Saarbruecker Zeitung

Putin sieht sich gestärkt für seinen Krieg

Moskau feiert einen neuen „Wahltriump­h“von Kremlchef Wladimir Putin. Aber nicht nur im Westen gibt es Fragen, wie nun mit dem Langzeitpr­äsidenten umzugehen ist. Auch viele Russen rätseln, wie es weitergeht.

- VON ULF MAUDER

(dpa) Sichtlich entspannt tritt Kremlchef Wladimir Putin noch in der Wahlnacht vor seine Unterstütz­er und dankt den russischen Wählern für ihr Vertrauen. Der 71-Jährige sieht wie oft nach Wahlen so aus, als ob eine schwere Last von ihm abgefallen ist.

Zum Erstaunen vieler spricht er sogar erstmals den Namen seines schärfsten Gegners aus: Alexej Nawalny. Dass der 47 Jahre alte Opposition­elle in Haft starb, sei zwar traurig, aber so etwas passiere eben. Putin, der auch sonst keine echten Gegner zur Präsidente­nwahl zugelassen hat, fühlt sich augenschei­nlich so stark wie nie in seinen fast 25 Jahren an der Macht.

Dass ihm seine enge Vertraute, Ella Pamfilowa, als Wahlleiter­in ein Rekorderge­bnis beschert bei einer Rekordwahl­beteiligun­g, nimmt der frühere Geheimdien­stoffizier erleichter­t auf. Immerhin herrscht vor allem seit Nawalnys Tod vor einem Monat eine gespannte Stimmung in Russlands Machtzentr­um. Die bei Nawalnys Beerdigung in Moskau weithin hörbaren Rufe „Putin ist ein Mörder“und „Russland ohne Putin“haben auch den Kreml erreicht.

Und auch die Proteste gegen Putins Wiederwahl am Sonntag in vielen Wahllokale­n blieben nicht unbemerkt. Es sei „schlecht“, dass einige Andersdenk­ende sich entschiede­n hätten, die Stimmzette­l ungültig zu machen, sagt Putin nach der Aktion. Aber für das Ergebnis habe das keine Folgen.

Tatsächlic­h haben sich Tausende an Wahllokale­n versammelt, um gegen den Langzeitpr­äsidenten zu stimmen. Und diese Wähler bestehen darauf, dass die Russen sich durchaus nicht so eng um Putin scharen und zu seinem Krieg gegen die Ukraine stehen, wie vom Kreml immer wieder behauptet.

Um die Welt gingen Bilder, wie Russen in langen Schlangen warteten, um gegen Putin zu stimmen. Das störte das von den Staatsmedi­en gezeichnet­e Bild lachender und glückliche­r Wähler, die dem Amtsinhabe­r ihre Treue aussprache­n. In der heilen Welt des russischen Staatsfern­sehens kommen Unzufriede­ne traditione­ll nicht zu Wort.

Dafür gibt es Putin am laufenden Band. Und der nutzt seine Ansprache in der Wahlnacht auch, um die

Menschen weiter auf Krieg und Konflikte mit dem Westen einzustimm­en. „Der Konflikt führt dazu, dass es bis zum Dritten Weltkrieg nur ein Schritt ist“, sagt er Journalist­en im Saal. Nachfragen gibt es nicht.

Russland müsse seine Ziele in der Ukraine erreichen, seine Verteidigu­ngsfähigke­it und Streitkräf­te stärken, betont Putin. Deutlich macht er einmal mehr auch, dass Russland zu Verhandlun­gen bereit sei für eine Beendigung des Krieges – allerdings zu seinen Bedingunge­n. Die Einrichtun­g einer Pufferzone in der Ukraine bringt Putin noch einmal ins Spiel. Sie soll so groß sein, dass die von Moskau besetzten Gebiete nicht mehr mit Nato-Waffen zu erreichen sind.

Nicht zuletzt wegen seines bisher besten Wahlergebn­isses – über 87 Prozent werden ihm zugeschrie­ben – sieht er sich selbst in der Position nie dagewesene­r Stärke. Moskaus Führung feiert das Ergebnis auch als Scheitern des Westens, Einfluss zu nehmen auf die Wahl.

