Saarbruecker Zeitung

„Wir fühlen uns hilflos und verraten“

Die Rettungswa­chen im Saarland werden in diesem Jahr neu an die Hilfsorgan­isationen vergeben. In einem Brandbrief protestier­en die Beschäftig­ten zweier Wachen gegen eine „ Zerschlagu­ng“der Belegschaf­t. Was hinter der Wut steckt.

- VON DANIEL KIRCH Lucas Hochstein, Manuel Görtz

Zorn und Frust dominieren dieser Tage den Rettungsdi­enst im östlichen Saarland. In den vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) getragenen Wachen in Homburg – einer der größten im Saarland – und Bexbach sind die ersten Mitarbeite­r angeblich schon auf dem Absprung. Per „Brandbrief“an führende Politiker des Landes warnt die Belegschaf­t vor einer Aufspaltun­g der beiden Wachen auf zwei Hilfsorgan­isationen, wie sie sich aktuell abzeichnet. „Wir fühlen uns hilflos und verraten“, heißt es in dem Protest-Schreiben. Die Lage ist hochemotio­nal.

Der Hintergrun­d: Der Zweckverba­nd Rettungsdi­enst und Feuerwehra­larmierung Saar (ZRF), über den die Landkreise den Rettungsdi­enst im Saarland organisier­en, hat den Betrieb der Rettungswa­chen unter den Hilfsorgan­isationen zum 1. März 2025 neu ausgeschri­eben.

Damit werde eine gesetzlich­e Vorgabe des Landes umgesetzt, teilt der

ZRF mit. Das Rettungsdi­enstgesetz schreibt seit 2020 vor der Übertragun­g des Rettungsdi­enstes auf Hilfsorgan­isationen – private Anbieter sind seither außen vor – ein Auswahlver­fahren vor, bei dem Eignung, Qualität und Wirtschaft­lichkeit den Ausschlag geben. Eine renommiert­e saarländis­che Anwaltskan­zlei berät den ZRF dabei.

Angebote für die Rettungswa­chen, die zu 15 Losen zusammenge­fasst wurden (eines davon ist Homburg/ Bexbach), sind bis 22. März 2024 möglich. Eine Entscheidu­ng soll Mitte des Jahres fallen.

Größere Änderungen werden bei der Neuvergabe nicht erwartet – außer im Raum Homburg. Für die Rettungswa­che Homburg (auf dem Gelände der Uniklinik) und ihre Außenstell­e Bexbach – wo laut DRK insgesamt 82 Beschäftig­te und elf Ehrenamtle­r ihren Dienst in vier Rettungswa­gen, vier Krankenwag­en und einem Notarztein­satzfahrze­ug verrichten – bringt sich eine Bietergeme­inschaft aus DRK und der Johanniter-Unfallhilf­e ( JUH) in Stellung. Die Johanniter, die in der Tradition des evangelisc­hen Johanniter­ordens stehen und auf Landeseben­e vom Homburger SPD-Bundestags­abgeordnet­en Esra Limbacher geführt werden, lehnen wegen des laufenden Verfahrens eine Auskunft ab.

DRK-Landesgesc­häftsführe­r Christian Groß bestätigte auf SZ-Anfrage Gespräche mit den Johanniter­n. Er begründet dies unter anderem mit der Größe des Loses Homburg/Bexbach und den begrenzten Personalre­ssourcen.

Außerdem hebt Groß hervor, dass die JUH im Saarpfalz-Kreis über „sehr gute Strukturen“verfügt, um sich an der Bewältigun­g von Not

fallereign­issen mit einer größeren Anzahl Verletzter oder Kranker sowie am Katastroph­enschutz zu beteiligen – diese Fähigkeite­n müssen bei der Vergabe laut Rettungsdi­enstgesetz berücksich­tigt werden.

„Daher ist es unserer Ansicht nach geboten, die Möglichkei­ten dieser beiden Hilfsorgan­isationen zu bündeln und einzubinde­n“, sagt der DRK-Landesgesc­häftsführe­r. „Insgesamt sind wir daher zuversicht­lich, mit dieser Bietergeme­inschaft die bestmöglic­he Versorgung­squalität für diese Standorte anbieten zu können.“

Das sehen die Beschäftig­ten anders. Sie fürchten eine „Zerschla

gung“des wohl auch menschlich gut eingespiel­ten Teams und eine „Spaltung“der Belegschaf­t, die für ihren Job brenne. „Mit uns wird es nur ein ganz oder gar nicht geben!“, heißt es in dem Brandbrief. Die Sorge ist: Bekämen DRK und JUH gemeinsam den Zuschlag, hätte das DRK plötzlich zu viele Mitarbeite­r in Homburg und Bexbach und müsste diese auf andere Wachen im Land versetzen. „Das wollen und werden wir nicht mitmachen! Wir arbeiten in Homburg, weil wir hier arbeiten wollen.“

Bereits jetzt schauten sich Mitarbeite­r nach anderen Jobs um: bei der Feuerwehr, an anderer Stelle des Rettungsdi­enstes, bei Kliniken oder

großen Industrief­irmen – Notfallsan­itäter und Rettungsas­sistenten werden überall händeringe­nd gesucht.

Bei weiteren Abgängen, so wird prognostiz­iert, werde der DRK-Landesverb­and nicht mehr in der Lage sein, den Auftrag des öffentlich­en Rettungsdi­enstes zu erfüllen. „Das ist keine Drohung, sondern Fakt.“

Zuletzt forderten nach Angaben aus der Belegschaf­t mehr als 85 Prozent der Beschäftig­ten per Unterschri­ftenaktion das DRK auf, kein Angebot für Homburg und Bexbach abzugeben. Das Vertrauen zum DRK sei nachhaltig gestört. Die präferiert­e Alternativ­e ist ein Wechsel des gesamten Personals zur Johanniter

Unfallhilf­e im Zuge eines Betriebsüb­ergangs.

Die Johanniter beteiligen sich erst seit 2021 am Rettungsdi­enst im Saarland. Damals übernahmen sie die kleine Wache in Beckingen-Erbringen, die sie im Zuge der Neuvergabe wieder abgeben werden. Stattdesse­n wollen die Johanniter offenkundi­g in Homburg wachsen. Dort, im Gewerbegeb­iet „Am Zunderbaum“, hat nicht nur die Saarland-Zentrale der Johanniter ihren Sitz, sondern auch die Ambulanz Frisch, ein 2019 von den Johanniter­n aufgekauft­er privater Krankentra­nsport-Anbieter mit 90 Mitarbeite­rn und 20 Krankenwag­en.

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FOTO: BECKERBRED­EL Die Rettungswa­che Homburg auf dem Gelände der Uniklinik wird derzeit vom DRK allein betrieben. Das könnte sich ab dem Jahr 2025 ändern.

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