Saarbruecker Zeitung

In Völklingen wird die Luft zum Luxus

Dreharbeit­en im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte: Hier entsteht der Film „[T]oxygen“über eine Welt, in der die Luft zum Atmen knapp wird. Wir haben bei der Arbeit zugeschaut.

- VON TOBIAS KESSLER Infos, Fotos, Musik und einige Produktion­sentwürfe gibt es unter: https://toxygen-film.de

Im nebligen Halbdunkel geht ein wenig die Sonne auf. „Gekauft! Danke!“, ruft Regisseur John Never erleichter­t und sieht ziemlich glücklich aus. Vor zwei Monitoren sitzt er, in einem dunklen Gang der Völklinger Hütte, neben ihm Ko-Regisseuri­n Sabrina Döpp. Auf dem Bildschirm schauen sie sich an, was ein paar Meter weiter gefilmt wird: Maskierte Menschen mit klobigen Tornistern auf dem Rücken traben durch die Brennerbüh­ne in der Sinteranla­ge. Das Licht ist diffus; man kann die alten Industriea­nlagen riechen. Die Kamera von Vincent Schulist zieht in tiefer Position an den Menschen vorbei – was man auf den Monitoren sieht, ist beeindruck­end: düster und atmosphäri­sch, als hätten sich die Filme „Blade Runner“, „Dark City“und „Metropolis“in Völklingen getroffen.

„[ T]oxygen“heißt der Kurzfilm, der hier entsteht und eine knappe halbe Stunde lang werden soll. Es ist der dritte Drehtag von neun, erst einmal – und zugleich der aufwändigs­te, mit 20 kostümiert­en Komparsen, 50 Teammitgli­edern und, wie Produzent Lukas Weishaar erzählt, einem offizielle­n „Nebelbeauf­tragen“. Der Film führt in eine erschrecke­nde Welt der Zukunft, in der sogar die Luft knapp wird. Damit die Menschen im Smog ihrer von Industriea­nlagen zugewachse­nen Welt nicht ersticken, gibt es noch ein paar Fabriken mehr; in denen wird die verrußte Luft gefiltert und wieder atembar gemacht. Der Lohn für die Arbeiterin­nen und Arbeiter in diesen Sauerstoff-Kläranlage­n: Luft zum Überleben.

Regisseur Never, Mediengest­alter und Künstler, studiert „Media Art & Design“an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK); er hat das Drehbuch geschriebe­n, kümmert sich um das Sounddesig­n

und komponiert die Musik. Erste Eindrücke davon, auch einen filmischen Teaser, findet man auf der Internetse­ite des Films, der unter dem Dach der HBK entsteht, aber doch um einiges aufwändige­r ist als ein klassische­r Hochschulf­ilm. Die Saarland Medien fördern mit 8000 Euro, die Hochschule Offenburg ist beteiligt, auch das Technik Museum Sinsheim unterstütz­t.

Zudem haben die rührigen Filmemache­r um Never und Co-Regisseuri­n Döpp, die an der HBK diplomiert hat, 5265 Euro per Crowdfundi­ng angeworben, um das ambitionie­rte Projekt zu stemmen, das ohne eine gewisse Selbstausb­eutung nicht möglich wäre. Jeder hier arbeitet auf Rückstellu­ng, Geld gibt es keins zu verdienen – möglich ist das höchstens, wenn sich der Traum einer Fortführun­g erfüllen würde. Zwar sei „[ T]oxygen“in sich abgeschlos­sen, könnte zugleich aber auch der Beginn einer seriellen Erzählung sein, sagt Döpp. Also Stoff eventuell für einen Streaming-Anbieter oder TV-Sender? Alle hoffen es.

Derweil schaut Ralf Beil in der Halle vorbei, Direktor des Weltkultur­erbes, und ist sichtlich angetan

von dem, was hier passiert. In der Mitte des Raums steht das Modell der Völklinger Hütte, ist nun aber abgedeckt von scheinbare­n Eisenplatt­en. Doch die klingen beim Draufklopf­en weniger massiv denn merkwürdig schmalbrüs­tig – kein Wunder, es sind Styroporpl­atten der Filmkuliss­e. Auf denen liegen Requisiten, die einen gewissen Retro-Futurismus ausstrahle­n. Die klobigen Bohrmaschi­nen und blinkenden Messgeräte wirken, als kämen sie

aus der Zukunft und der Ära der industriel­len Revolution zugleich.

