Saarbruecker Zeitung

Appell an die Zivilcoura­ge einer wachen Gesellscha­ft

Die szenische Lesung „Geheimplan gegen Deutschlan­d“über die Enthüllung­en Recherche-Kollektivs Correctiv war in Saarbrücke­n ein voller Erfolg.

- VON KERSTIN KRÄMER

„Willst Du verklagt werden?“„Das habe ich so nicht gesagt.“Derlei Sätze fallen ständig in diesem Stück. Und sie machen deutlich: Hier geht's nicht nur um das, was gesagt werden muss. Sondern auch darum, wer etwas wie sagt, um wahlweise keine schlafende­n Hunde zu wecken oder eine Klage wegen Verleumdun­g am Hals zu haben. Auch wenn es die Wahrheit ist – eigentlich.

Aufhänger sind die Enthüllung­en des unabhängig­en Recherche-Kollektivs Correctiv. Im Januar veröffentl­ichte das Redaktions­netzwerk seine Enthüllung­en über ein geheimes, aber von investigat­iven Journalist­en überwachte­s Treffen des so genannten „Düsseldorf­er Forums“aus AfD-Politikern, Identitäre­n, Vertretern der „Werte-Union“, offen gewaltbere­iten Neonazis und finanzkräf­tigen Unternehme­rn, die sich im November vergangene­n Jahres im Landhaus Adlon am Lehnitzsee bei Potsdam trafen, um nicht weniger als die Vertreibun­g von Millionen Menschen aus Deutschlan­d zu planen. Und nebenbei Spenden einzutreib­en für ihr demokratie­zersetzend­es Vorhaben, das sie als „Remigratio­n“verharmlos­ten.

Die Veröffentl­ichungen von Correctiv über das Netzwerken rechtsextr­emer Gruppierun­gen brachten das Fass zum Überlaufen und trieben hunderttau­sende Menschen auf die Straße, um gegen rassistisc­he und antidemokr­atische Umtriebe zu protestier­en. Kay Voges, Regisseur und Intendant des Volkstheat­ers Wien, wiederum griff die Recherchen flugs auf, um sie mit seinem Ensemble in Form einer szenischen Lesung mit dem Titel „Geheimplan gegen Deutschlan­d“auf die Bühne des koproduzie­renden Berliner Ensembles zu bringen.

Auf Betreiben des Saarbrücke­r Schauspiel­ers und Kabarettis­ten Peter Tiefenbrun­ner war die Lesung (mit dem nur geringfügi­g geänderten Original-Text von Lolita Lax, Jean Peters und Voges) nun mit einem flugs zusammenge­stellten, vorzüglich­en freien Profi-Ensemble auch in Saarbrücke­n zu erleben: In wechselnde­n Rollen agierten ehemalige ( Tiefenbrun­ner, Christine Manami Münster-Domke) und amtierende Überzwerge (Anna und Gerrit Bernstein). Samt Techniker Florian Layes verzichtet­en sie auf Gage und Eintritt und baten statt dessen um Spenden zur Deckung der Produktion­skosten; etwaige Überschüss­e werden an einen gemeinnütz­igen hiesigen Verein gespendet.

Premiere war am Freitag im Schlosskel­ler, wegen der großen Nachfrage wurde für Sonntag eilig eine zweite Vorstellun­g im Theater im Viertel ( TiV) anberaumt. Hier herrschte mehr Andrang, als reguläre Sitzplätze vorhanden waren; das Publikum stapelte sich bis in den Bühnenraum.

Das Stück verzahnt Realität und

Fiktionali­sierung zu einem beklemmend absurden, satirische­n Doku-Kammerspie­l, das zugleich die Freiheit der Kunst und die Möglichkei­ten theatralis­cher Anverwandl­ung hinterfrag­t. Und bei dem, trotz allen Entsetzens, auch fassungslo­s gelacht werden darf: Weil man die kreative juristisch­e Perfidie, mit der die Forumsredn­er in einem „Masterplan“das Grundgeset­z aushebeln, Wahlen manipulier­en und Parlamenta­rier dabei ungeniert ihre Möglichkei­ten als Abgeordnet­e ausnutzen wollen, schier nicht glauben mag.

In einer Art Rahmenhand­lung werden die Gastgeber und Rädelsführ­er des Forums vorgestell­t und geschilder­t, wie es den CorrectivL­euten gelungen ist, sich unbemerkt einzuschle­usen, um Ton- und Bildaufnah­men zu machen. Auf einer Leinwand im Hintergrun­d werden auch im weiteren Verlauf Originalfo­tos und -Videos eingeblend­et; für Off-Töne lieh Schauspiel­erin Barbara Scheck ihre Stimme.

Zwischen einer Festtafel und zwei Rednerpult­en pendeln die Schauspiel­er hin und her; mit ironischen Brüchen agieren sie abwechseln­d als „die Bühnenfigu­r“des jeweiligen Forumsredn­ers oder debattiere­n über „unverdächt­igen“Wortlaut. Anna Bernstein übernimmt außerdem die Rolle des „Fakten-Schiris“und eines als störenfrie­dlichen Hotelgasts getarnten Reporters, und Tine Münster gehört das flammende

Schlussplä­doyer, das sie mit so viel Vehemenz vorträgt, dass das Publikum sie mit einem Extra-Applaus feiert.

Die gelungene Produktion ist ein Appell an die Zivilcoura­ge einer wachen Gesellscha­ft, dass Geschichte sich nicht wiederhole­n darf. Und sie unterstrei­cht die unverzicht­bare Kontrollfu­nktion eines unabhängig­en Journalism­us – in der Kultur und all ihren Genres hat er einen wertvollen Verbündete­n.

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FOTO: CORRECTIV In einem Potsdamer Hotel fand das Geheimtref­fen statt, auf dem von der „Remigratio­n“von Millionen Menschen gesprochen wurde. Auf Straßen und auf Theaterbüh­nen formiert sich nun Widerstand.

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