UN-Bericht liefert Grund für Reaktionen auf Russland
Putins Wahlmanöver zur Verlängerung seiner Amtszeit ist für die Europäische Union Anlass, sich gegenüber Russland ganz neu aufzustellen.
Als die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock am Montag mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus Europa in Brüssel die Konsequenzen aus den jüngsten Vorkommnissen in Russland und der Ukraine beraten will, richtet sich die Ministerin für Auswärtiges erst einmal an die Binnendebatte in Deutschland.
Ohne SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich namentlich zu erwähnen, dreht sie eine Frage nach der Verwendung der Erträge eingefrorener russischer Besitztümer auf die verstärkte Verteidigung der Ukraine und die Rückeroberung besetzter Gebiete. An dieser Stelle bringt sie den jüngsten Bericht der Vereinten Nationen über gezielte Kriegsverbrechen durch russische Soldaten an von ihnen beherrschten ukrainischen Zivilisten ins Spiel und erklärt mit energischer Miene: „Wer diesen Bericht liest, der wird aus meiner
Sicht nicht wieder darüber sprechen, dass man vielleicht den Konflikt einfrieren sollte.“
Das waren Mützenichs Worte, gesprochen im Bundestag in Berlin. In Brüssel hält Baerbock dem das „absolute Horrorbuch“der Vereinten Nationen entgegen, wendet sich nachdrücklich gegen jede Vorstellung, mit einem „Einfrieren“hörten Leiden und Tod in der Ukraine auf. „Das Schlimmste ist die Nacht, wenn ich nicht weiß, ob wieder russische Soldaten kommen, um uns zu vergewaltigen“, zitiert Baerbock aus dem Kopf eine der Zeuginnen aus der Ostukraine. Für Kinder, Jugendliche, schwangere Frauen, alte Frauen sei dies „die Realität in den besetzten Gebieten“. Hunderttausende von Menschen lebten seit nunmehr zwei Jahren unter der russischen Gewalt; sie müssten endlich frei kommen.
Es sind zwei Entwicklungen, mit denen sich die Außenminister mit Blick auf Russland befassen. Da sind die „Wahlen“, durch die Putin sein Verbleiben im Amt des russischen Präsidenten organisiert hat. „Ruchlos“, fällt dazu Baerbock ein, sowohl was Putins Vorgehen gegen das eigene Volk in dieser „Wahl ohne Wahl“anbelangt, als auch seine Nichtbeachtung des Völkerrechtes. „Wahlen in Teilen Moldawiens und in Teilen der Ukraine abzuhalten, ist völkerrechtswidrig“, stellt Baerbock fest.
Und bald verbreitet EU-Außenbeauftragter Josep Borrell dazu eine Erklärung, in der die EU das scharf verurteilt, die ausbleibende Einladung an unabhängige Wahlbeobachter bedauert und die Bedingungen beschreibt, unter denen diese „Wahlen“stattfanden: Mit repressivem Vorgehen gegen die Opposition und die Medien sowie dem Ausschluss von Kandidaten, die gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine waren. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis berichtet, von den Russen, die in Litauen zur Wahl gegangen seien, hätten lediglich drei Prozent für Putin votiert.
Auch der Name des im Vorfeld der Wahlen getöteten Bürgerrechtlers Alexej Nawalny fällt an dieser Stelle. Baerbock verbindet dies mit der Ankündigung neuer Sanktionen gegen diejenigen, die hierfür Verantwortung trugen. Sie lobt die Entscheidung, das Volumen von EU-Geldern zur Finanzierung von Militärhilfe für die Ukraine um weitere fünf Milliarden Euro aufzustocken.
Und sie lässt erkennen, dass die Debatte über eine Verwendung von Erträgen aus eingefrorenen russischen Besitztümern in Gang gekommen ist. All dies gilt auch der Vorbereitung des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag dieser Woche, in der sich der Westen gegenüber Russland neu aufstellt. Nicht zufällig gehört die Abstimmung mit dem ukrainischen und dem amerikanischen Außenminister zum ersten Programmpunkt der Minister in Brüssel.
Mit Blick auf den Gipfel stellt Ratspräsident Charles Michel zur gleichen Zeit fest, dass zwei Jahre nach dem Start des Krieges klar geworden ist, dass Russland sein Vorgehen in der Ukraine nicht stoppen werde, so wie es das zehn Jahre zuvor auf der Krim auch nicht getan habe. Moskau setze im Gegenteil seine Taktik der Destabilisierung in Moldawien, Georgien, auf dem südlichen Kaukasus und dem westlichen Balkan und in Afrika fort. „Russland ist eine ernsthafte militärische Bedrohung für unseren europäischen Kontinent und die globale Sicherheit“, stellt Michel im Vorfeld des Gipfels fest. Und er folgert daraus: „Wenn wir darauf nicht die richtige Antwort und der Ukraine nicht genügend Unterstützung geben, um Russland stoppen zu können, sind wir die Nächsten.“Seine Aussicht auf den Gipfel schließt mit der Feststellung: „Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf
Krieg vorbereiten.“
Derweil schauen bei den Außenministern manche am Tisch mit mehr Engagement auf die Entwicklungen im Nahen Osten. Auch hier bringen die Minister neue Sanktionen auf den Weg. Sie richten sich einerseits gegen die Hamas-Angehörigen, die mordend und vergewaltigend in Israel unterwegs waren, andererseits gegen radikale israelische Siedler, die mit ihren illegalen Aktivitäten einer Zwei-Staaten-Lösung im Weg stehen. „Das Leiden in Gaza muss endlich ein Ende haben“, verlangt Baerbock. Für eine humanitäre Feuerpause „tun wir alles“, unterstreicht die Ministerin.
Unter dem „nicht zu ertragenden Leiden“versteht sie aber auch die nun seit fünf Monaten von der Hamas festgehaltenen Geiseln, darunter ein- und vierjährige Kinder.