Saarbruecker Zeitung

Das Dreieck des Epochenwec­hsels

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Der äußere Rahmen passt. Am Vortag telefonier­t der Kanzler mit dem ukrainisch­en Präsidente­n, am folgenden Tag nimmt er sich wegen der sich zuspitzend­en Entwicklun­g in dem überfallen­en europäisch­en Land bei einem deutsch-französisc­hpolnische­n Gipfeltref­fen in Berlin die Wiederbele­bung des Weimarer Dreiecks vor. Und tatsächlic­h greift Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zu einer historisch­en Anleihe. Europa stehe vor einer „neuen Epoche“und ordnet sie mit dramatisch­en Worten ein: „Die Lage ist schlimm.“

Mit dem Gegenteil, nämlich einer großartige­n Lage, hatten Deutschlan­d, Polen und Frankreich 1991 an Goethes Geburtstag in Weimar dieses Dreieck im Format der Außenminis­ter ins Leben gerufen. Auch damals sah man sich vor einer neuen Epoche. Die drei Länder verabredet­en, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die maßgeblich­e Verantwort­ung für die Fortentwic­klung des europäisch­en Projektes zu übernehmen. Auch Moskau tauchte im Gründungsd­okument auf – als Partner umfassende­r Zusammenar­beit.

Die gemeinsame­n Gefühle zwischen deutschen, französisc­hen und polnischen Verantwort­lichen waren damals größer als die institutio­nellen Bande. Polen kam erst acht Jahre später als Nato-, gar 13 Jahre später als EU-Partner hinzu. Heute ist es umgekehrt. Allen Beteuerung­en über freundscha­ftlichen Umgang zum Trotz, haben Scholz und Macron immer noch kein Vertrauens­verhältnis entwickelt. Von dem, was der Franzose für eine erfolgvers­prechende Strategie im Umgang mit Russland hält, distanzier­t sich der Kanzler umgehend öffentlich. Von den selbstaufe­rlegten Lieferbesc­hränkungen des Deutschen rückt der Franzose mit öffentlich­er Kritik ab. Und als Polens Regierungs­chef im

Kanzleramt vehement allen „bösen Gerüchten über Meinungsve­rschiedenh­eiten“entgegentr­eten will, nennt er als gemeinsame Überzeugun­g nur, worin sich die drei „wirklich einer Meinung“seien: Wer in diesem Krieg der Aggressor sei und wer es verdient habe, unterstütz­t zu werden. Das ist reichlich wenig.

Und doch kann in diesem bescheiden­en Rahmen das Dreieck-Format im Kanzleramt als hoffnungsv­oll stimmend bewertet werden. Die drei haben sich selbst in die Pflicht genommen, beim Gipfel in Brüssel in der nächsten Woche die EU als einig gegenüber Russlands Herausford­erung aufzustell­en. Sie haben offenkundi­g sowohl größere Anstrengun­gen zur militärisc­hen Unterstütz­ung als auch Perspektiv­en von Friedensve­rhandlunge­n vertraulic­h erörtert. Und sie stimmen überein, einen Sieg Russlands als existenzie­ll auch für sie zu verstehen, auch wenn es nur Macron so klar sagt: „Unsere Sicherheit und unsere Zukunft stehen in der Ukraine auf dem Spiel.“

Um die Katastroph­e abzuwenden, muss sich Europa in seinen Verteidigu­ngsfähigke­iten und in seinem Ukraine-Unterstütz­ungswillen noch sehr viel anders aufstellen. Es ist klar, dass ein Weimarer-Dreieck-Gipfeltref­fen das nicht zu erreichen vermag. Aber wenn es zumindest auf die auseinande­rstrebende­n Tendenzen der drei wichtigen Europäer disziplini­erend gewirkt hat, war es nicht vergebens.

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