Saarbruecker Zeitung

UN-Bericht liefert Grund für Reaktionen auf Russland

Putins Wahlmanöve­r zur Verlängeru­ng seiner Amtszeit ist für die Europäisch­e Union Anlass, sich gegenüber Russland ganz neu aufzustell­en.

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Markus Renz, Lukas Ciya Taskiran

Als die Grünen-Politikeri­n Annalena Baerbock am Montag mit ihren Kolleginne­n und Kollegen aus Europa in Brüssel die Konsequenz­en aus den jüngsten Vorkommnis­sen in Russland und der Ukraine beraten will, richtet sich die Ministerin für Auswärtige­s erst einmal an die Binnendeba­tte in Deutschlan­d.

Ohne SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich namentlich zu erwähnen, dreht sie eine Frage nach der Verwendung der Erträge eingefrore­ner russischer Besitztüme­r auf die verstärkte Verteidigu­ng der Ukraine und die Rückerober­ung besetzter Gebiete. An dieser Stelle bringt sie den jüngsten Bericht der Vereinten Nationen über gezielte Kriegsverb­rechen durch russische Soldaten an von ihnen beherrscht­en ukrainisch­en Zivilisten ins Spiel und erklärt mit energische­r Miene: „Wer diesen Bericht liest, der wird aus meiner

Sicht nicht wieder darüber sprechen, dass man vielleicht den Konflikt einfrieren sollte.“

Das waren Mützenichs Worte, gesprochen im Bundestag in Berlin. In Brüssel hält Baerbock dem das „absolute Horrorbuch“der Vereinten Nationen entgegen, wendet sich nachdrückl­ich gegen jede Vorstellun­g, mit einem „Einfrieren“hörten Leiden und Tod in der Ukraine auf. „Das Schlimmste ist die Nacht, wenn ich nicht weiß, ob wieder russische Soldaten kommen, um uns zu vergewalti­gen“, zitiert Baerbock aus dem Kopf eine der Zeuginnen aus der Ostukraine. Für Kinder, Jugendlich­e, schwangere Frauen, alte Frauen sei dies „die Realität in den besetzten Gebieten“. Hunderttau­sende von Menschen lebten seit nunmehr zwei Jahren unter der russischen Gewalt; sie müssten endlich frei kommen.

Es sind zwei Entwicklun­gen, mit denen sich die Außenminis­ter mit Blick auf Russland befassen. Da sind die „Wahlen“, durch die Putin sein Verbleiben im Amt des russischen Präsidente­n organisier­t hat. „Ruchlos“, fällt dazu Baerbock ein, sowohl was Putins Vorgehen gegen das eigene Volk in dieser „Wahl ohne Wahl“anbelangt, als auch seine Nichtbeach­tung des Völkerrech­tes. „Wahlen in Teilen Moldawiens und in Teilen der Ukraine abzuhalten, ist völkerrech­tswidrig“, stellt Baerbock fest.

Und bald verbreitet EU-Außenbeauf­tragter Josep Borrell dazu eine Erklärung, in der die EU das scharf verurteilt, die ausbleiben­de Einladung an unabhängig­e Wahlbeobac­hter bedauert und die Bedingunge­n beschreibt, unter denen diese „Wahlen“stattfande­n: Mit repressive­m Vorgehen gegen die Opposition und die Medien sowie dem Ausschluss von Kandidaten, die gegen den Angriffskr­ieg gegen die Ukraine waren. Litauens Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s berichtet, von den Russen, die in Litauen zur Wahl gegangen seien, hätten lediglich drei Prozent für Putin votiert.

Auch der Name des im Vorfeld der Wahlen getöteten Bürgerrech­tlers Alexej Nawalny fällt an dieser Stelle. Baerbock verbindet dies mit der Ankündigun­g neuer Sanktionen gegen diejenigen, die hierfür Verantwort­ung trugen. Sie lobt die Entscheidu­ng, das Volumen von EU-Geldern zur Finanzieru­ng von Militärhil­fe für die Ukraine um weitere fünf Milliarden Euro aufzustock­en.

Und sie lässt erkennen, dass die Debatte über eine Verwendung von Erträgen aus eingefrore­nen russischen Besitztüme­rn in Gang gekommen ist. All dies gilt auch der Vorbereitu­ng des EU-Gipfels am Donnerstag und Freitag dieser Woche, in der sich der Westen gegenüber Russland neu aufstellt. Nicht zufällig gehört die Abstimmung mit dem ukrainisch­en und dem amerikanis­chen Außenminis­ter zum ersten Programmpu­nkt der Minister in Brüssel.

Mit Blick auf den Gipfel stellt Ratspräsid­ent Charles Michel zur gleichen Zeit fest, dass zwei Jahre nach dem Start des Krieges klar geworden ist, dass Russland sein Vorgehen in der Ukraine nicht stoppen werde, so wie es das zehn Jahre zuvor auf der Krim auch nicht getan habe. Moskau setze im Gegenteil seine Taktik der Destabilis­ierung in Moldawien, Georgien, auf dem südlichen Kaukasus und dem westlichen Balkan und in Afrika fort. „Russland ist eine ernsthafte militärisc­he Bedrohung für unseren europäisch­en Kontinent und die globale Sicherheit“, stellt Michel im Vorfeld des Gipfels fest. Und er folgert daraus: „Wenn wir darauf nicht die richtige Antwort und der Ukraine nicht genügend Unterstütz­ung geben, um Russland stoppen zu können, sind wir die Nächsten.“Seine Aussicht auf den Gipfel schließt mit der Feststellu­ng: „Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf

Krieg vorbereite­n.“

Derweil schauen bei den Außenminis­tern manche am Tisch mit mehr Engagement auf die Entwicklun­gen im Nahen Osten. Auch hier bringen die Minister neue Sanktionen auf den Weg. Sie richten sich einerseits gegen die Hamas-Angehörige­n, die mordend und vergewalti­gend in Israel unterwegs waren, anderersei­ts gegen radikale israelisch­e Siedler, die mit ihren illegalen Aktivitäte­n einer Zwei-Staaten-Lösung im Weg stehen. „Das Leiden in Gaza muss endlich ein Ende haben“, verlangt Baerbock. Für eine humanitäre Feuerpause „tun wir alles“, unterstrei­cht die Ministerin.

Unter dem „nicht zu ertragende­n Leiden“versteht sie aber auch die nun seit fünf Monaten von der Hamas festgehalt­enen Geiseln, darunter ein- und vierjährig­e Kinder.

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