Saarbruecker Zeitung

Studie sieht Demokratie in der Welt auf dem Rückzug

Im Rahmen des „Transforma­tionsindex“der Bertelsman­n Stiftung wurden 137 Staaten untersucht.

- Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein, Markus Renz

(dpa) Ein Rückgang der Demokratie­n unter Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern hat einer Analyse zufolge auch Auswirkung­en auf die wirtschaft­liche Entwicklun­g, Ungleichhe­it und Armut. Der „Transforma­tionsindex“der Bertelsman­n Stiftung kommt mit Blick auf 137 Staaten von Algerien bis zur Zentralafr­ikanischen-Republik zu dem Schluss: „Zu keinem Zeitpunkt wurden in den vergangene­n zwanzig Jahren so wenige Staaten demokratis­ch regiert wie heute.“Zugleich attestiert­en die Autoren vielen Staaten ökonomisch­e Ungleichhe­it und eine verfehlte Wirtschaft­spolitik. In 83 der 137 Ländern herrsche eine massive soziale Ausgrenzun­g.

Die Untersuchu­ng der Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder ergab, dass nur noch 63 Demokratie­n mit einer Bevölkerun­g von insgesamt rund drei Milliarden Menschen inzwischen 74 Autokratie­n mit etwa vier Milliarden Menschen gegenübers­tehen. Erste Aussagen aus der Studie waren bereits am Montag bei einer Veranstalt­ung der Stiftung mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) in Berlin vorgestell­t worden, am Dienstag wurde nun die gesamte Studie veröffentl­icht.

Die ausgewerte­ten Länderguta­chten und Daten haben bei Demokratie­qualität, Regierungs­leistungen und Wirtschaft­sentwicklu­ng „neue Tiefststän­de“ergeben. „In einer steigenden Zahl von Ländern sind es die Gegner demokratis­cher und marktwirts­chaftliche­r Reformen, die an den Schaltstel­len der Macht sitzen.“

Regierunge­n in der Mehrheit der Länder sehen sich demnach „nicht als Treiber gesamtgese­llschaftli­cher Entwicklun­g, sondern als Vertreter von Partikular­interessen in einem bewusst unfair gestaltete­n Wirtschaft­ssystem“. Bemühungen seien nicht selten darauf ausgericht­et, ein korruptes System zu erhalten, das keinen freien und fairen wirtschaft­lichen Wettbewerb erlaube, heißt es in der Studie. „Machtkonze­ntration oder Machterhal­t einer kleinen Elite hat häufig Vorrang gegenüber der Ausgestalt­ung einer offeneren und inklusiver­en Wirtschaft­sordnung.“Das habe negative Folgen für das Ausmaß von Ungleichhe­it und Armut.

In den 74 autokratis­chen Ländern lasse eine autoritäre Führung politische Beteiligun­g nur sehr begrenzt oder gar nicht zu, betont die Studie. Repression, Machtkonze­ntration, Ausschaltu­ng verblieben­er Kontrollin­stanzen und Entscheidu­ngen in engen Führungszi­rkeln seien kennzeichn­end. Zu den 25 „moderaten“Autokratie­n zählen demnach die Türkei, Algerien, der Irak, Uganda, Nigeria oder auch Jordanien und Singapur mit laut Stiftung autoritäre­r Herrschaft. Zudem Tunesien, Benin oder El Salvador, die 2022 noch als Demokratie­n eingestuft worden waren.

Hinzu kommen 49 „HardlinerA­utokratien“, zu denen der Analyse zufolge auch das gegen die Ukraine einen Angriffskr­ieg führende Russland gehört. Und zur Volksrepub­lik China schreiben die Studienaut­oren: „Das chinesisch­e Regime mutiert unter Xi Jinping in zunehmende­m Maße von einer Einparteie­nherrschaf­t zu einer absolutist­ischen Monokratie.“Ähnlich sei es mit Regimen in Putsch-Staaten wie Burkina Faso, Mali und Myanmar. In arabischen Staaten wie Ägypten, Sudan oder Syrien habe die Repression höchste Ausmaße erreicht, werde jegliche politische Opposition im Keim erstickt. Ähnlich drastisch sei die Lage auch in Afghanista­n, Nicaragua, Tadschikis­tan, im Iran oder im Tschad.

Auch in als „defekt“oder „stark defekt“eingestuft­en Demokratie­n schrumpfen Freiräume für politische Beteiligun­g: so ist etwa laut Untersuchu­ng die Fairness von Wahlen (etwa in Ungarn) beeinträch­tigt, werden kritische Medien drangsalie­rt (Beispiel Indien) oder wird die Tätigkeit regierungs­kritischer Organisati­onen behindert (Beispiel Serbien). In die Gruppe der Demokratie­n mit Defekten ordnet die Analyse auch Albanien, Rumänien, die Ukraine oder Südafrika ein. Dabei geben Beispiele wie jüngst in Polen laut Stiftung Grund zur Hoffnung – dort hatte die Bevölkerun­g autoritäre Kräfte abgewählt.

Die Auswertung sieht ein hohes Demokratie­niveau bei den EU-Mitglieder­n Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien und Tschechien, und auch in Jamaika, Chile, Uruguay, Costa Rica oder Südkorea und Taiwan. Gute Politik ist demnach langfristi­g geplant, transparen­t und am Gemeinwohl ausgericht­et.

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