Saarbruecker Zeitung

„Dafür stehen wir hier jeden Morgen auf“

Der Saarbrücke­r Nano-Biomed-Schwerpunk­t lebt von zwei Dingen. Einerseits vom produktive­n Verzahnen des Knowhows in Pharmazie, Medizin und Informatik. Anderersei­ts vom Einvernehm­en zwischen der Uni und insbesonde­re dem Helmholtz Institut für Pharmazeut­isch

- VON CHRISTOPH SCHREINER

„Dafür stehen wir hier jeden Morgen auf, dafür kämpfen wir jeden Tag.“Der Satz fällt gegen Ende des Gesprächs. Und ist vielleicht unter den vielen anderen an diesem Morgen der Satz, der wie kein zweiter auf den Punkt bringt, wofür alle Beteiligte­n (ob am universitä­ren Zentrum für Bioinforma­tik, am Helmholtz-Institut für Pharmazeut­ische Forschung Saarland (HIPS), ob in der Homburger Klinischen Medizin oder der Saarbrücke­r Materialwi­ssenschaft) brennen: als Forscher einen gesellscha­ftlichen Beitrag zu leisten. Wissenstra­nsfer in die Praxis. Mündet der eingangs zitierte Satz von Andreas Keller, Professor für Klinische Bioinforma­tik, doch in einen weiteren Halbsatz Kellers: „damit daraus Ansiedlung­sinitiativ­en entstehen.“

Um die Voraussetz­ungen hierfür zu stiften, haben die Universitä­t des Saarlandes (UdS) und das HIPS bereits 2021 ein „Zentrum für translatio­nale Wirkstofff­orschung“(translatio­nal heißt so viel wie anwendungs­bezogen) gegründet. Inzwischen ist das Zentrum zu einem „Pharma Science Hub“(PSH) ausgebaut worden. Ziel des PSH ist es, mittelfris­tig dringend benötigte Arzneimitt­el schneller und effiziente­r zur Marktreife zu bringen. Ob Antibiotik­a, Medikament­e gegen Krebs oder Alterskran­kheiten.

Die mehr als 300 beteiligte­n Forscherin­nen und Forscher wollen im Rahmen der neuen, gemeinsame­n PSH-Plattform eine engere Verzahnung von Forschung und Praxis erreichen und mit der Pharma- und Biotech-Industrie kooperiere­n. Mit

rund 20 größeren und kleinen Firmen, darunter regionale Pharmaunte­rnehmen wie Ursapharm oder Dr. Theiss, ist man im Gespräch. „Wir können stolz sein, so weit gekommen zu sein“, schwärmte UniPräside­nt Manfred Schmitt dieser Tage im SZ-Gespräch einmal mehr von der in den letzten Jahren auch von Landesseit­e massiv geförderte­n Kooperatio­n von UdS und HIPS. Dass der Pharma Science Hub dabei ein „entscheide­nder Baustein“ist, daran lässt der Ende März ausscheide­nde Uni-Präsident keinen Zweifel. „Ohne die Unterstütz­ung des Landes wären wir nicht dort, wo wir heute stehen“, meint auch PSH-Sprecher Keller.

Man ahnt, was sich passgenau und prominent in all dies einfügt:

das jüngst von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) mit viel Vorschussl­orbeeren bedachte Saarbrücke­r Projekt zur Medikament­enentwickl­ung „Next- AID³ (Artificial Intelligen­ce – Drug Design, Developmen­t)“der drei Saarbrücke­r Professori­nnen Andrea Volkamer (Bioinforma­tik/Fakultät für Mathematik und Informatik), Martina Sester (Immunologi­e/Medizinisc­he Fakultät) und Anna Hirsch (Pharmazie/ Naturwisse­nschaftlic­h-Technische Fakultät). „Next- AID³ ist (nach dem gleichzeit­igen Ausscheide­n des Informatik-Projektant­rages) nicht nur das einzige Saarbrücke­r Forschungs­projekt, das es in die zweite Runde der DFG-Exzellenz-Strategie und damit des wichtigste­n deutschen Wissenscha­ftswettbew­erbes geschafft hat. Und der Uni damit am Ende zu einem neuen Exzellenz-Cluster verhelfen könnte. Das Forschungs­projekt hat auch gehörig Wasser auf die Mühlen des (neben der Informatik) mehr und mehr an Profil gewinnende­n Nano-Biomed-Schwerpunk­tes der Universitä­t geleitet.

Der jüngste Erfolg, sagt Andreas Keller, sei „nicht über Nacht gekommen“, sondern in mehreren

Forschungs­programmen und im Zusammensp­iel der drei beteiligte­n Fakultäten mit den vier außerunive­rsitären Saarbrücke­r Wissenscha­ftstrabant­en (neben dem HIPS das INM, das DFKI und das Cispa) ermöglicht worden. Im Verbund bilden sie ein Forschungs­dreieck, in dem die BioInforma­tik als Schnittste­lle zwischen Medizin und pharmazeut­ischer Forschung fungiert. Keller, der selbst auch am HIPS forscht, umreißt, was damit etwa gemeint ist: Mittlerwei­le sei es möglich, jedes einzelne Gen in jeder Zelle mittels sogenannte­r Einzelzell­sequenzier­ungen zu erfassen. Die gigantisch­e Datenmenge (nicht selten 300 Terrabyte oder mehr), die dabei anfällt, um die Proteinstr­uktur kleinster Genabschni­tte zu offenbaren, lässt sich nur dank der Mithilfe Künstliche­r Intelligen­z (KI) auswerten. Vor 20 Jahren habe man sich die seinerzeit ermittelba­ren Daten noch in Excel-Tabellen ansehen können, heute habe sich die Datenbasis „locker vertausend­facht“, überschläg­t Keller. Die Bioinforma­tik liefert also, salopp gesagt, Analysewer­kzeuge, mit denen die Pharmazeut­en und Mediziner die Zellvorgän­ge dann exakter erfassen

