Saarbruecker Zeitung

Die Ampel steht am Rande einer Scheidung

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Mal angenommen, Friedrich Merz wäre der Bundeskanz­ler, dann stünde er jetzt genauso vor der weitreiche­nden Entscheidu­ng, den Taurus an die Ukraine zu liefern oder nicht. Doch auch der CDUChef könnte den Marschflug­körper nicht einfach so in Richtung Kiew abgeben, wie die Union in der Debatte über diese heikle Frage gerne suggeriert.

Deutschlan­d ist Nato-Mitglied; in der Vergangenh­eit hat sich gezeigt, wie sehr etwa die USA mitspreche­n und mitentsche­iden, wenn es um die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine geht – Stichwort Panzer. Die Leichtigke­it, mit der Merz und die Union also derzeit die Taurus-Frage zur alles entscheide­nden stilisiere­n, ist nicht von den realpoliti­schen Zwängen gedeckt. Zumal keiner weiß, ob es zusätzlich­e Informatio­nen über das Risikopote­nzial einer Lieferung gibt, die dem SPD-Kanzler Olaf Scholz womöglich vorliegen. Dass das Verhältnis von Opposition­sführer und Kanzler zerrüttet ist, dass beide noch nicht einmal unter vier Augen innenpolit­isch deeskalier­end die Dinge mit Blick auf das große Ganze bereden können, verschärft die Auseinande­rsetzung nur. Verantwort­lich dafür ist allerdings vor allem Scholz.

Merz steckt jetzt gewisserma­ßen in der Klemme. Sollte er einerseits die Absicht gehabt haben, mit seinem Taurus-Kurs die Ampel in die Zermürbung zu treiben, so ist ihm das zwar gelungen. Die Rede von SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich im Bundestag war eine harte Abrechnung nicht nur mit der Opposition, sondern insbesonde­re mit den eigenen Koalitions­partnern. In einer Ehe würde man sagen, da hat jemand die Scheidungs­papiere zur Unterschri­ft vorgelegt. Die Grünen wiederum sind mit dem von ihnen gewählten Kanzler für dessen Haltung zu Taurus in einer Art und Weise ins Gericht gegangen, dass man große Zweifel an der noch verblieben­en Autorität des Regierungs­chefs und an der weiteren Zusammenar­beit haben muss. Im Bundestag ist klar geworden: Die Gräben in der Ampel sind inzwischen so tief, tiefer geht es kaum noch. Das Ziel hat Merz, so er es denn gehabt hat, also erreicht.

Anderersei­ts hat die Union keinen Grund, zu jubilieren. Auch wenn sich im Bundestag eine kleine, schwarz-grüne Allianz beim Marschflug­körper gezeigt hat: Innenpolit­isch hat es über diese Waffe so viel böses Blut zwischen Opposition und den Ampel-Parteien gegeben, dass man sich fragt, wie gerade der zur Polarisier­ung neigende Merz bei möglichen Koalitions­verhandlun­gen nach der nächsten Bundestags­wahl in anderthalb Jahren den Versöhner geben will. Erst recht, wenn bis dahin der Ukraine-Krieg nicht beendet sein sollte.

Noch wichtiger ist jedoch: Der Taurus-Kurs der Union hat dem Kanzler und der SPD kräftig dabei geholfen, für sich eine neue Strategie in der Ukraine- und Russlandpo­litik zu entdecken – die als Hüter des Friedens. In den Umfragen verfängt das bereits. Auch wenn es aus der Union mit Nachdruck heißt, man lasse sich bei wichtigen politische­n Themen nicht von Stimmungen leiten, schon gar nicht von Umfragen, wahr ist aber: Scholz scheint nun einen Weg gefunden zu haben, um beim Wähler wieder zu punkten. Merz ist das noch nicht gelungen. Und die Europawahl sowie die Landtagswa­hlen im Osten stehen vor der Tür.

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