Hoch hinaus zum Wohl der Bäume
Sie sanieren, pflegen, fällen und legen Kataster an: die Baumpfleger oder Baumkletterer. Ein Ausbildungsberuf ist das hierzulande nicht. Trotzdem kann es nicht jeder.
Der Rathausturm in Stuttgart ist 60 Meter hoch, der schiefe Turm von Pisa mit 58 Metern knapp drunter. Mit 63 Metern war Felix Wenz knapp drüber. Damals, als der gerade 20-Jährige frei schwebend seinen bislang höchsten Einsatz als Baumfäller hatte. In einem Innenhof in Neunkirchen war das. Um an die Bäume zu kommen, musste er mittels Sicherung hochgezogen werden. Angst? „Das weiß ich gar nicht wirklich zu sagen“, erinnert er sich elf Jahre später im Gespräch mit der SZ. „Aber als es dann losging, wäre es ja sowieso zu spät gewesen.“
Damals war Wenz noch angestellt. Heute – seit 2017 um genau zu sein – hat Wenz zusammen mit Andreas Schuler ein eigenes Unternehmen: die Woodpeckers. Firmensitz in Marpingen, Büroräume in Kirkel im Haus von Wenz' Opa, der früher im Holzhandel war.
Die Woodpeckers, das sind elf Leute: Zehn Baumfäller und Nadin Graf im Büro. Alles Quereinsteiger. Was nicht wundert, denn im Gegensatz zum Nachbarland Frankreich ist Baumfäller oder -pfleger, wie es korrekter heißt, kein Ausbildungsberuf in Deutschland. Was Wenz bedauert. Er fände es gut, wenn es nicht allzu einfach gemacht würde, diesen Job zu machen. Immerhin: Die meisten Baumpfleger, auch bei den Woodpeckers, kommen aus so genannten grünen Berufen, kennen sich also aus mit Bäumen. Wenz ist gelernter Forstwirt, ebenso wie der 48-jährige Mitinhaber Schuler.
Auch der 32-jährige Kuseler Philipp Marquardt hat diesen klassischen Weg gemacht. Er hat Forstwirt gelernt, dann die Kletterausbildung gemacht, wurde Fach-Agrarwirt für Baumpflege und Baumsanierung. Dann gibt es da noch den 26-jährigen gelernten Garten- und Landschaftsbauer Benjamin Schmidt aus St. Wendel oder auch Florian Schery, mit 22 Jahren der Jüngste der Runde, ebenfalls aus St. Wendel und gelernter Zimmermann. Und dann natürlich Priska Sommer. Gerade mal 25 Jahre alt und eigentlich gelernte Erzieherin. Allerdings sei sie immer schon gerne draußen gewesen, habe irgendwann die Idee gehabt, etwas mit Bäumen, mit Holz zu machen. Das passt zum Beruf des Bruders, der Schreinermeister ist. Seit Juli 2022 ist die Saarbrückerin
im Team. Inzwischen ist Sommer FLL-zertifizierte Baumkontolleurin. Eingesetzt wird sie genauso wie ihre männlichen Kollegen, betonen die Chefs. „Nur wenn es mal darum geht, besonders schwere Stücke aufzuladen, das übernehmen dann die Männer“, sagt Wenz.
Da gehört dann unter Umständen Max Malinowski dazu. Der 15-Jährige ist der Neffe von Schuler und jobbt in den Ferien hier, seit er sein dreiwöchiges Schulpraktikum dort absolviert hatte. Seitdem ist der Jugendliche aus Dudweiler jede freie Minute dabei.
Wie in so vielen Berufen sieht es auch bei den Baumpflegern eher mau in Sachen Nachwuchs aus. Wer Baumpfleger werden will, der sollte ein paar Voraussetzungen erfüllen: ausreichend fit, in entsprechender physischer Verfassung sein und nicht unter Höhenangst leiden. Teamfähigkeit ist ein weiterer ganz wichtiger Punkt. „Es kann überlebenswichtig sein, dass man sich auf den Partner verlassen kann“, betont Wenz.
Gearbeitet wird immer mindestens zu zweit. „Damit notfalls jemand Hilfe holen kann“, sagt Schuler, dem aber keine Situation einfällt, wo das notwendig gewesen wäre.
Mit 18 Jahren kann man die ersten Schritte in Richtung Einsatz machen. Wenz hat mit 18 schon gleich den erforderlichen Kletterkurs gemacht, also die Seilklettertechnik speziell für Bäume, erlernt. Es folgten viele Weiterbildungen, bei ihm ebenso wie bei Schuler.