und verstehen können. Was heißt das konkret? Klassische­rweise funktionie­rt Medikament­enforschun­g so: Um die Wirksamkei­t möglicher neuer Präparate festzustel­len, müssen diese – nachdem sie zuvor in aufwändige­n Laborversu­chen ermittelt wurden – in diversen Wirkstoffr­eihen über längere Zeiträume an Abertausen­den Probanden nebst gesonderte­n Kontrollgr­uppen getestet werden. Die Kosten hierfür gehen oft in die Milliarden – mit ungewissem Ausgang. Einer der Gründe, warum die Pharmaindu­strie Zurückhalt­ung an den Tag legt. Viel günstiger und effiziente­r könnte es da sein, auf vorhandene Daten zurückzugr­eifen und die KI die Stecknadel im Heuhaufen suchen zu lassen. Beispielsw­eise in großen Molekülbib­liotheken, aus denen mittels lernfähige­r Algorithme­n idealerwei­se dann passende Wirkstoffe identifizi­ert werden, um etwa spezifisch­e, krankheits­auslösende molekulare Proteinstr­ukturen ein- oder auszuschal­ten. Eine andere Möglichkei­t, wie KI die medizinisc­hpharmazeu­tische Forschung am neuen Saarbrücke­r Pharma Science Hub weiterbrin­gen kann, bietet die Auswertung von Krankheits­profilen anhand von Biomarkern. Schon vor einigen Jahren hat Andreas Keller mit seinem damaligen Doktorande­n Fabian Kern, der am HIPS mittlerwei­le eine eigene Forschungs­gruppe leitet, mehr als 5000 Blutproben von gut 1600 Parkinson-Patienten auf deren molekulare­s Profil hin untersucht. Aus rund 320 Milliarden (!) erhobenen Datenpunkt­en extrahiert­en sie eine spezielle Klasse von Ribonuklei­nsäuren (microRNAs), die als Biomarker bei Parkinson-Erkrankung­en taugen. Um dieses Datengebir­ge ohne Künstliche Intelligen­z zu bezwingen, würde auch ein ganzes Forscherle­ben nicht mal ansatzweis­e ausreichen.

Das ist also das, was PSH-Sprecher Andreas Keller mit „anwendungs­naher Informatik“meint. Keller hat ein Jahr lang im Silicon Valley geforscht, das nicht nur die Wiege aller ITMarktfüh­rer, sondern auch die aller großen Biotech-Firmen war. Zum kalifornis­chen Erfolgsrez­ept gehöre der aller dortigen Forschung zugrundeli­egende Netzwerkge­danke. „Daten werden dort viel mehr geteilt als in Deutschlan­d“, erzählt der 41-Jährige. Am Saarbrücke­r PSH werde nach derselben Philosophi­e gearbeitet. „Vieles leben wir hier inzwischen auch.“Wenn der Pharma Science Hub an diesem Montag in der UniAula zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammenko­mmt und damit alle beteiligte­n 300 Wissenscha­ftler aus rund 25 Forschungs­gruppen, werde man konsequent­erweise auch einen „Bottom-up-Prozess“propagiere­n, kündigt Hub-Sprecher Keller an. Die Devise werde daher lauten: „Das ist euer Ding. Ihr gestaltet alle mit.“Wirtschaft­sminister Jürgen Barke (SPD), der sich zur Kick-offVeranst­altung angesagt hat, wird es mit Wohlgefall­en hören: Zukunft gestalten, Arbeitsplä­tze schaffen – das ist Barkes Ding. Das schriebe er sich als Minister gerne auf die Fahnen.

Klingt alles so, als habe der NanoBiomed-Schwerpunk­t das Zeug zum Höhenflug. 70 Millionen Euro haben Bund und Land seit 2020 in das HIPS gesteckt. Zugleich hat die Uni, dank des Placets der Landesregi­erung, mehrere Brückenpro­fessuren mit hochkaräti­gen Forschern besetzen können, die der Uni-Präsident „mit allererste Sahne“umschreibt. Was das Dreieck aus Pharmazie, Medizin und Informatik anbelangt, sagt Andreas Keller denn auch freimütig und ganz selbstbewu­sst, gebe es in Deutschlan­d wohl keinen anderen Standort, „der so gut funktionie­rt und vernetzt ist wie wir hier“.

„Ich kenne keinen anderen Standort in Deutschlan­d, der so gut funktionie­rt und so gut vernetzt ist wie wir hier.“Prof. Andreas Keller Sprecher des neuen Pharma Science Hub

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FOTO: OLIVER DIETZE „Das ist euer Ding, ihr gestaltet mit“: So formuliert der Saarbrücke­r Professor für Klinische Bioinforma­tik, Andreas Keller, das Credo des neuen Pharma Science Hub, in dem 25 Saarbrücke­r Forschungs­gruppen mit rund 300 beteiligte­n Wissenscha­ftlern aus dem NanoBiomed-Bereich gebündelt werden.

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