Beim Müllentsorger ASS rumort es gewaltig
Die Liste der Vorwürfe ist lang: Beschäftigte lassen am Müllentsorger ASS der Landeshauptstadt Saarbrücken kein gutes Haar. Der Arbeitgeber habe sich viel zu Schulden kommen lassen. Der reagiert überrascht auf die Vorwürfe.
Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten drehen sich zumeist um Lohn und Arbeitszeit. Doch beim Müllentsorger ASS in Saarbrücken scheint viel mehr als nur dicke Luft wegen tarifvertraglicher Vereinbarungen zu herrschen. Die Liste der Vorwürfe ist lang, die der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ( Verdi) seitens der Kollegen vorliegt. Und auf die der Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsgesellschaft äußerst verwundert reagiert.
So berichtet Gewerkschaftssekretär Thomas Müssig von erheblichen Gehaltsunterschieden zwischen ASS-Mitarbeitern und den Kollegen des Zentralen Kommunalen Entsorgungsbetriebs (ZKE). Auch dabei handelt es sich um ein Unternehmen der saarländischen Landeshauptstadt. Hier allerdings werde nach Angaben des Gewerkschafters nach den besseren Abschlüssen im öffentlichen Dienst bezahlt.
Bei der ASS hingegen sollen die monatlichen Gehälter bis zu 600 Euro niedriger sein, sagt Verdi-Mann Müssig. Was ein Angestellter bei diesem Tochterunternehmen netto verdient, liege im Monat bei durchschnittlich 1600 bis 1750 Euro. „Das bedeutet, dass einige sogar zum Amt müssen, um ihr Geld aufzustocken und um damit über die Runden zu kommen.“Von Zuschlägen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sowie Betriebsrente könnten die Angestellten hier nur träumen.
Dem gesamten Entlohnungskonstrukt liege ein Modell zugrunde, das von einem privaten Unternehmer in Nordrhein-Westfalen abgekupfert sei. Müssig: „Von einem Tarifvertrag kann da nicht die Rede sein. Denn ein Vertrag muss mit uns, mit der Gewerkschaft, vereinbart werden. Verhandlungen darüber gab es bei der ASS mit uns nicht.“Für dieses Vertragswerk hätte es auch keine Zustimmung gegeben, unterstreicht der Gewerkschaftssekretär. Zwar habe sich die Kommune verpflichtet, faire Löhne zu zahlen. In diesem Fall sei Saarbrücken weit davon entfernt.
Doch es ist nicht nur die Bezahlung, die die Mitarbeiter auf die Palme bringt. Die allgemeinen Zustände bei Arbeitssicherheit, -zeiten, und -hygiene machten den rund 30 Angestellten mächtig zu schaffen. Müssig spricht von „katastrophalen Zuständen“, die den Betroffenen sogar gefährlich werden könnten.
So sollen Verdi zahlreiche Berichte zu überschrittenen Arbeitszeiten vorliegen. Dabei gehe es längst nicht nur um Missachtung von Tarifverträgen. Hier würden Arbeitszeitgesetze gebrochen, so der Vorwurf. Zwar stehe die 39-Stunden-Woche auf dem Papier des übernommenen Tarifwerks eines privaten Unternehmens. Doch durch überlange Touren der Müllabfuhr könne diese nicht eingehalten werden. Der Vorwurf: Offenbar würde das von der Leitung billigend in Kauf genommen. Pausen- und Maximallenkzeiten könnten wegen der Gesamtumstände nicht eingehalten werden, heißt es.
Gleichzeitig seien einzelne Fahrzeuge, die bislang für die ASS eingesetzt wurden, eine Gefahr für die Beschäftigten. Kontrollen des TÜV gebe es selten. Reparaturen würden oftmals vom dafür ungeschulten Eigenpersonal ausgeführt, um Wartezeiten zu sparen.
Berufskleidung, die der Arbeitgeber bereitstellen muss, gebe es nur sporadisch. „Handschuhe müssen getragen werden, auch wenn sie schon längst verschlissen sind“, berichtet Müssig mit Bezug auf Informationen aus der ASS-Belegschaft. T-Shirts und Arbeitshosen müssten verdreckt getragen werden, wenn Mitarbeiter nicht selbst aus eigenem Bestand für Ersatz sorgen. Denn Wechselkleidung sei Mangelware.
Bernd Selzner ist Geschäftsführer der städtischen Tochtergesellschaft.
„Ich habe immer wieder den zuständigen Teamleiter darauf hingewiesen, dass die Lenkzeiten eingehalten werden müssen.“Bernd Selzner ASS-Geschäftsführer
Auf dem Papier besteht das Unternehmen seit einigen Jahrzehnten. Doch erst in den 2000er besann sich Saarbrücken, die Tätigkeiten hier wieder aufzunehmen. Selzner, einst bei der ZKE in führender Position, ist seitdem für die wiederbelebte GmbH verantwortlich.
