EU bringt Lieferkettengesetz auf den Weg
Die EU-Länder haben sich auf ein europäisches Lieferkettengesetz geeinigt. Trotz der von der FDP durchgesetzten Enthaltung Deutschlands gab es eine Mehrheit, auch wenn sie denkbar knapp ausfiel.
BRÜSSEL Im sprachlichen Alltag der EU-Blase hat sich in den vergangenen Wochen das Bonmot „Hätte, hätte Lieferkette“als Ausdruck des schwarzen Humors durchgesetzt. Immerhin stand das umstrittene EU-Gesetz erst vor einer ungewissen Zukunft, dann vor dem Aus. Ende Februar schrieb die Brüsseler Journaille Nachrufe auf die Richtlinie, die dafür sorgen soll, dass europäische Unternehmen die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten im Ausland sicherstellen.
Doch die EU rühmt sich gerne damit, Lösungen in ausweglos erscheinenden Situationen zu finden. Und nun hat sie das Regelwerk tatsächlich wiederbelebt, wenn auch in deutlich abgeschwächter Form. Es fand am Freitag die Unterstützung einer knappen Mehrheit der Mitgliedstaaten. Deutschland wurde überstimmt. Berlin hatte sich mit dem berühmtberüchtigten German Vote enthalten. Faktisch gleicht es einem Nein. Darauf bestand die FDP, die Anfang des Jahres ihre Zustimmung zurückgezogen und damit die Bundesregierung zu einer Enthaltung gezwungen hatte. Die Liberalen schoben ihr Veto auf die Befürchtung, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen könnten. Ausschlag für die nötige Mehrheit gab am Ende Italien. Rom hatte das Gesetz ebenfalls blockiert, den Widerstand aber aufgegeben, nachdem etliche Änderungen vorgenommen wurden.
Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.
Es sei „der klaren Haltung der FDP zu verdanken, dass das Gesetz an vielen Stellen verbessert wurde“, sagte die liberale Europaabgeordnete
Svenja Hahn. So solle unter anderem der Bausektor nicht mehr als Hochrisiko gelten sowie würden höhere Grenzschwellen greifen. Trotzdem bestand die FDP am Freitag auf ihrem Nein. „Unterm Strich bleibt das
Lieferkettengesetz praxisfern, weil grundlegende Probleme, wie unklare Haftungsregeln außerhalb des eigenen Einflussbereichs bestehen bleiben“, so Hahn.
Die FDP habe in Brüssel „eine Schneise des Chaos hinterlassen, das Image der Bundesregierung als zuverlässiger Verhandlungspartnerin angekratzt und gezeigt, worum es ihr eigentlich ging: das Lieferkettengesetz aus parteitaktischen Gründen zu begraben“, kritisierte die EU-Parlamentarierin Anna Cavazzini von den Grünen. Obwohl das Gesetz laut Kritikern „verwässert“wurde, zeigte sich die Politikerin erleichtert: „Menschenrechte siegen über eine massive Lobbykampagne und FDPKlientelpolitik.“Auch der Sozialdemokrat Tiemo Wölken befand, die
Liberalen seien „mit ihrer Sabotage grandios gescheitert“. „Trotz aller falschen Behauptungen der FDP sind kleine und mittelgroße Unternehmen von den Pflichten weitgehend ausgenommen“, so Wölken. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) bezeichnete die Einigung als „Meilenstein“, unter anderem für die Arbeiter, „die unter schwierigsten Bedingungen und zu niedrigsten Löhnen für uns produzieren“oder „die zur Arbeit gezwungenen Kinder, die nicht zur Schule gehen können“.
Dagegen kritisierten Vertreter der deutschen Wirtschaft die Einigung scharf. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sprach von „wirklichkeitsfremden Vorstellungen“und einem „weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit“. Das Gesetz schaffe „neue Hindernisse für Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft“. So bürde die Richtlinie Unternehmen „uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen Aufwand verursachen“. Der Chef des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, nannte den Kompromiss „übereilt und unausgereift“und warnte vor „vielen Unsicherheiten und unkalkulierbaren Risiken für die Handwerksbetriebe, die sich als Zulieferer oder Dienstleister in den Wertschöpfungsketten größerer Unternehmen befinden“. Die CSU-Europaparlamentarierin Angelika Niebler bezeichnete die Richtlinie als „Katastrophe“für kleine und mittelständische Firmen. „Für sie droht noch mehr Bürokratie.“Trotzdem gilt es als sicher, dass das Gesetz bei der finalen Abstimmung vom EU-Parlament abgesegnet wird.
„Menschenrechte siegen über eine massive Lobbykampagne und FDP-Klientelpolitik.“Anna Cavazzini (Grüne) Abgeordnete des Europaparlaments