Als die Familie noch eine Schallplattenfabrik in Russland hatte
Professor Peter Moll ist unter anderem als Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft bekannt. Aber er hat auch eine interessante Familiengeschichte.
Auswanderer-Geschichten atmen oft den Geist von Freiheit und Abenteuer und sind bei Ahnenforschern besonders beliebt. Leider erwacht bei vielen das Interesse erst im vorgerückten Alter, wenn es keine Angehörigen mehr gibt, die Auskunft über die Vorfahren geben können.
Peter Moll hat gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt. Der promovierte Geograf in den Diensten des Saarlandes, zuletzt als Abteilungsleiter in der Staatskanzlei zuständig für Europa und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, ist zwar auch bereits 85 Jahre alt (und noch immer Präsident der DeutschFranzösischen Gesellschaft). Aber er und seine Mitherausgeber Stephan Geussenhainer und Goder Moll hatten das Glück, tagebuchähnliche Aufzeichnungen ihrer Urgroßtante Karoline Gokina und Archivmaterial verwerten zu können. So entstand ihr Buch „Von Holstein nach Russland und zurück zur Zeit des letzten Zaren“.
Darin lassen sie nun ihre Vorfahren zu Wort kommen. Im ersten Teil erzählt Karoline Gokina, geborene Moll, ihre Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs und der bolschewistischen Revolution. Im zweiten Teil folgt der Bericht von Dr. Georg Moll. Seine akribisch recherchierte Ahnenforschung endet 1998. Angaben nach 1998 sind von den Herausgebern hinzugefügt.
Dieses ungewöhnliche Buch verknüpft ein Stück Familiensaga mit Wirtschaftsgeschichte, zeigt Aufstieg und Untergang eines familiengeführten Unternehmens und gewährt Einblick in den sowjetrussischen Kulturaustausch zwischen 1880 und 1929.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfaltete die aufstrebende russische Industrie Strahlkraft auf ganz Europa. Auch die Brüder Gottlieb und Alexander Moll aus Büdelsdorf in Holstein fühlten sich davon angezogen. Ab1880 errichte
ten sie im Bezirk Brjansk Emaillierwerke und später in Aprelewka bei Moskau die erste Schallplattenfabrik in Russland, die noch bis in die 1990er-Jahre produzierte.
Die für die damalige Zeit überragende Qualität der Emaille-Waren
der Familie Moll – Badewannen und Kochgeschirr – bescherte ihnen wirtschaftlichen Erfolg und Reichtum. „Die Zeit in Russland war unsere schönste Zeit“, schreibt Karoline in ihren Erinnerungen, „bis es uns gelang, im Jahre 1921, arm und halb
verhungert, verlaust und äußerlich verkommen Russland den Rücken zu kehren.“
30 Jahre verbringt die Familie in Wohlstand und Sorglosigkeit auf dem 1060 Hektar großen Familiengut Newedomskoje, von der
Bevölkerung „Moll-Gut“genannt. Aber die politischen Verhältnisse und familiäre Schicksalsschläge verändern das Leben dramatisch. Durch Weltkrieg, Revolution und Enteignung verlieren sie allen Besitz und kehren unter teils dramatischen Bedingungen nach Holstein zurück. Prof. Dr. Peter Moll, dessen Vater noch in Moskau geboren wurde, repräsentiert die vierte Generation der Moll-Dynastie und lebt seit 1970 mit seiner Frau Brigitte in Dudweiler.
„Von Holstein nach Russland und zurück zur Zeit des letzten Zaren“Hg. v. Peter Michael Moll, Stephan Geussenhainer, Goder Moll. Verlag Ludwig, Kiel 2023, ISBN 978-3-86935-450-7. 262 S., 74 Fotos, 4 Karten 24,90 €
Lesung aus dem Buch „Von Holstein nach Russland und zurück zur Zeit des letzten Zaren“mit Prof. Dr. Peter Moll am Dienstag, 19. März, 18 Uhr, im Haus der Union-Stiftung, Saarbrücken, Steinstraße 10. Anmeldung per Mail an: info@ unionstiftung.de