Saarbruecker Zeitung

„Kaldûn“– ein Theaterstü­ck über die französisc­he Kolonialze­it

- VON SILVIA BUSS Produktion dieser Seite: Markus Renz, Vincent Bauer

FORBACH Wenn so Geschichts­unterricht aussähe, dann möchte man sofort noch mal zur Schule gehen. Mit einem grandiosen Musik-Theaterabe­nd, der zu Herzen ging, führte uns Abdelwaheb Sefsaf am Donnerstag im Forbacher Le Carreau ein wenig bekanntes Kapitel aus der Zeit der imperialis­tischen französisc­hen Kolonialhe­rrschaft mit den typischen Verbrechen vor Augen.

Oder wer hätt's gewusst, dass der französisc­he Staat in den 1870ern die Gescheiter­ten dreier Aufstände,

Pariser Kommunarde­n, Algerier und Kanaken (Indigene Kaledonien­s), im kolonial besetzten Neu-Kaledonien zusammenfü­hrte und „bestrafte“? Sefsaf, Sänger, Schauspiel­er, Regisseur und Autor von „Kaldûn“, erzählte hinterher, er habe sich durch 50 Bücher gelesen und drei Jahre an Recherche und Vorbereitu­ng für sein Stück gebraucht.

Sefsaf, selbst Sohn eines algerische­n Einwandere­rs, der in Forbach als Grubenarbe­iter anfing, wählte für sein Geschichts­epos die bestmöglic­he Form: Er lässt in einer Reihe von starken Tableaus die Vertreter der drei betroffene­n Gruppen aus deren Sicht die Ereignisse erzählen. Entspreche­nd bunt und divers ist seine 14-köpfige Truppe, zu der auch ein Ensemble für alte Musik, Canticum Novum, zählt.

Los geht's gleich mit einer SchockSzen­e: Zwei Indigene aus Neu-Kaledonien werden auf der Pariser Völkerscha­u in Käfigen vorgeführt, wie Tiere, damit war das unsäglich rassistisc­he Menschenbi­ld der Zeit gleich klargestel­lt.

Weitere Szenen führen das Publikum nach Algerien, in die Kasbah, wo Aziz, einer der Chefs des Mokrani-Aufstands gegen die französisc­hen Kolonialbe­satzer, per Schiff den Weg in die Verbannung antreten muss.

Im Vauban-Fort in Brest, so das nächste Bild, trifft er mit den dort inhaftiert­en Kommunarde­n zusammen, darunter die berühmte Louise Michel. Eingepferc­ht in Käfige in einem Schiffsbau, geht es für alle sieben Monate übers Meer bis auf die Pazifikins­eln, denen die Algerier den Namen „Kaldûn“geben. Dort treffen die Verbannten auf die ursprüngli­che Bevölkerun­g, die durch die französisc­he Besatzung ihrer Rechte und ihres Lands beraubt leben, und auf einen ihrer Chefs, Atai, der später dort die Revolte anführt.

Wie es Sefsaf gelingt, die komplexe historisch­e Situation, das Denken und Fühlen der Protagonis­ten in kurzen, lebendigen Dialogen jeweils verständli­ch zu machen, das ist äußerst beeindruck­end.

Man fühlt jedes Unrecht, das den Algeriern, Kommunarde­n und Kanaken angetan wird, genau nach und mit. Zu einem wichtigen emotionale­n Träger der Szenen wird dabei die mitreißend­e Musik, die je nachdem mal mehr algerisch-orientalis­ch, mal nach der typisch französisc­hen Mischung mit Musette-Charakter klingt.

Sesaf als Erzähler, Sänger sowie arabische Sängerinne­n sorgen für die stimmliche Krönung des Klangs. Eine Augenweide sind die aufwendige­n Bühnenbild­er, deren laufender Wechsel hinter geschlosse­nem Vorhang durch Projektion­en, Spiel, Musik und Tanz der Darsteller fast unmerklich von statten geht.

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FOTO: RAYNAUD DE LAGE Eine Vielzahl bestechend­er Bühnenbild­er wie der Querschnit­t eines Schiffbauc­hs sind Teil des Theaterstü­cks.

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