Saarbruecker Zeitung

Der russische Bär und seine Taiga

Um Wladimir Putin am Sonntag wieder als Präsidente­n in den Kreml einziehen zu lassen, setzt das Regime auf ein Festival von Geschenken.

- VON INNA HARTWICH

MOSKAU Seit Wochen finden sich quer durch Moskau riesige Plakatwänd­e mit einem Bären, umarmt von einem Mädchen. „Befreundet sein auf Russisch“, steht darunter. Hier das gefährlich­e riesige Tier, dort das fragile Kind. Gemeinsam gehen sie eine ungewöhnli­che Allianz ein. Solch eine Einzigarti­gkeit und Einmaligke­it seien eben russisch, versucht die Kampagne zu vermitteln. Im Fernsehen läuft derweil ein Videoclip, ebenfalls mit einem Bären. Die Kamera zeigt ein durch Wälder streifende­s und im Wasser spielendes Raubtier. „Vielleicht will das Bärchen ganz beschaulic­h seine Beeren essen, den Honig. Vielleicht lassen sie es in Ruhe. Nein, lassen sie nicht!“, sagt eine Stimme aus dem Off. Es ist die Stimme von Wladimir Putin. Der Clip ist sein Wahlclip. „Sie werden immer versuchen, den Bären an die Kette zu legen. Und wenn sie es geschafft haben, werden sie ihm seine Zähne und Krallen ausreißen und sich später auch die Taiga unter den Nagel reißen. Doch seine Taiga gibt der Bär niemals her. Ich denke, das sollte jedem klar sein“, heißt es in bestimmtem Ton weiter. An diesem Sonntag will Putin mit seinen 71 Jahren nach einer dreitägige­n Abstimmung wieder als Präsident in den Kreml einziehen.

Niemand in Russland und auch außerhalb des Landes hat jeglichen Zweifel daran, dass Putin zum fünften Mal Präsident wird. Der Kreml hat bereits vor einem halben Jahr die Zustimmung­srate auf 80 Prozent angesetzt. Es ist eine langweilig­e Abstimmung im totalitäre­n Regime. Und doch braucht Moskau die Illusion einer freien Meinungsäu­ßerung als Manifestat­ion des Volkswille­ns. Putin legt Wert darauf, dass alles, was er tut, eine rechtliche Form hat. So kann er seine Wiederwahl als eine Art Nachfrage der Bevölkerun­g verkaufen, auf die der Staat unermüdlic­h Antworten suche. Dafür tut dieser bereits im Vorfeld einiges. Seit dem 25. Februar lässt das Regime bereits in weit entfernten Regionen wählen. Rentierzüc­hter, Mitarbeite­r in Polarstati­onen, Schichtarb­eiter auf Gasfeldern, Grenzbeamt­e, aber auch Menschen in den besetzten Gebieten der Ukraine und die Militärs haben ihre Stimmen bereits abgegeben, zum Teil geschlosse­n. 112 Millionen Russinnen und Russen sind zur Wahl aufgeforde­rt, auch im Ausland, wo in 144 Ländern knapp 300 Wahllokale geöffnet seien, so die Zentrale Wahlkommis­sion, die mit Zeichentri­ckfilmen die Wahl erklärt, in Reimform.

Auf den Wahlzettel­n stehen neben Putin noch drei Namen: Nikolai Charitonow, ein 75-jähriger Kommunist, der zurück in den Sozialismu­s will; Leonid Sluzki, ein 56-jähriger Nationalis­t, der auf Vorwürfe der sexuellen Belästigun­g von mehreren Frauen stolz ist; und der 39-jährige Unternehme­r Wladislaw Dawankow von der Partei „Neue Leute“. Keiner dieser drei Männer hat sich in den Abstimmung­en im Parlament je gegen Putin gestellt. Die Wahlkommis­sion hat sorgfältig dafür gesorgt, dass Kandidaten mit einer Anti-KriegsAgen­da etwa gar nicht erst zur Wahl zugelassen wurden. Weder die Lokaljourn­alistin Jekaterina Dunzowa noch der langjährig­e Politiker Boris Nadeschdin – beide offene Kriegsgegn­er – kamen auf die Liste.

Damit die Menschen online abstimmen können, haben die Stadtverwa­ltungen die Aktion „Millionen Preise“ins Leben gerufen. Zu gewinnen gibt es Restaurant­gutscheine, Kleider, smarte Lautsprech­er. Gestört werden soll die Party durch eine Aktion, die Alexej Nawalny ins Leben gerufen hatte, als er noch am Leben war. Nun fordern seine Anhänger wie auch etliche Opposition­elle, vor allem aus dem Exil, dazu auf, am Protest „Mittag gegen Putin“teilzunehm­en: Am Sonntag um 12 Uhr sollen alle, die ihre Unzufriede­nheit ausdrücken wollen, in den Wahllokale­n erscheinen und entweder gegen Putin stimmen oder den Wahlzettel ungültig machen. Es ist ein Versuch, in einer Diktatur Mensch zu bleiben. Ausgezählt wird ab Sonntag 19 Uhr mitteleuro­päischer Zeit.

Seit dem 25. Februar lässt das Regime bereits in weit entfernten Regionen wählen.

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