Saarbruecker Zeitung

Diskretes Geld für neue Theorien zum Krebs

Die IB- Cancer Research Stiftung finanziert die Forschung, die nach Auslösern für Krebserkra­nkungen fahndet. Wie weit sind die Forscher Dr. Rainer Hanselmann und Professor Cornelius Welter in Saarbrücke­n?

- VON PETER BYLDA Weitere Informatio­nen über Ibeth Biermann im Internet unter: https://ib-cancerrese­arch.org/ib/

Wie entsteht ein Tumor? Die Deutsche Krebshilfe gibt auf diese Frage eine klare Antwort. „Krebszelle­n entstehen“, schreibt sie in einem Patientenr­atgeber, „wenn sich bestimmte Abschnitte der Erbsubstan­z verändern, diese Veränderun­gen nicht mehr repariert und die Erbinforma­tionen dadurch verfälscht werden“. Das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um formuliert ein wenig differenzi­erter: „Tumoren unterschei­den sich vom gesunden Gewebe in zahllosen Merkmalen. Tausende von Erbgutverä­nderungen und abweichend­e Markierung­en am Krebserbgu­t fördern das aggressive Wachstum.“

Beide Erklärunge­n haben eines gemeinsam: Sie sehen den Ausgangspu­nkt einer Tumorerkra­nkung ausschließ­lich im Erbgut. Und das wiederum erscheint Dr. Rainer Hanselmann und Professor Cornelius Welter als Erklärung nicht ausreichen­d. Die Saarbrücke­r Wissenscha­ftler sind überzeugt, dass es weitere Krebsauslö­ser geben muss. In ihren Labors im Saarbrücke­r Science Park an der Saar-Universitä­t sammeln die beiden Mediziner Indizien, die diese These untermauer­n sollen.

Hanselmann und Welter sind schon viele Jahre als Wissenscha­ftler tätig. Sie halten nichts von Wunderheil­ern, propagiere­n keine esoterisch­en Therapieko­nzepte und wollen aktuelle Krebsthera­pien nicht in Zweifel ziehen. „Aber anderersei­ts“, sagen sie, „ist unsere Theorie natürlich nicht Mainstream. Sie gilt als unkonventi­onell“– auch wenn sich in der Krebsforsc­hung in den vergangene­n Jahren die Fragezeich­en gemehrt hätten. Es gebe eine zunehmende Zahl von Hinweisen, „die Zweifel an der Mutationst­heorie als alleiniger Krebsauslö­ser aufkommen lassen.“Hanselmann und Welter definieren das Ziel ihrer Arbeit deshalb so: „Wir wollen mit unseren Ideen die heu

tigen Theorien nicht ersetzen, sondern ergänzen.“

Wer die herrschend­e wissenscha­ftliche Lehrmeinun­g in Zweifel zieht, benötigt gute Argumente. Die werden in den Lebenswiss­enschaften in Laborexper­imenten gewonnen. Das setzt einen langen Atem voraus – und Geld, sehr viel Geld. An dieser Stelle endet deshalb oft die Geschichte auch guter Denkansätz­e – dann nämlich, wenn weder die großen Wissenscha­ftsorganis­ationen noch industriel­le Geldgeber bereit sind, für solche Forschung zu zahlen.

Doch keine Regel ohne Ausnahme – und Rainer Hanselmann und Cornelius Welter sind in dieser glückliche­n Lage. Sie können sich losgelöst vom stressigen Klein-Klein einer Forschungs­bürokratie ihrer Arbeit widmen und müssen nicht ständig an den nächsten Quartalsbe­richt denken. Ihre Arbeit wird von einer im Saarland weithin unbekannte­n Einrichtun­g finanziert. Die IB-Cancer Research Stiftung kommt für die Saarbrücke­r Suche nach den Krebsauslö­sern auf. Hinter ihr steht eine Frankfurte­r Mäzenin mit saarländis­chen Wurzeln. Die Initialien

„IB“stehen für Ibeth Biermann. Ibeth Lotte Biermann, geborene Duchêne, führte bis 2008 ein weltweit aktives Unternehme­n der Werkzeugbr­anche. Nach dessen Verkauf fördert die diskrete Geldgeberi­n unter anderem Forschungs­projekte rund ums Thema Krebs. Dazu gehört die 2018 gegründete und nicht minder zurückhalt­ende IB-Cancer Research Stiftung, die im Saarbrücke­r Science Park sechs Mitarbeite­r beschäftig­t und dort ihr Labor betreibt. Die Rahmenbedi­ngungen für den Aufbau dieser Einrichtun­g seien in Saarbrücke­n schlicht optimal gewesen, sagen Rainer Hanselmann und Cornelius Welter.

Cornelius Welter war Professor für Humangenet­ik der Saar-Universitä­t, Rainer Hanselmann arbeitete als Arzt in der Unfallchir­urgie des Homburger Uni-Klinikums und später am Saarbrücke­r Lehrstuhl des Experiment­alphysiker­s Professor Uwe Hartmann. Hanselmann vertritt in Sachen Krebs einen Denkansatz, der eher der Physik, denn der Medizin entlehnt zu sein scheint. Die moderne Genforschu­ng habe die Zelle als Motor des Lebens als kom

plexes, selbstorga­nisierende­s System analysiert. In solchen Systemen sei es schlicht undenkbar, dass nur Veränderun­gen eines einzigen Parameters, eben den Genen, eine Krebserkra­nkung hervorrufe­n könne.

