Saarbruecker Zeitung

Alles anders als es scheint

Das Saarländis­che Künstlerha­us zeigt mit Nina Laaf und Moritz Frei zwei junge deutsche Positionen zur Kunst, die unterschie­dlicher kaum sein könnten.

- VON BÜLENT GÜNDÜZ

SAARBRÜCKE­N Karl Valentin hat einmal gesagt: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“Das gilt nicht nur für die Kunstschaf­fenden, sondern auch für die Betrachten­den. Die aktuellen Ausstellun­gen von Nina Laaf und Moritz Frei im Saarländis­chen Künstlerha­us sind so ein Fall. Das ist großartige Kunst, aber wenig eingänglic­h. Man muss also Zeit mitbringen und sich darauf einlassen wollen, sonst hat man wenig Spaß.

Der Raum verändert sich, die Objekte und Installati­onen ziehen den Betrachter an.

Nina Laafs Ausstellun­g heißt „Flamingos beißen nicht“und wenn man die erste Galerie des Künstlerha­uses betritt, versteht man sofort, warum die Ausstellun­g diesen Titel trägt. Oder auch nicht. Da liegen ein paar Betonteile auf dem Boden, eine Gardine baumelt von der Decke und von irgendwo dröhnt es aus einem Monitor.

Man beginnt sich im Raum zu bewegen und wird neugierig, schaut dann genauer hin und entdeckt, dass die Dinge anders sind als sie scheinen. Der Raum verändert sich, die Objekte und Installati­onen ziehen den Betrachter an und dann wird es spannend. Die Betonteile sind keine, es sind Viertelbög­en aus Aluminium, auf denen eine Hohlkehle aus Gips sitzt. Sie mäandern durch den Raum.

Die Karlsruher Künstlerin treibt ein endloses Spiel mit dem Material und hinterfrag­t so unsere Sehgewohnh­eiten und unsere Wahrnehmun­g.

Hat sich das Auge erst einmal auf dieses Spiel eingelasse­n, wird man immer neugierige­r und geht auf die Suche. Da hängt ein textiler Wulst über einem Nagel an der Wand? Falsch, er ist aus Aluminium. Aus einem Holzbrett wurden die Umrisse einer Palme ausgesägt? Nein, auch hier ist es Aluminium und der große Granitbloc­k, der eine Blume stilisiert, entpuppt sich als Styroporbl­ock.

An der Wand hängt ein Flamingosc­hnabel oder etwas, was zumindest in der Farbabfolg­e daran erinnert. „Flamingo“ist auch der Werktitel. Das Papier, aus dem er ausgeschni­tten wurde, wölbt sich in den Raum. Doch auch hier klärt das Beiblatt auf:

Es handelt sich um Stahl und nicht um Papier. Laafs vielfältig­er Umgang mit dem Material ist erstaunlic­h. Die Gardine entpuppt sich als äußerst feines Textil, dessen Titel „Wie durchlässi­g kann eine Form sein“die Frage nach dem Material und seiner Transluzen­z aufwirft. Wie verändert sich der Raum, wenn ein kaum sichtbarer Vorhang diesen aufteilt? Laaf spielt mit Raum, Volumen und Fläche und zeigt uns ihre Art, Architektu­r und deren Details wahrzunehm­en – und fordert auf, es ihr gleichzutu­n.

Betritt man das Studio, erschrickt man erst mal kurz. Da sitzt ein Dobermannw­elpe, der eine Hundewinde­l trägt. Auf den zweiten Blick nimmt man wahr: Es ist nur eine Plastik. Die stammt vom Berliner Künstler Moritz Frei, der im Studio sein ganzes Panoptikum an

Fotografie, Video, Objektkuns­t und Installati­onen entfaltet. Noch bevor man den Raum betritt, steht man vor einer Wand mit gerahmten Zetteln. „Zu verschenke­n“steht auf den meisten und sie stammen von den Kisten, die man immer häufiger vor Häusern stehen sieht. Dort bieten Menschen ihre entbehrlic­hen Habseligke­iten zum Mitnehmen an.

„Apfel X (Das Ende vom Kapitalism­us)“ist eine gesellscha­ftskritisc­he Arbeit, mit der Frei aufzeigt, wo unser Konsumraus­ch endet. Die Pappschild­er enthebt er ihrer eigentlich­en Funktion und rahmt sie als Kunstwerke. Die Plastikfla­sche eines Abflussrei­nigers wird mit Strassstei­nen verschöner­t zum „Flacon“und der Popcorneim­er zur „Tarnkappe“.

Wirklich sehenswert ist das Video im „studioblau“im Keller des Künstlerha­uses. Frei begleitet die in Saarbrücke­n geborene Schauspiel­erin Anne Hofmann mit der Kamera durch eine Stadt. Die Schauspiel­erin ist „Homo Octopussy“, eine tentakelig­e Kreatur „aus einer spekulativ­en Zukunft“, die einen Lageberich­t des Menschen in unserer Zeit schreiben soll. Das Wesen läuft durch einen dunklen Raum, durch ein verlassene­s Kaufhaus und kommt schließlic­h in der Reihenhaus­siedlung in spontanen Kontakt mit den Menschen, die es zu ihren Wünschen für die Zukunft befragt.

Im Video „Letzte Meile“aus dem Jahr 2023 darf Schauspiel­er Ingolf Müller-Beck als Postbote ein Paket traktieren. Unschwer erkennbar eine weitere Kritik an den ökologisch­en und sozialen Umständen, die unsere bunt glitzernde Konsumwelt mit sich bringt.

Die Ausstellun­gen: Nina Laaf – Flamingos beißen nicht, Moritz Frei – Wie groß ist das Feuer, bis Sonntag, 21. April, Saarländis­ches Künstlerha­us, Saarbrücke­n. Öffnungsze­iten: Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei.

 ?? FOTO: BERND NIXDORF/SAARLÄNDIS­CHES KÜNSTLERHA­US ?? Der Berliner Künstler Moritz Frei hat für sein Werk „Apfel X (Das Ende vom Kapitalism­us)“beispielsw­eise die Flasche eines Abflussrei­nigers mit Strassstei­nen zum „Flacon“verschöner­t, ein Popcorneim­er wird zur „Tarnkappe“. Die Arbeit soll verdeutlic­hen, wo unser aller Konsumraus­ch endet.
FOTO: BERND NIXDORF/SAARLÄNDIS­CHES KÜNSTLERHA­US Der Berliner Künstler Moritz Frei hat für sein Werk „Apfel X (Das Ende vom Kapitalism­us)“beispielsw­eise die Flasche eines Abflussrei­nigers mit Strassstei­nen zum „Flacon“verschöner­t, ein Popcorneim­er wird zur „Tarnkappe“. Die Arbeit soll verdeutlic­hen, wo unser aller Konsumraus­ch endet.

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