Klare Signale für die Ukraine aus Ramstein
755 Tage Krieg, 20 Treffen der Ukraine-Unterstützer – kaum etwas unterstreicht den Perspektivwechsel der westlichen Waffenhilfe so drastisch wie die Abstimmungen im Ramstein-Format. Beim jüngsten ist die Überwindung der aktuellen Ukraine-Schwäche schon ei
61 Tage währte Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, als sich in Ramstein, der rheinland-pfälzischen Luftwaffendrehscheibe der US-Streitkräfte, erstmals Vertreter aus 40 Ländern trafen, um ihre Unterstützung für die Ukraine abzustimmen. An Kriegstag 755 sind es an diesem Dienstag Vertreter aus 50 Länder, und am Ende stellt Gastgeber US-Verteidigungsminister Lloyd Austin allen Berichten über zunehmende Bedrängnis der ukrainischen Streitkräfte zum Trotz fest: „Wir sind entschlossener denn je.“
Auch Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius hat zum Treffen der Unterstützer ein neues 500-Millionen-Militärhilfe-Paket geschnürt. Darin sind 10 000 Schuss Artilleriemunition, die sofort geliefert werden. Darin ist die deutsche Finanzierung von weiteren 180 000 Schuss aus tschechischer Beschaffung sowie 100 000 aus deutschen Bestellungen, die noch in diesem Jahr in der Ukraine ankommen. Darin sind aber auch 200 gepanzerte und geschützte Fahrzeuge, um die Mobilität der Ukraine auf dem Schlachtfeld zu erhöhen.
Dazu kommen Ersatzteile und Sanitätsmaterial. Der SPD-Politiker fasst das nach einem Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Rustem Umjerow unter dem Stichwort „Was am dringendsten gebraucht wird“zusammen. Gerade der Munitionsmangel droht die ukrainische Front seit Wochen in schwere Bedrängnis zu bringen. Verschiedentlich wurde sogar das Szenario größerer, weiterer Landverluste aufgemacht. Pro Monat
werden 200 000 Granaten gebraucht – nur unwesentlich mehr hatten die EU-Staaten binnen eines Jahres geliefert, obwohl sie eine Million versprochen hatten. Der Druck und die lokalen Erfolge der russischen Invasoren nahmen deshalb zu.
Der Westen reagierte spät, langsam, aber entschieden. Beim Treffen der deutschen, französischen und polnischen Staats- und Regierungschefs am Freitag in Berlin wurde
die veränderte Vorgabe festgezurrt, Munition nicht mehr nur in der EU beschaffen, sondern weltweit einkaufen zu können. Auch deshalb kommt nun auf tschechische Initiative ein neues Kontingent von 800 000 Granaten dazu. Auch die Finanzierung wird in dieser Woche in Brüssel auf neue Füße gestellt: Die EU stockt ihre Fazilität zum Waffenkauf um fünf Milliarden Euro auf, zugleich präsentiert die EU-Kommission an diesem Mittwoch, wie Milliarden-Beträge künftig aus den Erträgen eingefrorener Russland-Besitztümer der Ukraine-Verteidigung zugutekommen.
So ist denn die kurzfristige Abwendung eines ukrainischen Zusammenbruchs in Ramstein anders als noch vor Wochen erwartet, gar nicht das zentrale Thema. Austin bilanziert, dass im Ramstein-Format in zwei Jahren Krieg Zusagen für Militärhilfe im Wert von 88 Milliarden Dollar getroffen worden seien. Und nun blicken die Teilnehmer weit über die aktuellen Frontverläufe hinaus. Eine ganze Reihe neuer FähigkeitenKoalitionen seien gebildet worden, die er erstmals geleitet habe, berichtet Austin. Für ihre Bereitschaft, in ihrem jeweiligen Segment die Führung zu übernehmen, dankt Austin Dänemark, Estland, Frankreich, Deutschland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Polen und dem Vereinigten Königreich. Sie alle trügen dazu bei, die ukrainischen Truppen langfristig kampffähig zu machen. Von Drohnen über Luftverteidigung bis zur Artillerie.
Pistorius etwa greift das von seinem Kanzler in Berlin angekündigte neue Bündnis für weitreichende Raketenartillerie auf, für das Frankreich die Führung übernehmen werde und wozu Einzelheiten diesen Freitag in Berlin bei deutsch-französischen Beratungen besprochen würden. Er verkündet zudem, dass mit Norwegen das 15. Land der Fähigkeitenkoalition „Luftverteidigung“beigetreten sei. Dabei gehe es darum, die Ukraine in die Lage zu versetzen, sich nicht nur verteidigen, sondern auch vor neuen Angriffen abschrecken zu können.
„Ungern“antwortet Pistorius auf Fragen nach den von Deutschland zurückgehaltenen Taurus-Marschflugkörpern. Dazu sei alles gesagt. Und er will auch nicht auf den deutschfranzösischen Streit um den Einsatz von Bodentruppen eingehen. „Auch nicht, wenn die Front kollabiert?“, will eine Journalistin wissen. Er habe gelernt, nicht auf hypothetische Fragen einzugehen, sagt Pistorius. Der Kanzler habe gesagt, es werde keine Bodentruppen von Nato-Staaten in der Ukraine geben. Dem sei nichts hinzuzufügen, sagt Pistorius, mit der Ergänzung „zu diesem Zeitpunkt“.
Er betont stattdessen die „bewundernswerte Art und Weise“, wie die Ukrainer nicht nur sich selbst, ihre territoriale Unabhängigkeit und ihre Freiheit verteidigten, sondern auch, dass sich nicht das Recht des Stärkeren durchsetze, sondern die Stärke des Rechts. Aber auch die Unterstützer müssten „in der Spur bleiben“, damit Russland am Ende dazu komme, das Vorhaben der Eroberung der Ukraine aufzugeben. Putin könne morgen die Truppen zurückziehen. Pistorius Szenario für das Kriegsende: Dass Russland zu der Einschätzung gelange, der Aufwand sei zu groß sei, der Ertrag stehe dazu in keinem Verhältnis. „Deshalb ist es eine Frage der Ausdauer, der Nachhaltigkeit, die wir zeigen müssen“, bekräftigt der Verteidigungsminister.
So ist auch Ramstein eine Formel mit veränderter Perspektive. Nach zwei Jahren eines Krieges mit einer ungewissen Dauer, sagt Austin voraus: „Wir werden auch in den nächsten Jahren unsere Unterstützung koordinieren.“Und er ist sich sicher: Nicht nur Putin schaue genau zu, was der Westen mache. Sondern „auch die Geschichte“.
„Wir sind entschlossener denn je.“Lloyd Austin US-Verteidigungsminister