Licht und Schatten bei der 6. Matinée
Die 6. Matinée der Deutschen Radio Philharmonie war dem Ehrendirigenten des Orchesters Stanislaw Skrowaczewski anlässlich seines 100. Geburtstages gewidmet. Chefdirigent Pietari Inkinen hatte sich ein schwieriges Programm dafür ausgesucht und begann mit dem zweiten von drei Klavierkonzerten Béla Bartóks. Theodor W. Adorno hat in diesem Konzert „Neoklassizismus in Bartókscher
Abwandlung, Gestaltenreichtum, Klangphantasie und Satzideen aller Art“gehört. Dem kann man wohl zustimmen, denn Solist Olli Mustonen tat alles, um diesen Eindruck zu vertiefen. Mit fabelhafter Technik, gestischem Selbst-Dirigat und kraftvollem Anschlag meisterte er all die spieltechnischen Schwierigkeiten der Ecksätze, ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass er mit Sentiment die gespannte Ruhe des Adagios nachempfinden konnte. Gleichwertiger Partner war das Orchester, im ersten Satz die quirligen Bläser, im zweiten die sanften Streicher und erst im dritten der volle, präsente Klangkörper, der Themenmaterial aus dem Eröffnungssatz übernahm und so die Brückenform vollendete. Das Publikum der gefüllten Congresshalle bejubelte den Solisten und das Orchester, eine Zugabe musste nicht lange erbeten werden. Die abschließende zweite Sinfonie von Anton Bruckner wurde als „unspielbar“zuerst von den Wiener Philharmonikern abgelehnt, ein Jahr später dann doch bei der Weltausstellung in Wien uraufgeführt. Sie ist gespickt mit spieltechnischen Schwierigkeiten, die alle vorzüglich gemeistert wurden. Alle Musiker haben den Text einwandfrei gespielt. Etliche Generalpausen zerklüften jedoch und führen zu einer gewissen formalen Episodenhaftigkeit. Doch das undefinierbare „metaphysische“der Musik Bruckners war nicht recht zu verspüren. Das mag an der Tageszeit, am Ort, am Dirigenten und insbesondere an der persönlichen Disposition des Hörers gelegen haben. Bruckner ist heute oder gerade heute ein Rätsel und kann nur unter bestimmten örtlichen und stimmungsmäßigen Voraussetzungen erfüllend erlebt werden. Ausgeprägtere Dynamik könnte da helfen, risikoreichere Hörner, tiefer angesetzte Steigerungen und vor allem unendliche Ruhe. Was blieb, ist der Eindruck einer korrekten Aufführung, die nicht unbedingt in Erinnerung bleibt.