Er erklärt, warum sich die Landeshauptstadt auf die ASS besann und diese reaktivierte. „Es ging um Ausschreibungen, auf die man sich bewerben wollte.“Mit dem bisherigen Gehaltsgefüge sei es nicht möglich gewesen, entsprechende Angebote zu unterbreiten, um der Konkurrenz Paroli zu bieten. Darum habe Selzner nach einem entsprechenden Tarifvertrag außerhalb des bisherigen gesucht. Und sei dabei eben in Nordrhein-Westfalen fündig geworden.
Dass dieser allerdings die Beschäftigten ans Existenzminimum bringe, stimme aus seiner Sicht nicht. Er unterstreicht, sich ans Tariftreuegesetz zu halten, „das mit Verdi abgestimmt ist“. Zudem kündigt er gegenüber der SZ an, 600 Euro für 2024 als außertariflichen Zuschlag jedem Mitarbeiter zu zahlen. Das gelte bei Vollzeit. Bei kürzeren Arbeitsverhältnissen werde
diese Sonderzahlung entsprechend angepasst.
Gleichzeitig sichert der Geschäftsführer Lohnerhöhungen zu. 175 Euro sollen Beschäftigte mehr erhalten. Das gelte aber erst ab 2025. Summa summarum spricht er damit von einem Plus von 12,5 Prozent.
Für ihn nicht nachzuvollziehen ist die Kritik an der generellen Arbeitsbelastung. Selzner gibt zu: „Als wir den Betrieb vor einigen Jahren aufgenommen haben, lief nicht alles rund. Das musste sich einspielen.“Das betraf insbesondere die Tourenpläne für die gelben Tonnen, die seit Januar 2021 von ASS-Mitarbeitern geleert werden. Doch dies sei mittlerweile kein Problem mehr.
Unterdessen verweist Verdi-Vertreter Thomas Müssig auf das hohe Arbeitsaufkommen. Durch Ausfälle bei Müllwagen seien Abfuhrtouren verlängert worden. Diese seien in der vorgegebenen Arbeitszeit nicht zu bewältigen. So fielen regelmäßig Überstunden an.
Auch hier kommt ein Einspruch von ASS-Chef Selzner. Er achte darauf, Arbeitszeiten einzuhalten. Verbesserung habe es dadurch gegeben, dass der eingesammelte Müll nicht
mehr zu weiter entfernt gelegenen Sammelstellen gebracht werden müsse. Eine sei im Regionalverband gefunden worden, um lange An- und Abfahrten zu vermeiden. Das komme der Arbeitszeit vor Ort zugute.
In diesem Zusammenhang wehrt er sich zudem gegen den Vorwurf, er lasse es zu, dass Fahrer länger am Steuer sitzen als erlaubt. „Ich habe immer wieder den zuständigen Teamleiter darauf hingewiesen, dass die Lenkzeiten eingehalten werden müssen.“Aus dieser Richtung allerdings bekam Verdi die Rückmeldung, dass dies mit den zur Verfügung stehenden Fahrzeugen ein Ding der Unmöglichkeit sei. „Der Fuhrpark ist so alt und verschlissen, dass es immer wieder zu unvorhergesehenen Ausfällen kommt“, sagt Müssig. Dann müssten die kaputten Autos im Depot bleiben. Die davon betroffenen Straßen würden auf die noch fahrbereiten Wagen umgelegt. Damit verlängere sich deren Touren – räumlich wie zeitlich.
Hier versichert Selzner Abhilfe. Unabhängig von dem jetzt hochkochenden Ärger bei den Angestellten seien neue Fahrzeuge geordert. „Wir haben zunächst welche aus dem Bestand des ZKE übernommen“, sagt er. Doch nach und nach sollten sie ausgetauscht werden. Sie seien bereits bestellt. In Kürze sollten neue geliefert werden, um den Fuhrpark zu erneuern.
Völliges Unverständnis hingegen beim ASS-Chef, was die Vorwürfe zur Dienstkleidung betrifft: „Die stellen wir den Mitarbeitern ausreichend zur Verfügung. Wenn jemand neue Handschuhe braucht, dann bekommt er sie auch.“Gleiches gelte für die übrigen Kleidungsstücke.
Müssig indes verweist auf die große Unzufriedenheit. Die mache sich bei der hohen Fluktuation in der Belegschaft bemerkbar. Müssig: „Es gibt kaum Mitarbeiter, die länger dabei sind.“Zuletzt formierte sich ein Betriebsrat. Dass sich innerhalb kürzester Zeit dieses innerbetriebliche Mitbestimmungsgremium gegründet habe, weise auf die schwierige Situation im Unternehmen hin. So hätten sich sechs Kandidaten aus dem Kreis der zurzeit 32 Angestellten gefunden. Zudem sei der gewerkschaftliche Organisationsgrad hoch. Müssig spricht von rund 80 Prozent aller ASS-Beschäftigten, die Verdi angehörten.