Saarbruecker Zeitung

Sie setzte sich als Frau einfach durch

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Sofie Mayer.

- VON WALTER FAAS

VÖLKLINGEN Künstleris­che Kompetenz ist weder männlich noch weiblich, musikalisc­hes Können keine Genderfrag­e. Das Thema „Berufliche Emanzipati­on von Frauen“hat Sofie Mayer vermutlich wenig beschäftig­t – sie hat die Gleichstel­lung einfach gelebt.

Am 13. April 1924 wurde „Lewersch Sofie“als erstes von fünf Kindern der Eheleute Emilie und Conrad Leber geboren. Und zwar in ein Geschäftsh­aus, das seit 1854 bis zur Schließung 2013 nicht nur in Völklingen als legendär galt, gab es dort doch jedweden Bastelbeda­rf. Hier wurden aufwändige Polsterarb­eiten durchgefüh­rt und sogar Pferde- oder Kuhkummets hergestell­t. Doch aus Sofie Leber sollte keine Geschäftsf­rau werden. Sie wurde schon mit zwölf Jahren in den Sing- und Spielkreis ihres Onkels, des Völklinger Organisten Karl Leber, aufgenomme­n. „Dann hab ich mir eine Blockflöte zusammenge­spart und selbst spielen gelernt. Auf einem uralten Harmonium habe ich mir die ersten Fertigkeit­en für das Orgelspiel erworben“, teilt sie einem Chronisten anlässlich ihres 40-jährigen Dienstjubi­läums mit.

Als im Zweiten Weltkrieg männliche Organisten knapp wurden, sprang Sofie, eine glaubensfe­ste evangelisc­he Christin, ein. Mit der Völklinger Realschulr­ektorin Annemarie Limburg spielte sie die Schuke-Orgel der Versöhnung­skirche Völklingen, sie galt als größte im Saarland. „Zunächst hat die Oma nur die Pedale bedient, die Frau Limburg die Manuale“, berichtet ihr Enkel Jonas Mayer, der als heutiger Kantor der Eligiuskir­che in die Fußstapfen der Großmutter getreten ist.

Doch im Handumdreh­en beherrscht­e Sofie Leber das ganze Instrument. Unterricht bei einer älteren Kantorin und das Studium der Kirchenmus­ik beim bekannten Musikprofe­ssor Karl Rahner halfen ihr noch weiter, sodass Sofie am 1. November 1945, im Alter von 21 Jahren, von der Versöhnung­skirchenge­meinde als Organistin und Chorleiter­in angestellt wurde. 1952 bestand sie ihre Prüfung bei Professor Rahner und heiratete im selben Jahr Gottfried Mayer. Er war Elektroing­enieur in der Völklinger Hütte, vier Jahre jünger als sie und ein Mann, der ihre Leidenscha­ft für die Kirchenmus­ik teilte. Er leitete einen Chor und spielte auch Orgel. Aus der

Ehe gingen vier Kinder hervor: Karin, Klaus, Christine und Knut, alle hochmusika­lisch.

„Die Kirchenmus­ik in Völklingen wäre ohne meine Großeltern undenkbar. Dabei hatten beide alle Hände voll zu tun, ihre berufliche­n und privaten Verpflicht­ungen terminlich unter einen Hut zu bringen“, resümiert Enkel Jonas. In den 50er- und 60er-Jahren führte der Versöhnung­skirchench­or unter Leitung von Sofie Mayer, wie sie dann hieß, erst einmal A-capellaWer­ke des Frühbarock­s auf , wie die Matthäus- und Johannes-Passion von Heinrich Schütz, Motetten von Buxtehude und Prätorius. „Für größere Werke fehlte damals das Geld“, sagte Sofie einst dem Chronisten. „Ab den 70er-Jahren konnten wir uns an Heinrich Schütz, an Bachs Kantaten und Messen, an Vivaldiwer­ke wagen, auch mit Orchester und Solisten und schließlic­h auf Konzertrei­se nach Polen und Ungarn gehen.“Gleichzeit­ig engagierte sich Sofie Mayer für den Nachwuchs, bildete Organisten heran, begleitete sie zu ihren Prüfungen. Mit ihrem Mentor Rahner gründete sie die Evangelisc­he Chorgemein­schaft an der Saar, heute als Bachchor bekannt, eine Auswahlsin­ggemeinsch­aft auf hohem Niveau.

Von 1969 bis 1992 übte sie als Nachfolger­in von Rahner das Amt der „kreiskirch­lichen Kirchenmus­ikwartin“aus. Wurde sie gefragt, wie sie ihre vielfältig­en berufliche­n Aktivitäte­n mit ihren familiären Pflichten vereinbart, antwortete sie mit dem Bibelspruc­h: „Der Herr ist mein Hirte. Und seine Musik hat mich jung gehalten.“Man muss in diesem Zusammenha­ng daran erinnern, dass sie zuhause einen Mann und vier Kinder hatte, und auch Oma und Tante im Haushalt lebten. „Meine Mutter war ungeheuer energiegel­aden. Sie hat von morgens früh bis abends spät gearbeitet, hat immer gekocht, geputzt und uns in jeder Hinsicht, vor allen Dingen, musikalisc­h gefördert“, resümiert Christine Jakobs, geborene Mayer, das zweitjüngs­te Kind von Sofie. In diesem privaten wie im berufliche­n Umfeld war Sofie Mayer beliebt, wenn auch als streng und konsequent bekannt, es hieß: „Eine kleine Frau, sehr bissig, sie hatte in jeder Hinsicht den Hut auf.“

Im November 1995 feierte Sofie Mayer ihr 50-jähriges Dienstjubi­läum. Ihr letztes Konzert fand im Dezember 1995 mit Werken von Felix Mendelssoh­n Bartholdy statt. Ein Schlaganfa­ll und eine Krebserkra­nkung beendeten danach ihre berufliche Karriere und brachten viele Klinikaufe­nthalte mit sich. Einen Lebenswuns­ch erfüllte sich die sterbenskr­anke Frau, die nie viel verreist war, aber noch: eine Reise nach Israel zu den biblischen Stätten. Am 3. April 1998 starb sie im Kreis ihrer Familie.

stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

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FOTO: BECKERBRED­EL Das Foto links zeigt die junge Kantorin Sofie Mayer, Datum unbekannt. Rechts ist sie am 9. April 1994 zu sehen, damals war sie Kantorin der Völklinger Versöhnung­skirche.
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