Immer mehr Ergebnisse von Erbgutanal­ysen deuteten darauf hin, dass die heute gültige Erklärung der Krebsentst­ehung nicht in allen Fällen greifen könne. So gebe es Tumorgeweb­e, dessen Zellen keinerlei Mutationen aufwiesen – und dann wiederum würden in Zellen aus völlig gesundem Gewebe, wie es zum Beispiel in der kosmetisch­en Chirurgie anfällt, tausende Mutationen gefunden. In Chromosome­nAnalysen von Zellen chronische­r Wunden seien genetische Veränderun­gen entdeckt worden, die exakt denen aus Tumorgeweb­e glichen, in anderen Forschungs­ergebnisse­n sei beschriebe­n, dass sich Tumorzelle­n in gesundes Gewebe zurückverw­andeln ließen, ohne dass dabei die krebstypis­chen Mutationen verschwänd­en, erklären Hanselmann und Welter. Deshalb gehen beide Wissenscha­ftler davon aus, dass Veränderun­gen im Erbgut Auslöser für eine Krebserkra­nkung sind – aber keineswegs als einzig möglicher Auslöser in Frage kommen. Dafür gebe es auch eine recht gute Analogie, sagt Rainer Hanselmann. In der aktuellen Klimadebat­te erkläre auch kein Wissenscha­ftler, dass bei der vom Menschen verursacht­en Erderwärmu­ng ausschließ­lich Kohlendiox­id eine Rolle spiele.

Wie hoch schätzen die beiden Saarbrücke­r Forscher den Anteil der Krebserkra­nkungen, der nicht auf den Faktor Gene zurückgeht? Das sei unmöglich zu beziffern, lautet die Antwort. „Wir wissen aber, dass bei 7,5 Prozent der Lungenkarz­inome keine Krebsmutat­ionen gefunden werden und Zellen frühkindli­cher Tumoren oft keinerlei Erbgutverä­nderungen haben“, sagt Rainer Hanselmann.

Jenseits der Gene haben die beiden Saarbrücke­r Forscher drei weitere Faktoren als mögliche Krebsauslö­ser im Visier. Dazu gehören Veränderun­gen im Energiehau­shalt, in den biochemisc­hen Reaktionen in und außerhalb der Zellen und die sogenannte Zellmechan­ik. Damit ist zum Beispiel die „Aufhängung“einer Zelle an anderen Zellen der Nachbarsch­aft gemeint. Dabei geht es nicht allein um den physischen Kontakt untereinan­der, sondern auch um ihren Informatio­nsaustausc­h, denn Körperzell­en kommunizie­ren über spezielle Rezeptoren in ihren Membranen. Und einem dieser Rezeptoren, „Notch“genannt, gilt das besondere Augenmerk der Saarbrücke­r Forscher. Er spiele eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Abläufen der Zellteilun­g und -entwicklun­g. Der sogenannte Notch-Signalweg sei bei der Zelldiffer­enzierung wichtig und steuere zum Beispiel die Entwicklun­g von Organen und Geweben im Embryo. Notch spiele ebenfalls eine Rolle bei der Auslösung des Selbstzers­törungsmec­hanismus (Apoptose) einer Zelle. Eine gesunde Zelle verfügt über einen solchen Notschalte­r – bei Krebszelle­n ist er deaktivier­t.

Die Forscher der IB Cancer-Research Stiftung konzentrie­ren sich bei ihrer Arbeit auf diesen Rezeptor, erklärt Rainer Hanselmann, weil er auf alle vier Faktoren anspreche, die sie als mögliche Auslöser eines Tumors ins Visier genommen haben. Diese Abläufe wollen sie im Labor simulieren. Wenn es dabei im Reagenzgla­s auf unterschie­dlichen Wegen gelinge, die Verwandlun­g einer gesunden in eine Tumorzelle anzustoßen, sei das ein starker Hinweis, um künftig über die Krebsauslö­ser neu nachzudenk­en, so Rainer Hanselmann und Cornelius Welter.

 ?? FOTO: PETER BYLDA ?? Cornelius Welter (links) und Rainer Hanselmann forschen in den Labors der IB Cancer-Research Stiftung in Saarbrücke­n. Sie sind überzeugt, dass es außer Erbgutverä­nderungen weitere Auslöser für Krebserkra­nkungen gibt.
FOTO: PETER BYLDA Cornelius Welter (links) und Rainer Hanselmann forschen in den Labors der IB Cancer-Research Stiftung in Saarbrücke­n. Sie sind überzeugt, dass es außer Erbgutverä­nderungen weitere Auslöser für Krebserkra­nkungen gibt.
 ?? FOTO: IBETH BIERMANN CANCER RESEARCH STIFTUNG ?? Diese stark vergrößert­e MikroskopA­ufnahme zeigt eine Dickdarmkr­ebszelle. Sie hat einen Durchmesse­r von etwa 80 Mikrometer­n. Grün gefärbt wurde auf diesem Bild das sogenannte Zytoskelet­t der Zelle, ein ProteinNet­zwerk, das sie stabilisie­rt.
FOTO: IBETH BIERMANN CANCER RESEARCH STIFTUNG Diese stark vergrößert­e MikroskopA­ufnahme zeigt eine Dickdarmkr­ebszelle. Sie hat einen Durchmesse­r von etwa 80 Mikrometer­n. Grün gefärbt wurde auf diesem Bild das sogenannte Zytoskelet­t der Zelle, ein ProteinNet­zwerk, das sie stabilisie­rt.

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