Was sie an der Arbeit lieben? „Kein Tag ist gleich, kein Baum ist gleich“, sagt Wenz. „Oft macht man sich vorher einen Plan, und dann kommt es doch ganz anders, als man denkt“, ergänzt Schuler. „Man arbeitet eben mit der Natur.“
Nicht selten komme es vor, sagt Wenz, dass man über seinen eigenen Schatten springen muss. „Respekt sollte man haben“, sagt er. „Es darf keine Routine werden.“Dann nämlich steige die Gefahr, dass etwas passiert. Man müsse da schon mal aus der Komfortzone raus. Gerade bei Einsätzen hoch oben, wenn man frei hängt, da sei es auch wichtig, dass man dem Material vertraut. Doppelt gesichert laufen diese Einsätze ab. „Ich habe vor nichts Angst, was die Höhe betrifft“, sagt Schuler, der sich momentan vorstellt, bis etwa 55 Jahren mit hoch zu gehen. „Noch fällt mir das alles leicht.“
Wichtig ist den Woodpeckers: Die Arbeit besteht längst nicht nur im Baumfällen. Die Pflege, die Baumerhaltung spielen eine große Rolle, das Erstellen von Baumkatastern und die Baumkontrolle. Das machen die Woodpeckers für Kommunen, Firmen und Privatleute im Saarland und der angrenzenden Pfalz. Auch beim großen Kahlschlag in Homburg fürs neue Gewerbegebiet nahe der Autobahn waren sie drei Monate lang zusammen mit anderen Unternehmen tätig. Und manchmal muss man auch Katzen retten, wie Wenz erklärt: „Dieselbe Katze, zwei Mal, auf demselben Baum.“
Viele Spezialisierungen sind möglich. Vom Erstellen von Baumgutachten bis hin zur Schädlingsbekämpfung. Die Woodpeckers machen so viele, wie nur geht. Der Wunsch der Chefs: Alle Mitarbeiter sollen auf demselben Stand sein.
Erst wollen den Baumkletterern keine besonderen Einsätze einfallen. „Jeder Tag ist besonders“, sagt Schuler. Und dann geht es doch Schlag auf Schlag.
Da war der Nachteinsatz in Spiesen-Elversberg im vergangenen Jahr, wo im Regen in einer Extremsituation dringend Bäume weg mussten. Oder vergangenen November in Rentrisch, als die Polizei Hilfe beim Fällen von fünf Bäumen gebraucht hat, die drohten auf ein Haus zu fallen. Oder aber auch, als sie in Güdingen dabei waren, zwei Eichen zu fällen und vom Eisregen überrascht wurden. „Eine halbe Stunden haben wir auf dem Baum gesessen“, erinnert sich Schuler, „dann konnten wir langsam runter“.
Womit wir bei den Gründen wären, die einen Einsatz verhindern: Starkregen, Schnee, starker Wind. „Grundsätzlich ist es jedem Mitarbeiter freigestellt, zu entscheiden. Die müssen das selbst einschätzen“, sagt Wenz. Aber eins ist ganz klar: „Bei Gewitter geht es direkt runter“, versichert Schuler.
Damit die SZ einen Eindruck bekommt, wie so ein Einsatz abläuft, hat Nadin Graf ein Video rausgesucht. Hier ist es Wenz, der am Haken hängt. Hin und her schwenkt es ihn in den Baumkronen. „Das war aber nicht ganz so hoch“, erklärt er. „So zehn bis 15 Meter.“
Schon beim Zugucken braucht es da gute Nerven. Die hat Wenz offenbar, wie der Film beweist. Allerdings nur so lange, bis er im Flugzeug sitzt. „Ich habe Flugangst, da bin ich wie versteinert“, verrät er. Graf erzählt von Erinnerungen an einen Betriebsausflug in den Europapark: „Kein Fahrgeschäft zu hoch, zu schnell.“
Da es, wie Schuler sagt, „nicht wirklich genug Leute“für den Job gibt, könne man gerne mal für einen Tag oder für ein (Schul-)Praktikum bei den Woodpeckers reinschnuppern. Auch, wer noch keine 18 Jahre alt ist, kann das tun. Dann allerdings sind die Einsatzmöglichkeiten entsprechend eingeschränkt.
„Respekt sollte man immer haben. Es darf keine Routine werden.“Felix Wenz Mitinhaber Woodpeckers Saar