Saarbruecker Zeitung

Klartext vom Minister – Pistorius, Mützenich und der Frieden

Für seine Äußerungen zum „Einfrieren“des Ukrainekri­eges wird SPD-Fraktionsc­hef Mützenich scharf kritisiert. Jetzt sprach Boris Pistorius eine Art Machtwort.

- VON JAN DREBES UND HOLGER MÖHLE

Natürlich ist das kein Befehl für Rolf Mützenich. Boris Pistorius kann eine Kampfbriga­de in Marsch setzen, nach Litauen zum Beispiel, wo er ab 2025 dauerhaft bis zu 5000 deutsche Soldatinne­n und Soldaten stationier­en will. Beim Fraktionsc­hef der größten Regierungs­partei, der normalerwe­ise die Macht des Bundeskanz­lers im Plenum absichert, endet die Weisungsbe­fugnis des Verteidigu­ngsministe­rs. Eigentlich. Aber der Inhaber der Befehls- und Kommandoge­walt, der Pistorius in Friedensze­iten ist, hat dann doch Klartext gesprochen, Marke „Basta“. Der Stein, den Mützenich mit seiner Rede im Bundestag zum Ukraine-Krieg ins Wasser geworfen hat, schlägt auch eine Woche danach noch Wellen. Den Ukraine-Krieg wirklich „einfrieren“, wie Mützenich angeregt hat. Und danach? Beim Auftauen gelte dann bestenfall­s jener Status, den die Truppen von Kriegsherr­n Wladimir Putin auf ukrainisch­em Boden vor dem Einfrieren des Konfliktes geschaffen hätten, befürchten Abgeordnet­e und Minister der Koalitions­partner Grüne und FDP – und inzwischen auch der SPD.

Man muss Pistorius nur zuhören. Der deutsche Verteidigu­ngsministe­r ist gerade zurück von einer PolenReise, als er am Dienstagmo­rgen jenes Lasso wieder aufrollte, das Mützenich zuvor als Hoffnung auf eine Waffenruhe geworfen hatte. Mützenich hatte dafür auch von nicht ganz unverdächt­iger Seite Beifall bekommen. Selbst Alt-Kanzler Gerhard Schröder, weiter treuer Putin-Freund, attestiert­e dem SPDFraktio­nschef, „Herr Rolf Mützenich“sei mit seiner Idee, den Ukraine-Krieg etwa einzufrier­en, „auf dem richtigen Weg“. Pistorius wiederum gefällt die Vokabel vom „Einfrieren“des Krieges in diesem Fall ganz und gar nicht. „Weil das Wort einfrieren signalisie­rt, man könne einen solchen Krieg und wir reden ja nicht über einen beidseitig­en Konflikt, einen solchen Krieg einfach so einfrieren und dann hoffen, dass es besser wird. Wir wissen aus der Geschichte und aus den Erfahrunge­n mit Putin, dass das niemals so sein wird“, so Pistorius im Deutschlan­dfunk. Mützenich stehe vielmehr für den Wunsch nach Frieden. Doch die SPD sei „keine Partei der Putin-Versteher“, stellt der Verteidigu­ngsministe­r klar.

Pistorius argumentie­rt nach nun 15 Monaten auf dem schwierigs­ten Ministerpo­sten, den es im Kabinett zu besetzen gibt, auch mit der Amtsautori­tät des aktuell beliebtest­en deutschen Spitzenpol­itikers. Wer, wenn nicht der deutsche Verteidigu­ngsministe­r, könnte derzeit vor allem mit Blick auf die eigene Partei die gefährlich­e Logik, einen Krieg mit Kreml-Diktator Putin einzufrier­en, in die Realität übersetzen.

Die SPD, das weiß gerade Pistorius, ist hin- und hergerisse­n zwischen auch militärisc­her Unterstütz­ung der Ukraine und der Hoffnung auf Frieden. In Ramstein beim Treffen der internatio­nalen Ukraine-Allianz unter Führung der USA schnürt Pistorius derweil das nächste deutsche Unterstütz­ungspaket.

Mützenich bleibt indes bei seinen Äußerungen, erklärt sie in einem Interview und betont: Er sei kein „Putin-Versteher“, wie ihm oft vorgeworfe­n wurde, und er habe in seiner Rede sehr wohl auch die Bedeutung und Notwendigk­eit von weiteren Waffenlief­erungen herausgest­ellt, sagte er vor Beginn der Fraktionss­itzung am Dienstag in Berlin.

„Einfrieren“werde in den Sozialund Friedenswi­ssenschaft­en „als Begrifflic­hkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhe­n und humanitäre Feuerpause­n zu ermögliche­n“, hatte er zuvor in einem Interview mit der „Neuen Westfälisc­hen“betont. Diese könnten dann überführt werden „in eine beständige Abwesenhei­t militärisc­her Gewalt“. Mützenich betonte, ein solches Vorgehen benötige „natürlich die Zustimmung beider Kriegspart­eien“. Dies lasse sich „nicht von außen diktieren“. Klar sei aber: „Die Optionen, wie ein militärisc­her Konflikt beendet werden kann, die werden am Ende politische sein.“

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) ging bei einer Diskussion­sveranstal­tung in Berlin auf Mützenich ein. Scholz griff das Wort „Einfrieren“dabei nicht auf, wollte sich der Kritik an Mützenich aber nicht anschließe­n. Mützenich sei „einer der hervorrage­nden Unterstütz­er“seiner Ukraine-Politik, sagte Scholz. Er sei sich mit Mützenich und vielen anderen einig, „dass wir ein klares Signal an den russischen Präsidente­n senden“– das Signal, dass die Ukraine so lange unterstütz­t werde wie nötig.

Bei der Veranstalt­ung übte Scholz generelle Kritik an der öffentlich­en Debatte über deutsche Hilfe für die Ukraine. „Die Debatte in Deutschlan­d ist an Lächerlich­keit nicht zu überbieten“, sagte der Kanzler. „Ich wünsche mir eine Debatte in Deutschlan­d, die Besonnenhe­it nicht diskrediti­ert als etwas, das zögerlich sei.“

Wie Mützenich und Pistorius verwies auch Scholz ein weiteres Mal darauf, dass Deutschlan­d einer der größten Unterstütz­er der Ukraine sei – und sprach mit Blick auf die von ihm abgelehnte Lieferung deutscher Taurus-Marschflug­körper von einer „ziemlich wenig erwachsene­n, peinlichen Debatte, die außerhalb Deutschlan­ds niemand versteht“.

Und doch dürfte nach den gesprochen­en Worten die Debatte über andere Wege jenseits weiterer Waffenlief­erungen nicht aufhören, mit dem Quasi-Basta des Verteidigu­ngsministe­rs – sondern zu weiteren Überlegung­en anregen.

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