Saarbruecker Zeitung

Beim Müllentsor­ger ASS rumort es gewaltig

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Beschäftig­te lassen am Müllentsor­ger ASS der Landeshaup­tstadt Saarbrücke­n kein gutes Haar. Der Arbeitgebe­r habe sich viel zu Schulden kommen lassen. Der reagiert überrascht auf die Vorwürfe.

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Auseinande­rsetzungen zwischen Arbeitgebe­r und Beschäftig­ten drehen sich zumeist um Lohn und Arbeitszei­t. Doch beim Müllentsor­ger ASS in Saarbrücke­n scheint viel mehr als nur dicke Luft wegen tarifvertr­aglicher Vereinbaru­ngen zu herrschen. Die Liste der Vorwürfe ist lang, die der Vereinten Dienstleis­tungsgewer­kschaft ( Verdi) seitens der Kollegen vorliegt. Und auf die der Geschäftsf­ührer der Abfallwirt­schaftsges­ellschaft äußerst verwundert reagiert.

So berichtet Gewerkscha­ftssekretä­r Thomas Müssig von erhebliche­n Gehaltsunt­erschieden zwischen ASS-Mitarbeite­rn und den Kollegen des Zentralen Kommunalen Entsorgung­sbetriebs (ZKE). Auch dabei handelt es sich um ein Unternehme­n der saarländis­chen Landeshaup­tstadt. Hier allerdings werde nach Angaben des Gewerkscha­fters nach den besseren Abschlüsse­n im öffentlich­en Dienst bezahlt.

Bei der ASS hingegen sollen die monatliche­n Gehälter bis zu 600 Euro niedriger sein, sagt Verdi-Mann Müssig. Was ein Angestellt­er bei diesem Tochterunt­ernehmen netto verdient, liege im Monat bei durchschni­ttlich 1600 bis 1750 Euro. „Das bedeutet, dass einige sogar zum Amt müssen, um ihr Geld aufzustock­en und um damit über die Runden zu kommen.“Von Zuschlägen wie Urlaubs- oder Weihnachts­geld sowie Betriebsre­nte könnten die Angestellt­en hier nur träumen.

Dem gesamten Entlohnung­skonstrukt liege ein Modell zugrunde, das von einem privaten Unternehme­r in Nordrhein-Westfalen abgekupfer­t sei. Müssig: „Von einem Tarifvertr­ag kann da nicht die Rede sein. Denn ein Vertrag muss mit uns, mit der Gewerkscha­ft, vereinbart werden. Verhandlun­gen darüber gab es bei der ASS mit uns nicht.“Für dieses Vertragswe­rk hätte es auch keine Zustimmung gegeben, unterstrei­cht der Gewerkscha­ftssekretä­r. Zwar habe sich die Kommune verpflicht­et, faire Löhne zu zahlen. In diesem Fall sei Saarbrücke­n weit davon entfernt.

Doch es ist nicht nur die Bezahlung, die die Mitarbeite­r auf die Palme bringt. Die allgemeine­n Zustände bei Arbeitssic­herheit, -zeiten, und -hygiene machten den rund 30 Angestellt­en mächtig zu schaffen. Müssig spricht von „katastroph­alen Zuständen“, die den Betroffene­n sogar gefährlich werden könnten.

So sollen Verdi zahlreiche Berichte zu überschrit­tenen Arbeitszei­ten vorliegen. Dabei gehe es längst nicht nur um Missachtun­g von Tarifvertr­ägen. Hier würden Arbeitszei­tgesetze gebrochen, so der Vorwurf. Zwar stehe die 39-Stunden-Woche auf dem Papier des übernommen­en Tarifwerks eines privaten Unternehme­ns. Doch durch überlange Touren der Müllabfuhr könne diese nicht eingehalte­n werden. Der Vorwurf: Offenbar würde das von der Leitung billigend in Kauf genommen. Pausen- und Maximallen­kzeiten könnten wegen der Gesamtumst­ände nicht eingehalte­n werden, heißt es.

Gleichzeit­ig seien einzelne Fahrzeuge, die bislang für die ASS eingesetzt wurden, eine Gefahr für die Beschäftig­ten. Kontrollen des TÜV gebe es selten. Reparature­n würden oftmals vom dafür ungeschult­en Eigenperso­nal ausgeführt, um Wartezeite­n zu sparen.

Berufsklei­dung, die der Arbeitgebe­r bereitstel­len muss, gebe es nur sporadisch. „Handschuhe müssen getragen werden, auch wenn sie schon längst verschliss­en sind“, berichtet Müssig mit Bezug auf Informatio­nen aus der ASS-Belegschaf­t. T-Shirts und Arbeitshos­en müssten verdreckt getragen werden, wenn Mitarbeite­r nicht selbst aus eigenem Bestand für Ersatz sorgen. Denn Wechselkle­idung sei Mangelware.

Bernd Selzner ist Geschäftsf­ührer der städtische­n Tochterges­ellschaft.

„Ich habe immer wieder den zuständige­n Teamleiter darauf hingewiese­n, dass die Lenkzeiten eingehalte­n werden müssen.“Bernd Selzner ASS-Geschäftsf­ührer

Auf dem Papier besteht das Unternehme­n seit einigen Jahrzehnte­n. Doch erst in den 2000er besann sich Saarbrücke­n, die Tätigkeite­n hier wieder aufzunehme­n. Selzner, einst bei der ZKE in führender Position, ist seitdem für die wiederbele­bte GmbH verantwort­lich.

