Appell an die Zivilcourage einer wachen Gesellschaft
Die szenische Lesung „Geheimplan gegen Deutschland“über die Enthüllungen Recherche-Kollektivs Correctiv war in Saarbrücken ein voller Erfolg.
„Willst Du verklagt werden?“„Das habe ich so nicht gesagt.“Derlei Sätze fallen ständig in diesem Stück. Und sie machen deutlich: Hier geht's nicht nur um das, was gesagt werden muss. Sondern auch darum, wer etwas wie sagt, um wahlweise keine schlafenden Hunde zu wecken oder eine Klage wegen Verleumdung am Hals zu haben. Auch wenn es die Wahrheit ist – eigentlich.
Aufhänger sind die Enthüllungen des unabhängigen Recherche-Kollektivs Correctiv. Im Januar veröffentlichte das Redaktionsnetzwerk seine Enthüllungen über ein geheimes, aber von investigativen Journalisten überwachtes Treffen des so genannten „Düsseldorfer Forums“aus AfD-Politikern, Identitären, Vertretern der „Werte-Union“, offen gewaltbereiten Neonazis und finanzkräftigen Unternehmern, die sich im November vergangenen Jahres im Landhaus Adlon am Lehnitzsee bei Potsdam trafen, um nicht weniger als die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland zu planen. Und nebenbei Spenden einzutreiben für ihr demokratiezersetzendes Vorhaben, das sie als „Remigration“verharmlosten.
Die Veröffentlichungen von Correctiv über das Netzwerken rechtsextremer Gruppierungen brachten das Fass zum Überlaufen und trieben hunderttausende Menschen auf die Straße, um gegen rassistische und antidemokratische Umtriebe zu protestieren. Kay Voges, Regisseur und Intendant des Volkstheaters Wien, wiederum griff die Recherchen flugs auf, um sie mit seinem Ensemble in Form einer szenischen Lesung mit dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“auf die Bühne des koproduzierenden Berliner Ensembles zu bringen.
Auf Betreiben des Saarbrücker Schauspielers und Kabarettisten Peter Tiefenbrunner war die Lesung (mit dem nur geringfügig geänderten Original-Text von Lolita Lax, Jean Peters und Voges) nun mit einem flugs zusammengestellten, vorzüglichen freien Profi-Ensemble auch in Saarbrücken zu erleben: In wechselnden Rollen agierten ehemalige ( Tiefenbrunner, Christine Manami Münster-Domke) und amtierende Überzwerge (Anna und Gerrit Bernstein). Samt Techniker Florian Layes verzichteten sie auf Gage und Eintritt und baten statt dessen um Spenden zur Deckung der Produktionskosten; etwaige Überschüsse werden an einen gemeinnützigen hiesigen Verein gespendet.
Premiere war am Freitag im Schlosskeller, wegen der großen Nachfrage wurde für Sonntag eilig eine zweite Vorstellung im Theater im Viertel ( TiV) anberaumt. Hier herrschte mehr Andrang, als reguläre Sitzplätze vorhanden waren; das Publikum stapelte sich bis in den Bühnenraum.
Das Stück verzahnt Realität und
Fiktionalisierung zu einem beklemmend absurden, satirischen Doku-Kammerspiel, das zugleich die Freiheit der Kunst und die Möglichkeiten theatralischer Anverwandlung hinterfragt. Und bei dem, trotz allen Entsetzens, auch fassungslos gelacht werden darf: Weil man die kreative juristische Perfidie, mit der die Forumsredner in einem „Masterplan“das Grundgesetz aushebeln, Wahlen manipulieren und Parlamentarier dabei ungeniert ihre Möglichkeiten als Abgeordnete ausnutzen wollen, schier nicht glauben mag.
In einer Art Rahmenhandlung werden die Gastgeber und Rädelsführer des Forums vorgestellt und geschildert, wie es den CorrectivLeuten gelungen ist, sich unbemerkt einzuschleusen, um Ton- und Bildaufnahmen zu machen. Auf einer Leinwand im Hintergrund werden auch im weiteren Verlauf Originalfotos und -Videos eingeblendet; für Off-Töne lieh Schauspielerin Barbara Scheck ihre Stimme.
Zwischen einer Festtafel und zwei Rednerpulten pendeln die Schauspieler hin und her; mit ironischen Brüchen agieren sie abwechselnd als „die Bühnenfigur“des jeweiligen Forumsredners oder debattieren über „unverdächtigen“Wortlaut. Anna Bernstein übernimmt außerdem die Rolle des „Fakten-Schiris“und eines als störenfriedlichen Hotelgasts getarnten Reporters, und Tine Münster gehört das flammende
Schlussplädoyer, das sie mit so viel Vehemenz vorträgt, dass das Publikum sie mit einem Extra-Applaus feiert.
Die gelungene Produktion ist ein Appell an die Zivilcourage einer wachen Gesellschaft, dass Geschichte sich nicht wiederholen darf. Und sie unterstreicht die unverzichtbare Kontrollfunktion eines unabhängigen Journalismus – in der Kultur und all ihren Genres hat er einen wertvollen Verbündeten.