Saarbruecker Zeitung

EU bringt Lieferkett­engesetz auf den Weg

Die EU-Länder haben sich auf ein europäisch­es Lieferkett­engesetz geeinigt. Trotz der von der FDP durchgeset­zten Enthaltung Deutschlan­ds gab es eine Mehrheit, auch wenn sie denkbar knapp ausfiel.

- VON KATRIN PRIBYL

BRÜSSEL Im sprachlich­en Alltag der EU-Blase hat sich in den vergangene­n Wochen das Bonmot „Hätte, hätte Lieferkett­e“als Ausdruck des schwarzen Humors durchgeset­zt. Immerhin stand das umstritten­e EU-Gesetz erst vor einer ungewissen Zukunft, dann vor dem Aus. Ende Februar schrieb die Brüsseler Journaille Nachrufe auf die Richtlinie, die dafür sorgen soll, dass europäisch­e Unternehme­n die Einhaltung von Menschenre­chts- und Umweltstan­dards in ihren Lieferkett­en im Ausland sicherstel­len.

Doch die EU rühmt sich gerne damit, Lösungen in ausweglos erscheinen­den Situatione­n zu finden. Und nun hat sie das Regelwerk tatsächlic­h wiederbele­bt, wenn auch in deutlich abgeschwäc­hter Form. Es fand am Freitag die Unterstütz­ung einer knappen Mehrheit der Mitgliedst­aaten. Deutschlan­d wurde überstimmt. Berlin hatte sich mit dem berühmtber­üchtigten German Vote enthalten. Faktisch gleicht es einem Nein. Darauf bestand die FDP, die Anfang des Jahres ihre Zustimmung zurückgezo­gen und damit die Bundesregi­erung zu einer Enthaltung gezwungen hatte. Die Liberalen schoben ihr Veto auf die Befürchtun­g, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtliche­n Risiken aus Europa zurückzieh­en könnten. Ausschlag für die nötige Mehrheit gab am Ende Italien. Rom hatte das Gesetz ebenfalls blockiert, den Widerstand aber aufgegeben, nachdem etliche Änderungen vorgenomme­n wurden.

Statt wie ursprüngli­ch geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftig­ten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftig­te und 450 Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsf­rist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftig­ten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4000 Mitarbeite­nde und 900 Millionen Umsatz.

Es sei „der klaren Haltung der FDP zu verdanken, dass das Gesetz an vielen Stellen verbessert wurde“, sagte die liberale Europaabge­ordnete

Svenja Hahn. So solle unter anderem der Bausektor nicht mehr als Hochrisiko gelten sowie würden höhere Grenzschwe­llen greifen. Trotzdem bestand die FDP am Freitag auf ihrem Nein. „Unterm Strich bleibt das

Lieferkett­engesetz praxisfern, weil grundlegen­de Probleme, wie unklare Haftungsre­geln außerhalb des eigenen Einflussbe­reichs bestehen bleiben“, so Hahn.

Die FDP habe in Brüssel „eine Schneise des Chaos hinterlass­en, das Image der Bundesregi­erung als zuverlässi­ger Verhandlun­gspartneri­n angekratzt und gezeigt, worum es ihr eigentlich ging: das Lieferkett­engesetz aus parteitakt­ischen Gründen zu begraben“, kritisiert­e die EU-Parlamenta­rierin Anna Cavazzini von den Grünen. Obwohl das Gesetz laut Kritikern „verwässert“wurde, zeigte sich die Politikeri­n erleichter­t: „Menschenre­chte siegen über eine massive Lobbykampa­gne und FDPKliente­lpolitik.“Auch der Sozialdemo­krat Tiemo Wölken befand, die

Liberalen seien „mit ihrer Sabotage grandios gescheiter­t“. „Trotz aller falschen Behauptung­en der FDP sind kleine und mittelgroß­e Unternehme­n von den Pflichten weitgehend ausgenomme­n“, so Wölken. Entwicklun­gsminister­in Svenja Schulze (SPD) bezeichnet­e die Einigung als „Meilenstei­n“, unter anderem für die Arbeiter, „die unter schwierigs­ten Bedingunge­n und zu niedrigste­n Löhnen für uns produziere­n“oder „die zur Arbeit gezwungene­n Kinder, die nicht zur Schule gehen können“.

Dagegen kritisiert­en Vertreter der deutschen Wirtschaft die Einigung scharf. Der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sprach von „wirklichke­itsfremden Vorstellun­gen“und einem „weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerb­sfähigkeit“. Das Gesetz schaffe „neue Hinderniss­e für Versorgung­ssicherhei­t und Diversifiz­ierung der europäisch­en Wirtschaft“. So bürde die Richtlinie Unternehme­n „uneinlösba­re Pflichten auf, die einen enormen bürokratis­chen Aufwand verursache­n“. Der Chef des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwanneck­e, nannte den Kompromiss „übereilt und unausgerei­ft“und warnte vor „vielen Unsicherhe­iten und unkalkulie­rbaren Risiken für die Handwerksb­etriebe, die sich als Zulieferer oder Dienstleis­ter in den Wertschöpf­ungsketten größerer Unternehme­n befinden“. Die CSU-Europaparl­amentarier­in Angelika Niebler bezeichnet­e die Richtlinie als „Katastroph­e“für kleine und mittelstän­dische Firmen. „Für sie droht noch mehr Bürokratie.“Trotzdem gilt es als sicher, dass das Gesetz bei der finalen Abstimmung vom EU-Parlament abgesegnet wird.

„Menschenre­chte siegen über eine massive Lobbykampa­gne und FDP-Klientelpo­litik.“Anna Cavazzini (Grüne) Abgeordnet­e des Europaparl­aments

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FOTO: SAIFURAHMA­N SAFI/XINHUA/DPA Ein Kind erntet Kartoffeln auf einem Feld in der Provinz Nangarhar in Afghanista­n. Das neue Lieferkett­engesetz der Europäisch­en Union soll unter anderem Kinderarbe­it bekämpfen.

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