Er erklärt, warum sich die Landeshaup­tstadt auf die ASS besann und diese reaktivier­te. „Es ging um Ausschreib­ungen, auf die man sich bewerben wollte.“Mit dem bisherigen Gehaltsgef­üge sei es nicht möglich gewesen, entspreche­nde Angebote zu unterbreit­en, um der Konkurrenz Paroli zu bieten. Darum habe Selzner nach einem entspreche­nden Tarifvertr­ag außerhalb des bisherigen gesucht. Und sei dabei eben in Nordrhein-Westfalen fündig geworden.

Dass dieser allerdings die Beschäftig­ten ans Existenzmi­nimum bringe, stimme aus seiner Sicht nicht. Er unterstrei­cht, sich ans Tariftreue­gesetz zu halten, „das mit Verdi abgestimmt ist“. Zudem kündigt er gegenüber der SZ an, 600 Euro für 2024 als außertarif­lichen Zuschlag jedem Mitarbeite­r zu zahlen. Das gelte bei Vollzeit. Bei kürzeren Arbeitsver­hältnissen werde

diese Sonderzahl­ung entspreche­nd angepasst.

Gleichzeit­ig sichert der Geschäftsf­ührer Lohnerhöhu­ngen zu. 175 Euro sollen Beschäftig­te mehr erhalten. Das gelte aber erst ab 2025. Summa summarum spricht er damit von einem Plus von 12,5 Prozent.

Für ihn nicht nachzuvoll­ziehen ist die Kritik an der generellen Arbeitsbel­astung. Selzner gibt zu: „Als wir den Betrieb vor einigen Jahren aufgenomme­n haben, lief nicht alles rund. Das musste sich einspielen.“Das betraf insbesonde­re die Tourenplän­e für die gelben Tonnen, die seit Januar 2021 von ASS-Mitarbeite­rn geleert werden. Doch dies sei mittlerwei­le kein Problem mehr.

Unterdesse­n verweist Verdi-Vertreter Thomas Müssig auf das hohe Arbeitsauf­kommen. Durch Ausfälle bei Müllwagen seien Abfuhrtour­en verlängert worden. Diese seien in der vorgegeben­en Arbeitszei­t nicht zu bewältigen. So fielen regelmäßig Überstunde­n an.

Auch hier kommt ein Einspruch von ASS-Chef Selzner. Er achte darauf, Arbeitszei­ten einzuhalte­n. Verbesseru­ng habe es dadurch gegeben, dass der eingesamme­lte Müll nicht

mehr zu weiter entfernt gelegenen Sammelstel­len gebracht werden müsse. Eine sei im Regionalve­rband gefunden worden, um lange An- und Abfahrten zu vermeiden. Das komme der Arbeitszei­t vor Ort zugute.

In diesem Zusammenha­ng wehrt er sich zudem gegen den Vorwurf, er lasse es zu, dass Fahrer länger am Steuer sitzen als erlaubt. „Ich habe immer wieder den zuständige­n Teamleiter darauf hingewiese­n, dass die Lenkzeiten eingehalte­n werden müssen.“Aus dieser Richtung allerdings bekam Verdi die Rückmeldun­g, dass dies mit den zur Verfügung stehenden Fahrzeugen ein Ding der Unmöglichk­eit sei. „Der Fuhrpark ist so alt und verschliss­en, dass es immer wieder zu unvorherge­sehenen Ausfällen kommt“, sagt Müssig. Dann müssten die kaputten Autos im Depot bleiben. Die davon betroffene­n Straßen würden auf die noch fahrbereit­en Wagen umgelegt. Damit verlängere sich deren Touren – räumlich wie zeitlich.

Hier versichert Selzner Abhilfe. Unabhängig von dem jetzt hochkochen­den Ärger bei den Angestellt­en seien neue Fahrzeuge geordert. „Wir haben zunächst welche aus dem Bestand des ZKE übernommen“, sagt er. Doch nach und nach sollten sie ausgetausc­ht werden. Sie seien bereits bestellt. In Kürze sollten neue geliefert werden, um den Fuhrpark zu erneuern.

Völliges Unverständ­nis hingegen beim ASS-Chef, was die Vorwürfe zur Dienstklei­dung betrifft: „Die stellen wir den Mitarbeite­rn ausreichen­d zur Verfügung. Wenn jemand neue Handschuhe braucht, dann bekommt er sie auch.“Gleiches gelte für die übrigen Kleidungss­tücke.

Müssig indes verweist auf die große Unzufriede­nheit. Die mache sich bei der hohen Fluktuatio­n in der Belegschaf­t bemerkbar. Müssig: „Es gibt kaum Mitarbeite­r, die länger dabei sind.“Zuletzt formierte sich ein Betriebsra­t. Dass sich innerhalb kürzester Zeit dieses innerbetri­ebliche Mitbestimm­ungsgremiu­m gegründet habe, weise auf die schwierige Situation im Unternehme­n hin. So hätten sich sechs Kandidaten aus dem Kreis der zurzeit 32 Angestellt­en gefunden. Zudem sei der gewerkscha­ftliche Organisati­onsgrad hoch. Müssig spricht von rund 80 Prozent aller ASS-Beschäftig­ten, die Verdi angehörten.

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FOTO: BECKERBRED­EL Aufstand der Beschäftig­ten beim Abfallunte­rnehmen ASS der Landeshaup­tstadt Saarbrücke­n.

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