„Kaldûn“– ein Theaterstück über die französische Kolonialzeit
FORBACH Wenn so Geschichtsunterricht aussähe, dann möchte man sofort noch mal zur Schule gehen. Mit einem grandiosen Musik-Theaterabend, der zu Herzen ging, führte uns Abdelwaheb Sefsaf am Donnerstag im Forbacher Le Carreau ein wenig bekanntes Kapitel aus der Zeit der imperialistischen französischen Kolonialherrschaft mit den typischen Verbrechen vor Augen.
Oder wer hätt's gewusst, dass der französische Staat in den 1870ern die Gescheiterten dreier Aufstände,
Pariser Kommunarden, Algerier und Kanaken (Indigene Kaledoniens), im kolonial besetzten Neu-Kaledonien zusammenführte und „bestrafte“? Sefsaf, Sänger, Schauspieler, Regisseur und Autor von „Kaldûn“, erzählte hinterher, er habe sich durch 50 Bücher gelesen und drei Jahre an Recherche und Vorbereitung für sein Stück gebraucht.
Sefsaf, selbst Sohn eines algerischen Einwanderers, der in Forbach als Grubenarbeiter anfing, wählte für sein Geschichtsepos die bestmögliche Form: Er lässt in einer Reihe von starken Tableaus die Vertreter der drei betroffenen Gruppen aus deren Sicht die Ereignisse erzählen. Entsprechend bunt und divers ist seine 14-köpfige Truppe, zu der auch ein Ensemble für alte Musik, Canticum Novum, zählt.
Los geht's gleich mit einer SchockSzene: Zwei Indigene aus Neu-Kaledonien werden auf der Pariser Völkerschau in Käfigen vorgeführt, wie Tiere, damit war das unsäglich rassistische Menschenbild der Zeit gleich klargestellt.
Weitere Szenen führen das Publikum nach Algerien, in die Kasbah, wo Aziz, einer der Chefs des Mokrani-Aufstands gegen die französischen Kolonialbesatzer, per Schiff den Weg in die Verbannung antreten muss.
Im Vauban-Fort in Brest, so das nächste Bild, trifft er mit den dort inhaftierten Kommunarden zusammen, darunter die berühmte Louise Michel. Eingepfercht in Käfige in einem Schiffsbau, geht es für alle sieben Monate übers Meer bis auf die Pazifikinseln, denen die Algerier den Namen „Kaldûn“geben. Dort treffen die Verbannten auf die ursprüngliche Bevölkerung, die durch die französische Besatzung ihrer Rechte und ihres Lands beraubt leben, und auf einen ihrer Chefs, Atai, der später dort die Revolte anführt.
Wie es Sefsaf gelingt, die komplexe historische Situation, das Denken und Fühlen der Protagonisten in kurzen, lebendigen Dialogen jeweils verständlich zu machen, das ist äußerst beeindruckend.
Man fühlt jedes Unrecht, das den Algeriern, Kommunarden und Kanaken angetan wird, genau nach und mit. Zu einem wichtigen emotionalen Träger der Szenen wird dabei die mitreißende Musik, die je nachdem mal mehr algerisch-orientalisch, mal nach der typisch französischen Mischung mit Musette-Charakter klingt.
Sesaf als Erzähler, Sänger sowie arabische Sängerinnen sorgen für die stimmliche Krönung des Klangs. Eine Augenweide sind die aufwendigen Bühnenbilder, deren laufender Wechsel hinter geschlossenem Vorhang durch Projektionen, Spiel, Musik und Tanz der Darsteller fast unmerklich von statten geht.