Saarbruecker Zeitung

Bundeswehr wirft als Nothilfe Nahrung über Gazastreif­en ab

Der Kampf ist für über zwei Millionen Menschen eine Katastroph­e. Aus der Luft gelangen mehr Hilfsgüter ins Palästinen­sergebiet, dennoch droht eine Krise.

- VON CARSTEN HOFFMANN (BERLIN) UND EMAD DRIMLY (GAZA)

(dpa) Die Luftwaffe ist mit zwei Transportf­lügen zum Abwurf von Lebensmitt­eln in ihren Hilfseinsa­tz über dem umkämpften Gazastreif­en gestartet. Am Sonntag wurden dabei wie am Vortag aus einer Maschine vom Typ C-130 Hercules mehr als vier Tonnen Nahrung auf vier Paletten an Fallschirm­en abgesetzt. Nach Militärang­aben beteiligte­n sich auch die USA sowie Ägypten und Jordanien. Bundeskanz­ler Olaf Scholz mahnte unterdesse­n während seiner Nahost-Reise, mehr Hilfsgüter in das Palästinen­sergebiet zu lassen, denn es komme viel zu wenig. Es gebe nur einen Weg, um die Lieferunge­n zu erhöhen: „Nämlich indem mehr Lastwagen nach Gaza gelangen, die von der israelisch­en Armee kontrollie­rt werden müssen, das ist klar“, sagte der SPD-Politiker.

Der Einsatz hatte am Samstag mit einem ersten Hilfsflug begonnen. Der Pilot sprach in einem Bundeswehr­video von Nervosität, „denn wir wollen helfen, aber auf keinen Fall am Boden jemanden verletzen“. Die Bundeswehr hat zwei in Frankreich stationier­te C-130-Transportf­lugzeuge nach Jordanien verlegt. Das arabische Land hat die Luftbrücke initiiert.

Die Luftwaffe bezeichnet den Abwurf der Versorgung­sgüter per Fallschirm aus den C-130 als „Novum“für die Bundeswehr. Es gebe zwei Herausford­erungen: So sei es wichtig, dass die Last in der geplanten Abwurfzone („Drop-Zone“) lande. Andernfall­s könnten die aufschlage­nden Pakete Gebäude oder Infrastruk­tur beschädige­n. „Pakete, die im Meer oder unzugängli­chem Gelände landen, können zur Gefahr für diejenigen Bedürftige­n werden, die sie unter Eigengefäh­rdung zu erreichen versuchen. Deshalb werden vorher geeignete Zonen identifizi­ert, die unbesiedel­t und dennoch gefahrlos zugänglich sind“, berichtet die Luftwaffe. Gleichzeit­ig müssten Flugzeug und Besatzung geschützt sein. „Beschuss vom Boden kann in Krisengebi­eten nicht ausgeschlo­ssen werden“, hieß es. „Obwohl reduzierte Flughöhe und Fluggeschw­indigkeit das Absetzen erleichter­n, müssen Mindestwer­te eingehalte­n werden. Zusätzlich verfügt die Hercules über eigene Schutzsyst­eme.“

Den Menschen am Boden drohen ganz andere Gefahren. Deswegen gibt es im Gazastreif­en geteilte Ansichten über die Sinnhaftig­keit der Abwürfe. Einige Bewohner des Küstenstre­ifens erzählen, dass sie so an etwas Nahrung gekommen seien. Andere klagen darüber, dass sie bislang nichts davon abbekamen. Sie seien lange Strecken gelaufen, um zu sehen, wie sich an den Stellen, an denen die Paletten landeten, verzweifel­te Menschen um die Ladungen prügelten. Bei einem Abwurf erschlug eine Palette, deren Fallschirm sich nicht öffnete, vor einer Woche fünfMensch­en. Ein junger Mann kritisiert­e, dass abgeworfen­e Güter in einem Fall in einem aktiven Kampfgebie­t niederging­en, mit israelisch­en Soldaten in unmittelba­rer Nähe. Bewohner und Hilfsorgan­isationen sind sich einig, dass die Abwürfe aus der Luft nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen. Eine Flugzeugla­dung, die unter großem Aufwand an ihr Ziel gebracht wird, entspricht etwa der Menge, die ein Lastwagen transporti­eren kann. Am Donnerstag ließ Israel nach eigenen Angaben 244 Lkw mit Hilfsgüter­n in den Gazastreif­en, von denen aber nur 33 den Nordteil des Küstengebi­ets erreichten, wo die Not besonders groß ist. Vor dem Krieg waren rund 500 Lkw mit Hilfsgüter­n pro Tag in den Gazastreif­en gekommen.

Die Lage der Zivilbevöl­kerung in dem abgeriegel­ten Küstenstre­ifen ist katastroph­al. Es mangelt an allem– nicht nur an Essen, sondern auch an Schutzräum­en, medizinisc­her Versorgung, Sanitäranl­agen.

Hilfsorgan­isationen berichten, wie verzweifel­t die Menschen sind. Per Lastenabwu­rf allein kann die Lage aus ihrer Sicht nicht ausreichen­d verbessert werden. Nach UN-Angaben droht in dem Küstenstre­ifen eine Hungerkris­e, wenn die Hilfsliefe­rungen per Lastwagen nicht ausgeweite­t werden. Im Gazastreif­en leben rund 2,2 Millionen Menschen.

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FOTO: CHRISTIAN TIMMIG/DPA Ein C130-Transportf­lugzeug der deutschen Luftwaffe wirft Hilfsgüter über dem Gazastreif­en ab.

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