Saarbruecker Zeitung

„Das hat das Saarland nicht verdient!“

Die Absage einer geplanten Ausstellun­g von Candice Breitz im Saarlandmu­seum hat eine scharfe Debatte entfacht, in der der Künstlerin auch Nähe zu antisemiti­schen Positionen nachgesagt wurde. Im folgenden Beitrag, den wir in Auszügen im Wortlaut veröffentl

- Von Candice Breitz finden Sie im Online-Angebot der Saarbrücke­r Zeitung unter www.saarbrueck­er-zeitung.de

Es ist nach wie vor traurig und bestürzend, die aktuellen Entwicklun­gen in der so genannten „Causa Breitz“zu beobachten, wohl wissend, dass das Saarland rein gar nichts für die Farce kann, die sich um die Absage meiner Ausstellun­g Ende letzten Jahres entfaltet. Unabhängig davon, ob Andrea Jahns Beschluss, von ihrem Amt als Direktorin des Saarlandmu­seums zurückzutr­eten, von der saarländis­chen Kultusmini­sterin Christine Streichert-Clivot erzwungen wurde oder nicht – wird Jahns Rücktritt den erhebliche­n Schaden, der dem Ruf Saarbrücke­ns in den letzten Monaten widerfahre­n ist, nicht wieder gutmachen.

Womöglich wird Streichert-Clivot in die Geschichte eingehen als die erste Kultusmini­sterin seit der Nazizeit, die die Absage einer Ausstellun­g einer jüdischen Künstlerin in einem deutschen Museum zu verantwort­en hat, und zwar ohne rechtsgemä­ßes Verfahren und unter völliger Missachtun­g des Grundgeset­zes. Im Angesicht des unüberhörb­aren Schweigens von Jahn zum öffentlich­en Diskurs der letzten Monate hat Streichert-Clivot die verleumder­ischen Angriffe auf meinen Ruf in voller Inbrunst angeführt. Unter anderem hat sie mich in Interviews schamlos als eine Bedrohung jüdischen Lebens dargestell­t, wobei sie zynischerw­eise außen vorließ, dass ich selbst Jüdin bin.

Mit ihrem Weggang aus Saarbrücke­n verabschie­det Jahn sich von einer kulturelle­n Gemeinscha­ft, die keinen Grund hat, an die Vertrauens­würdigkeit ihrer Kultusmini­sterin zu glauben, wenn es um die Verteidigu­ng der Kunst- und Meinungsfr­eiheit geht. Wenn diese Rechte eingeschrä­nkt werden, können keine sinnstifte­nden Debatten und Diskurse entstehen.

Die Ministerin hat allerdings in den letzten Monaten gezeigt, dass sie wenig an Debatten und Diskursen interessie­rt ist. Jahn hat schriftlic­h bestätigt, dass Streichert-Clivot ihr in den Tagen nach der Absage meiner Ausstellun­g untersagte, Interviews zu geben. Obwohl Jahn unbedingt „ihren Standpunkt zum Ausdruck bringen“wollte, sei ihr diese Möglichkei­t verwehrt worden. Kurz bevor sie am 28. November 2023 ihre Bemühungen aufgab, die Absage meiner Ausstellun­g rückgängig zu machen, schickte mir Jahn eine letzte frustriert­e Nachricht, in der sie erklärte, dass sie leider „keine Macht hat“.

Streichert-Clivot hat seitdem jeden Versuch der Saarbrücke­r Kulturszen­e abgewürgt, mich zu einem Dialog über die Absage meiner Ausstellun­g einzuladen. Mein aufrichtig­er Dank gilt dieser Kulturszen­e, die mir monatelang große Solidaritä­t entgegenge­bracht hat. Die Saarländer verdienen eine Kultusmini­sterin, der der demokratis­che Austausch und die Meinungsfr­eiheit am Herzen liegt, statt einer Ministerin, die das Saarland zum Gegenstand heftiger Kritik in der deutschen Presseland­schaft macht, sowie in unzähligen internatio­nalen Zeitungen wie der New York Times, Le Monde und dem Guardian.

Was für eine Leistung der so selbstgere­chten Ministerin, mich innerhalb weniger als 48 Stunden als Antisemiti­n zu entlarven, wo ich doch seit über fünfzig Jahren in der jüdischen Gemeinscha­ft fest verankert bin! Aus welchem Grund auch immer waren die jüdischen Menschen um mich herum bisher zu naiv, um zu erkennen, was für eine Judenhasse­rin ich bin. Was

haben sich das Jüdische Museum in New York, das Jüdische Museum in Berlin, das Contempora­ry Jewish Museum in San Francisco und das Centre for Contempora­ry Art in Tel Aviv nur gedacht, als sie dieses Monster einluden, in ihren Räumen auszustell­en?

Nur wenige Tage vor der Absage meiner Ausstellun­g stand ich auf einem Podium in Oslo und hielt die Keynote Rede für ein Symposium über die Erinnerung an den Holocaust. Das Symposium wurde von drei Holocaust-Gedenkstät­ten organisier­t. Aber was wissen solche Einrichtun­gen schon über Antisemiti­smus? Bis Streichert-Clivot auftauchte, war offenbar Tausenden von ahnungslos­en Jüd*innen und Holocaust-Expert*innen die ominöse Bedrohung, die von meiner Person ausgeht, entgangen.

Glaubt irgendjema­nd ernsthaft, dass die Kampagne der Ministerin gegen mich dazu beiträgt, das Leben von Jüd*innen sicherer zu machen? Oder, dass die Stigmatisi­erung progressiv­er Jüd*innen, die Netanjahus Regierung kritisch gegenübers­tehen, der sinnvollst­e Weg ist, um die eskalieren­de Bedrohung jüdischen Lebens zu bekämpfen?

Sollten die Einwohner einer Demokratie nicht das Recht haben, eine rechtsextr­eme Regierung zu kritisiere­n? Oder sollten wir die Meinungsfr­eiheit einfach abschaffen und uns vom deutschen Staat vorschreib­en lassen, was genau wir zu denken haben?

Bei meinem letzten Besuch in Saarbrücke­n zeigte das Saarlandmu­seum übrigens immer noch stolz Gemälde von Emil Nolde, ohne zu erwähnen, dass der Künstler erwiesener­maßen ein Mitglied der Nazipartei war und sich bei Hitlers völkermörd­erischem Regime eingeschme­ichelt hatte.

Es scheint, dass antisemiti­sche Positionen im Saarlandmu­seum koscher sind, solange sie von nichtjüdis­chen deutschen Künstler*innen kommen. Jüdische Künstler*innen hingegen müssen hart zensiert werden, wenn sie es wagen, den politische­n Ansichten der saarländis­chen Kultusmini­sterin nicht zu entspreche­n.

Die vollständi­ge Stellungna­hme

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FOTO: IMAGO IMAGES Candice Breitz gilt als renommiert­e wie umstritten­e Künstlerin. Eine geplante Ausstellun­g im Saarlandmu­seum mit ihren Arbeiten wurde abgesagt.

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