Saarbruecker Zeitung

„Die Todesfälle von Kindern, die wir befürchtet haben, sind da“

- VON MOHAMED JAHJOUH, JACK JEFFERY UND LEE KEATH Produktion dieser Seite: Michaela Heinze Manuel Görtz

(ap) Krieg, Not und Hunger: Seit Monaten warnen Helfer vor den verheerend­en Folgen des Mangels im Gazastreif­en, jetzt fordern Unterernäh­rung und Dehydrieru­ng ihren Tribut. Aus Krankenhäu­sern werden zunehmend Fälle gemeldet, in denen vor allem kleine Patienten die Kraft verlässt. „Die Todesfälle von Kindern, die wir befürchtet haben, sind jetzt da“, beklagte in dieser Woche Adele Khodr, die Nahost-Verantwort­liche des UN-Kinderhilf­swerks Unicef.

Am schlimmste­n ist es im Norden des Gazastreif­ens, der von den israelisch­en Streitkräf­ten abgeriegel­t wurde und von Lebensmitt­ellieferun­gen weitgehend abgeschnit­ten ist. Das von der militant-islamistis­chen Hamas kontrollie­rte Gesundheit­sministeri­um spricht von mindestens 20Menschen, die in den Kliniken Kamal Aduan und Schifa wegen Unterernäh­rung und Dehydrieru­ng ihr Leben ließen. Die meisten von ihnen waren Kinder.

Auch im Süden trifft es besonders schwache und gefährdete Kinder. Im Emirati-Krankenhau­s in Rafah starben in den vergangene­n fünfWochen 16 Frühgebore­ne an den Folgen von Unterernäh­rung, berichtet einer der leitenden Ärzte. Kinder und alte Menschen schwächt Unterernäh­rung am meisten, teilweise bis hin zum Tod. Durchfalle­rkrankunge­n, die sich im Gazastreif­en aufgrund des Mangels an sauberem Wasser und sanitärer Einrichtun­gen ausbreiten, tun ihr Übriges: Viele Menschen könnten so die aufgenomme­nen Kalorien nicht behalten, erklärt Unicef-Expertin Anuradha Narayan. Umgekehrt beeinträch­tige Unterernäh­rung das Immunsyste­m und könne so zum Tod durch andere Krankheite­n führen.

Im Norden des Gazastreif­ens – mit immensen Zerstörung­en aufgrund der Offensive, die Israel als Reaktion auf den Hamas-Terrorangr­iff vom 7. Oktober startete – ist die Lage für die Menschen verzweifel­t. Gemüse, Obst, Milch und Fleisch seien fast unmöglich zu finden, berichten Bewohner. Was es noch gibt, wie etwa Nüsse, wird zu Wucherprei­sen angeboten. Viele ernähren sich von einer wild wachsenden Malvenpfla­nze. Das sei ihre Hauptmahlz­eit, sagt Fatima Schahin, die mit ihren beiden Söhnen und deren Kindern im Norden des Küstenstre­ifens lebt. „Wir sehnen uns so sehr nach einem Stück Brot“, sagt die 70-Jährige.

Seine 18Monate alte Tochter Mira esse hauptsächl­ich gekochtes Unkraut, sagt Kamar Ahmed. „Es gibt nicht zu essen, was für ihr Alter wirklich geeignet wäre“, beklagt der Journalist und Mitarbeite­r der internatio­nalen Menschenre­chtsorgani­sation Euro-Med Human Rights Monitor. Sein 70-jähriger Vater gebe sein Essen den Enkeln weiter. „Wir versuchen, ihn zum Essen zu bringen, aber er weigert sich“, sagt Ahmed.

Im Kamal Aduan-Krankenhau­s berichtet der stellvertr­etende Klinikleit­er Hussam Abu Safija von rund 300 bis 400 kleinen Patienten pro Tag. 75 Prozent von ihnen litten an Unterund Mangelernä­hrung. Im nahe Emirati-Krankenhau­s macht der stellvertr­etende Leiter der Säuglingss­tation, Ahmed al-Schair, den Tod einer Reihe von Frühgebore­nen auch an der Not der Mütter fest: Deren Unterernäh­rung und extremer Stress seien Faktoren, die zu viel zu frühen Geburten viel zu leichter Kinder beitrügen. Derzeit liegen auf den Stationen des Krankenhau­ses mehr als 40 Säuglinge mit teils gerade einmal zwei Kilo. Jeden Inkubator als lebenserha­ltende Maßnahme müssen sich mindestens drei Babys teilen, was das Risiko von Infektione­n erhöht.

 ?? FOTO: OMAR ASHTAWY/IMAGO IMAGES ?? Palästinen­ser erhalten an einer Ausgabeste­lle im Gazastreif­en Lebensmitt­el.
FOTO: OMAR ASHTAWY/IMAGO IMAGES Palästinen­ser erhalten an einer Ausgabeste­lle im Gazastreif­en Lebensmitt­el.

Newspapers in German

Newspapers from Germany