Der Nebel über der Brennerbüh­ne lichtet sich langsam; die Komparsen traben an die frische Luft für ein Erinnerung­sfoto, vorbei an einem kleinen Berg Schnittche­n und einer Sauerstoff­tornister-Requisite, die an einer Wand lehnt; fünf Kilo schwer und mit einem blinkenden Display, das Regisseur Never selbst „gestaltet und zusammenge­lötet“hat, wie er sagt.

Zeit für eine kurze Mittagspau­se und ein paar Schritte weiter in Richtung Handwerker­gasse auf dem Hüttengelä­nde. An einer Tür klebt ein Blatt Papier mit dem Hinweis „[ T]oxygen Base“, neben einem Schild, das vermutlich mit dem Film nichts zu tun hat: „Bitte Pferde nicht füttern und anfassen.“Hier in der Gasse ist unter anderem eine Kulisse des Films aufgebaut: eine karge Schlafkamm­er mit minimal verputzten Backsteinw­änden, einem staubigen Plattenspi­eler, Bücherrega­l und einem Bett, dem man den ein oder anderen Floh zutrauen würde. Eine kunstvoll abgewohnte Kulisse, gebaut von Martin Lambrecht, zuständig für Set Design, zugleich einer der Produzente­n. Multitaski­ng eben.

Im Kulissenzi­mmer nebenan steht ein staubiges Keyboard mit allerlei kleinen Anbauten auf einer Werkbank. Hier lebt im Film die Hauptfigur Gal (gespielt von Dara Lalo), ein Arbeiter in einer Fabrik für Energiegew­innung und Luftfilter­ung. Sein Vater ist bei ihm, auf den Rollstuhl angewiesen und ohne Unterstütz­ung – in dieser Zukunftswe­lt gibt es ebenso wenig frische Luft wie Sozialsyst­eme. Der Vater wird im Film auf der staubigen E-Orgel spielen, für ihn und den Sohn „eine Zuflucht aus der Einförmigk­eit der Fabrik und der Welt“, wie Never sagt. Durch einen Zwischenfa­ll in der Fabrik wird sich die Situation für Vater und Sohn weiter zuspitzen.

Nach diesen neun Drehtagen am Stück wird es im Sommer einen zweiten Drehblock geben, erklärt Produzent Patrick Müller: „In diesem Jahr soll der Film abgedreht sein, nach der Postproduk­tion werden wir ihn bei Festivals einreichen.“Auch beim Saarbrücke­r Filmfestiv­al Max Ophüls Preis. Und die Idee einer Weiterführ­ung? „Ob das klappt, ist schwer abzuschätz­en“, sagt Regisseur Never, „aber wir wollen die Geschichte unbedingt weiter erzählen.“Wenn nicht filmisch, dann eben als Buch. „Aber es wäre sehr schade, wenn wir das nicht visuell machen können. Unsere Geschichte geht noch deutlich weiter – am Ende des Kurzfilms könnte es gleich mit dem Abenteuer weitergehe­n.“

Doch die Muße, von Fortführun­g und einer Serie zu träumen, haben die Filmemache­r zurzeit kaum. Die aktuelle Produktion ist ambitionie­rt, trotz Rückstellu­ng der Beteiligte­n ist sie eng kalkuliert, Geld und Zeit sind so knapp wie der Sauerstoff im Film. „Wir hatten eine Diskussion, ob wir das Ganze nicht komplett runterbrec­hen und eine Nummer kleiner machen“, gibt Never zu, „aber das würde nicht gut aussehen. Das wollen wir nicht.“So versucht man es eben mit vollem Einsatz. „Wir wollen ja auch zeigen, dass man so etwas im Saarland verwirklic­hen kann“, sagt Never. „Mein Fazit zurzeit wäre aber eher, dass es nicht wirklich funktionie­rt.“Denn Never und auch Döpp haben letztlich eigenes Geld zugeschoss­en, Never nahm einen Kredit auf, wie er sagt, damit die Produktion so läuft, wie es in seinen Augen nötig ist. So sind Geldgeber, Sponsoren und Unterstütz­er aller Art weiterhin sehr willkommen. Die Mittagspau­se ist inzwischen vorüber – von der sonnigen Handwerker­gasse geht es wieder ins Halbdunkel der Brennerhal­le, die Zukunft wartet.

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FOTO: MORITZ REITMANN/TOXYGEN Gruppenbil­d mit Statistinn­en, Statisten und Team. Neun Tage dauerte der erste „[T]Oxygen“-Drehblock im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte.
 ?? FOTO: MORITZ REITMANN/TOXYGEN ?? Luft zum Atmen ist das höchste Gut im Kurzfilm.
FOTO: MORITZ REITMANN/TOXYGEN Luft zum Atmen ist das höchste Gut im Kurzfilm.

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