gendern“lustig macht. „Ihr Genderwahn macht mir langsam echt ein bisschen Sorgen“, sagt sie. Dann zählt sie fröhlich die vielen AfD-Anträge zum Thema Gendern auf.
Und die Politiker der Ampel-Koalition? Scholz hat seine Ankündigung bisher nicht wahr gemacht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) – der einst Twitter verließ, nachdem er merkte, dass er dort aggressiver kommunizierte – ist zwar sehr erfolgreich bei Instagram, hält sich bei TikTok aber noch zurück. SPD-Chef Lars Klingbeil ist hingegen bei TikTok aktiv und hat sich da auch live den Fragen der User gestellt. Einer seiner erfolgrei
cheren Clips, der mehr als 600 000 Aufrufe hatte, ruft unter dem Motto „#gegenhalten“zum Kampf gegen Rechtsextremismus auf.
Seit Anfang dieses Jahres ist auch der SPD Parteivorstand mit dem Account „deinespd“auf TikTok vertreten. „Als SPD wollen wir mit den Menschen überall dort in Kontakt treten, wo sie sind“, sagt eine Sprecherin unserer Redaktion. „Das gilt für soziale Netzwerke wie WhatsApp, Instagram oder TikTok genauso wie für Infostände auf der Straße.“Dabei beobachte man die Entwicklung rund um Fragen der Sicherheit im Zusammenhang mit der Nutzung von TikTok sehr aufmerksam.
Die Grünen-Bundestagsfraktion ist seit einigen Wochen auf TikTok
vertreten. Grünen-Parlamentarier Julian Pahlke veröffentlichte im Februar ein Video mit dem Titel „TikTok wird Grün“. Er kündigte an: „Hier sind definitiv zu viele Nazis. Das wollen wir ändern.“Es wurde mehr als 25 000-mal geschaut. Unserer Redaktion sagte er, dass ein Gegenangebot zur Rechten im Netz aufgebaut werde: „Aktuelle politische Debatten kurz runter brechen und verständlich erklären.
In ganz normaler Alltagssprache und ohne Anzug.“Allerdings sind all dies auch Angebote, die angesichts aktuell schwieriger Zeiten wohl eher negative Emotionen ansprechen. Vielleicht hat der eine oder andere Politiker ja noch ein Haustier, das singen oder tanzen kann.