Saarbruecker Zeitung

Scholz drängt in Nahost auf Waffenruhe

Auf harte Kritik an Israels Regierungs­chef Netanjahu hat der Kanzler bisher verzichtet. Bei seiner zweiten Nahost-Reise seit Beginn des Gaza-Kriegs belässt er es zunächst bei einer deutlichen Mahnung.

- VON MICHAEL FISCHER, SARA LEMEL UND MICHEL WINDE

(dpa) Bei seiner zweiten Nahost-Reise seit Beginn des Gaza-Kriegs hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz eindringli­ch eine Waffenruhe gefordert. „Es ist ganz klar, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Situation nicht noch schlimmer wird als sie ist“, sagte der SPD-Politiker am Sonntag nach einem Gespräch mit dem jordanisch­en König Abdullah in Akaba mit Blick auf eine mögliche israelisch­e Bodenoffen­sive im Süden des Gazastreif­ens. „Ich glaube, dass eine große Zahl von Opfern bei einer solchen Offensive jede friedliche Entwicklun­g dann sehr schwer machen würde. Das wissen auch viele in Israel.“

In Israel sprach Scholz am Sonntag mit Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu. Dieser machte unmittelba­r davor klar, dass er an einem Militärein­satz in Rafah an der Grenze zu Ägypten festhalte und ein Ende des Gaza-Krieges vor Erreichen aller israelisch­en Ziele entschiede­n ablehne. „Wenn wir den Krieg jetzt beenden, bevor seine Ziele erreicht sind, bedeutet dies, dass Israel den Krieg verloren hat“, sagte der Regierungs­chef. Dies werde man nicht zulassen.

Auf einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz nach dem Gespräch erklärte Netanjahu, dass er sich mit dem deutschen Gast darin einig gewesen sei, dass „die Hamas eliminiert werden muss“. Es werde keinen Frieden geben, solange die islamistis­che Terrororga­nisation im Gazastreif­en bestehen bleibt. „Wir haben keine Zukunft, wenn die Hamas, die zum Genozid an uns entschloss­en ist, intakt bleibt.“

Vor einer geplanten Offensive in der südlichen Gaza-Stadt Rafah werde die Zivilbevöl­kerung in Sicherheit gebracht, sagte Netanjahu. Israel unternehme außerdem äußerste Anstrengun­gen, um Hilfsliefe­rungen für die Menschen im Gazastreif­en „über Land, über See und aus der Luft“zu ermögliche­n.

Der Gaza-Krieg war am 7. Oktober durch einen Terrorangr­iff der palästinen­sischen Hamas auf Israel ausgelöst worden. Israel will die Zerstörung der Hamas erreichen und die Geiseln aus der Gewalt der Terrororga­nisation befreien. Man geht davon aus, dass noch rund 100 von ihnen am Leben sind.

Scholz war zehn Tage nach dem Hamas-Angriff erstmals nach Israel gereist, um dem Land die deutsche Solidaritä­t zu versichern. „Die Sicherheit Israels und seiner Bürgerinne­n und Bürger ist deutsche Staatsräso­n“, sagte er damals. „Unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwort­ung macht es uns zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehe­n.“

Mit Kritik an der israelisch­en Militärope­ration gegen die Hamas, bei der nach Angaben der Gesundheit­sbehörde der Hamas Zehntausen­de Menschen getötet worden sind, hat sich Scholz auch aus der deutschen Staatsräso­n heraus bis heute im

„Für mich ist ganz klar, dass es jetzt auch darum geht, (...) zu einem Waffenstil­lstand, der länger hält, zu kommen.“Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD)

Gegensatz zu anderen Verbündete­n sehr zurückgeha­lten. Das wird in der arabischen Welt kritisch verfolgt. Scholz' Mahnungen sind allerdings Schritt für Schritt deutlicher geworden.

Der israelisch­e Ministerpr­äsident hatte am Freitag die umstritten­e Bodenoffen­sive in Rafah im Süden des Gazastreif­ens genehmigt. Dort suchen derzeit nach Schätzunge­n 1,5 Millionen Palästinen­ser auf engstem Raum und unter elenden Bedingunge­n Schutz vor den Kämpfen in den anderen Gebieten des Gazastreif­ens. Hilfsorgan­isationen

warnen vor vielen weiteren zivilen Toten.

Es dürfe nicht dazu kommen, „dass jetzt viele, die in Gaza nach Rafah geflohen sind, unmittelba­r bedroht sind“von militärisc­hen Handlungen, mahnte Scholz. „Deshalb habe ich genauso wie der amerikanis­che Präsident sehr deutlich gemacht, dass wir finden, dass das jetzt hier etwas ist, wo man sehr, sehr, sehr sorgfältig alles tun muss, um weitere große Opferzahle­n zu vermeiden.“

Örtlichen Medienberi­chten zufolge wollte Israels Kriegskabi­nett

noch am Sonntag mit Netanjahu zusammenko­mmen, um über die Entsendung einer Delegation nach Katar zu entscheide­n. Dort sollen in der Hauptstadt Doha die zuletzt ins Stocken geratenen Gespräche über eine Waffenruhe weitergehe­n, nachdem die islamistis­che Hamas den Vermittler­n einen neuen Vorschlag vorgelegt hatte.

Einen Tag vor dem Kanzlerbes­uch hatten Tausende Menschen in Tel Aviv und anderen israelisch­en Städten für die Freilassun­g von Geiseln aus der Gewalt der Hamas und gegen die Regierung von Minister

präsident Netanjahu demonstrie­rt. Mancherort­s legten Menschen kleinere Feuer, zündeten Rauchbombe­n und forderten in Sprechchör­en die Freilassun­g der Geiseln.

Um einzelne Ansammlung­en aufzulösen, setzte die Polizei Wasserwerf­er ein. Angehörige der Geiseln forderten ein neues Abkommen für die Freilassun­g und riefen die israelisch­e Regierung zu schnellem Handeln auf. „Sie haben keine Zeit mehr, wir haben keine Zeit mehr. Macht etwas jetzt, wir brauchen euch!“, sagte eine Angehörige bei einer Kundgebung.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Auf einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz in Jerusalem versprach Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu am Sonntag Bundeskanz­ler Olaf Scholz, die palästinen­sische Zivilbevöl­kerung vor einer Offensive in Rafah in Sicherheit zu bringen.

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