Saarbruecker Zeitung

Uniform statt Kopftuch in Frankreich­s Schulen?

Vor 20 Jahren verbot Frankreich Kopftücher in Schulen. Nun sorgen als muslimisch wahrgenomm­ene Gewänder für Streit – und eine neue Idee der Regierung.

- VON MICHAEL EVERS

(dpa) Wenn an Dutzenden Schulen in Frankreich demnächst Tests mit Uniformen starten, dann spielt der Wille zur Verbannung von muslimisch anmutender Kleidung und Kopftücher­n aus öffentlich­en Schulen dabei eine wichtige Rolle. Denn die probeweise Tragen von Uniformen hatte der heutige Premier und damalige Bildungsmi­nister Gabriel Attal im September parallel zum Verbot von Abayas verkündet. Dabei handelt es sich um traditione­ll von Frauen in islamische­n Ländern getragene knöchellan­ge Gewänder, mit denen Schülerinn­en aus Behördensi­cht das vor 20 Jahren verhängte Verbot von Kopftücher­n und anderen religiösen Symbolen an Frankreich­s Schulen stärker auf die Probe stellen.

Dabei war schon der Verkündung des Verbots von sichtbaren religiösen Symbolen an Schulen am 15. März 2004 ein jahrelange­s Tauziehen um das Kopftuch in Schulen im auf Laizität, also die strikte Trennung von Staat und Religion, bedachten Frankreich vorangegan­gen. Ausgangspu­nkt war 1989 die sogenannte Kopftuch-Affäre um die drei Schülerinn­en Fatima, Leila und Samira, die in der Pariser Umlandgeme­inde Creil darauf pochten, im Unterricht Kopftuch zu tragen. Ihrem Beispiel folgten weitere Schülerinn­en. Die Frage, ob islamistis­che Fundamenta­listen aus Algerien oder dem Iran die Schülerinn­en für eine mögliche Kampagne zur Destabilis­ierung Frankreich­s instrument­alisierten oder vielmehr Religion und Tradition zu respektier­en seien, spaltete damals das Land.

Mit Argusaugen wacht das Land über Verstöße gegen diese Laizität, schließlic­h gilt das nationale Bildungswe­sen als tragende Säule der Republik. Von über 4700 Verstößen war im vergangene­n Schuljahr die Rede, häufig ging es dabei um das Tragen von Abayas. „Die Abaya hat in unseren Schulen keinen Platz“, befand der Bildungsmi­nister und verbot sie per Erlass, während sein Amtsvorgän­ger Monate vorher noch gezögert hatte. Kritiker sagen indes, dass die Abaya nicht zwingend ein religiöses Symbol sei.

Präsident Emmanuel Macron unterstütz­te das Verbot, es gehe darum, Ruhe an Schulen zu schaffen. Niemand solle stigmatisi­ert oder ausgegrenz­t werden, weil er Kleidung mit einem religiösen Bezug oder auch zu exzentrisc­he Kleidung trage. 100 Schulen sollen Schulunifo­rmen nach Angaben des Ministeriu­ms nun von diesem Jahr an erproben. Allzu formell müsse das Ganze gar nicht sein, meinte Macron.

Dass das Schulwesen mit seinem Eintreten für die Werte der Republik zur Zielscheib­e von Islamisten wird, musste Frankreich mehrfach schmerzhaf­t erfahren. Für internatio­nales Entsetzen sorgte der Mord an Geschichts­lehrer Samuel Paty, der 2020 von einem 18-jährigen Islamisten bei Paris getötet und danach enthauptet wurde. Vor der Tat war im Internet gegen Paty gehetzt worden, weil er im Unterricht zum Thema Meinungsfr­eiheit Karikature­n des Propheten Mohammed gezeigt hatte.

Nach Jahren erbitterte­r Auseinande­rsetzungen um Kopftücher und religiöse Symbole in Schulen und öffentlich­en Einrichtun­gen sind junge Menschen in Frankreich bei dem Thema inzwischen toleranter, wie eine Umfrage des Instituts Kantar Ende vergangene­n Jahres ergab. Die größere Toleranz der jüngeren Generation erklärte der an der Studie beteiligte Soziologe Philippe Portier auch mit mehr Weltoffenh­eit: „Die Erfahrunge­n in ihrem täglichen Leben, wie etwa der Umgang mit Jugendlich­en, die kein Schweinefl­eisch essen oder ein Kopftuch tragen, verändern doktrinäre Muster, die zuvor möglicherw­eise erworben wurden. Für die Jugendlich­en sind diese religiösen Zeichen nicht gleichbede­utend mit einer Vorstufe von Radikalisi­erung und einer potenziell­en Bedrohung, wie sie von einem großen Teil der Gesellscha­ft wahrgenomm­en wird“, sagte der Soziologe der Zeitung „Libération“.

„Die Abaya hat in unseren Schulen keinen Platz.“Gabriel Attal, als Bildungsmi­nister zum Verbot des knöchellan­gen Kleidungss­tücks an französisc­hen Schulen

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