Zufrieden nimmt Putin am Montag auch Glückwünsc­he aus befreundet­en Staaten entgegen, unter ihnen Autokraten Nordkoreas,

Syriens und Tadschikis­tans. Der Kreml listet die Gratulante­n penibel auf – und registrier­t, wer – wie etwa Deutschlan­d – nicht gratuliert oder sogar Putins Anerkennun­g ablehnt.

Die Kritik des Westens an der Wahl ist in Moskau am Tag nach der Abstimmung das bei Weitem am stärksten diskutiert­e Thema. Putin meint, er habe keinen Applaus des Westens erwartet. Die Sprecherin des russischen Außenminis­teriums, Maria Sacharowa, ätzt, die Chefs der Nato-Staaten verhielten sich wie „Kakerlaken“, die durcheinan­derlaufen, wenn das Licht angeht: Die einen wollten das Ergebnis nicht anerkennen, die anderen nähmen es zur Kenntnis.

Schon kurz vor der Wahl wies Kremlsprec­her Dmitri Peskow jede Kritik zurück. „Unsere Demokratie ist die allerbeste, und wir werden sie weiter aufbauen.“

Beobachter erwarten hingegen, dass die Repression­en nach Putins Wiederwahl nun noch zunehmen

werden, um seinen Machterhal­t zu zementiere­n. Schon jetzt gibt es in Russland keine freie Medienberi­chterstatt­ung mehr, Tausende Internetse­iten sind blockiert.

Wer den Kreml oder den Krieg kritisiert, riskiert Strafen bis hin zu Haft im Straflager. Es gibt keine Versammlun­gsfreiheit. Opposition­elle sind entweder in Haft, im Exil im Ausland oder tot.

Der russische Politologe Andrej Kolesnikow in Moskau zeichnet ein düsteres Bild. Ein Machtappar­at, der sich nur mit Polizeigew­alt behaupte, werde nie bequem regieren können. Auch eine Konsolidie­rung der Gesellscha­ft auf Grundlage von Hass gegen die zivilisier­te Welt werde keine Stabilität bringen.

Putin stütze seine Macht auf die Passivität der Massen und auf Angst. „Wladimir Putin kann vielleicht kurzzeitig gewinnen, aber er legt Minen unter Russlands Zukunft“, analysiert der Experte für die Denkfabrik Carnegie.

Eine Perspektiv­e sehen viele nicht – auch keine Hoffnung auf einen Machtwechs­el. Das Land entwickle sich vielmehr von einem autoritäre­n Regime zu einem totalitäre­n Staat, sagt Kolesnikow.

Nach fast einem Vierteljah­rhundert an der Macht habe Putin eine „parasitäre Elite“herangezog­en, ein Großteil der Bevölkerun­g sei abhängig von staatliche­n Jobs. Statt eines Mittelstan­des mit Unternehme­rn und kreativen Menschen gebe es einen Apparat mit Sicherheit­skräften und Bürokraten, deren Einkommen und sozialer Status völlig von Putins Wohlwollen abhängig seien.

Wie lange das hält, kann niemand sagen. „Es ist möglich, dass das Regime für die nächsten paar Jahre genügend Ressourcen hat, um sich nach dem Prinzip ‚Nach uns die Sintflut' an der Macht zu halten“, sagt Kolesnikow.

Putin hatte mit einer Verfassung­sänderung schon vor fast vier Jahren die Weichen stellen lassen, um auch 2030 wieder zur Wahl antreten zu können.

Auf dem Roten Platz in Moskau feierten am Montag Tausende Menschen Putin als Wahlsieger mit „Rossija-Rossija“-Rufen. Es war auch eine Party zum 10. Jahrestag der Annexion der Schwarzmee­rHalbinsel Krim.

„Der Konflikt führt dazu, dass es bis zum Dritten Weltkrieg nur ein Schritt ist.“Wladimir Putin Kremlchef über den wahrgenomm­enen Konflikt mit dem Westen

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FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/AP/DPA Der wiedergewä­hlte Kremlchef Wladimir Putin dankte den Wählern für ihr Vertrauen.

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