Großherzogtum streitet über Bettelverbot
Der Streit um die seit Januar in der Hauptstadt Luxemburgs geltende Polizeiverordnung provoziert nicht nur Selbstanzeigen und Brandbriefe.
„Seit dem Bettelverbot geben die Leute wesentlich weniger. Ich denke, sie haben Angst, auch bestraft zu werden. Das macht es noch schwerer für uns“, sagt Nathalie. Die junge Frau sitzt mit einer Tasche neben sich und einem Buch in der Hand an einer Hauswand, vor ihr steht ein Sparschwein. Seit einem Jahr bittet sie in der Fußgängerzone der Luxemburger Hauptstadt um Kleingeld. „Ja, ich bekomme für 50 Cent ein Mittagessen in einem
Sozialrestaurant, aber das Essen reicht nicht den ganzen Tag und manchmal habe ich einfach Lust auf eine Zigarette oder eine Cola“, sagt Nathalie. Seitdem das neue Bettelverbot in Luxemburg-Stadt in Kraft ist, sei bereits mehrfach kontrolliert worden. „Die Beamten wollen dann immer meinen Ausweis sehen, aber ich wurde bisher nicht protokolliert.“
Seit dem Jahreswechsel verbietet eine neue Polizeiverordnung bandenmäßiges und aggressives Betteln und de facto auch einfaches und stilles Betteln, wie Nathalie es macht, im Zentrum der Hauptstadt. Begründet wird das sogenannte „Heescheverbuet“mit zahlreichen Beschwerden von Bürgern, Geschäftsleuten und Passanten über aggressive Bettelei. Politiker wollen so auch von Menschenhändlern organisierte Bettelei bekämpfen.
Bisher gab es zwei Fälle von angezeigter Bettelei. „Ein mageres Ergebnis für die vielen Polizeieinsätze“, sagt Christian Kmiotek. Der Grünen-Politiker im Ruhestand ist für 50 Prozent der Anzeigen verantwortlich – er hat sich selbst angezeigt. „Es war ein spontaner Entschluss auf dem Weg zu einer Demonstration gegen das Bettelverbot“, erklärt er auf Nachfrage. „Wenn Politiker, die auch Juristen sind, davon ausgehen, dass die ,einfache` Bettelei verboten ist, es aber Gerichtsurteile in zweiter Instanz gibt, die das verneinen, ist es doch besser, dass ein eher wortgewandter Mensch das gerichtlich klären lässt, als ein armer Schlucker.“
Rückmeldung von der Staatsanwaltschaft hat Kmiotek noch keine. „Ich weiß aber, dass einige Zeugen meiner Bettelei von der Polizei vernommen wurden.“Für den Fall, dass er folgenreiche Post von der Staatsanwaltschaft bekommt, hat er Angebote von Anwälten, die ihn unentgeltlich verteidigen wollen. Und der zweite Fall? „Ein Mensch, der erwischt wurde, wie er mit einem Becher Passanten hinterherlief“, lässt Kmiotek eine Erklärung des Innenministers im Parlament Revue passieren. „Arm sein ist kein Verbrechen“, sagt Kmiotek. Er glaubt, dass viele das Verbot der ,einfachen` Bettelei befürworten. „Besonders weil einige Politiker ganz bewusst die ,einfache` oder passive Bettelei in ihren Statements mit der aggressiven und bandenmäßigen Bettelei zu vermischen versuchen.“
Ende Februar gab Innenminister Léon Gloden (CSV) im Parlament Auskunft über die Kontrollen zum Bettelverbot. Zwischen 15. Januar und 22. Februar kontrollierten die Beamten demnach 438 Menschen, stellten zwei Fälle von Bettelei und elf Drogendelikte fest, 61 Mal gab es Platzverweis – dabei werden Personen, die Eingänge zu öffentlichen oder privaten Gebäuden blockieren ohne Gewalt entfernt.
Politiker wollen mit dem Bettelverbot auch von Menschenhändlern organisierte Bettelei bekämpfen. Dennoch bleibt das Verbot umstritten. Auch unter hochrangigen Juristen. Anfang März schrieb Generalstaatsanwältin Martine Solovieff einen Brandbrief an Innenminister Gloden. Tenor: Warum wenden spezialisierte Einheiten angesichts von 1291 unbearbeiteten Verbrechen in einem Monat 880 Arbeitsstunden auf, um Bettler zu kontrollieren? Gloden relativierte gegenüber RTL, dass die eingesetzten Beamten nur je einen Arbeitstag damit verbracht und sich die genannten Verbrechen über Jahre angehäuft hätten. Und kündigte an, bei der nächsten Rekrutierung 200 statt 160 Polizeianwärter suchen zu lassen.
Die Beratende Kommission für Menschenrechte (CCDH) schaltete sich erneut als Gegner des Bettelverbots in die Diskussion ein, als sie jüngst ihren vierten Bericht über Menschenhandel vorlegte. „Ich sage nicht, dass Menschen, die betteln, nicht von Menschenhandel betroffen sind, aber Menschenhandel in der Prostitution und auf dem Bau sind in Luxemburg die wesentlich größeren Probleme“, sagt Noémie
Sadler, Präsidentin der Menschenrechtskommission. Von Menschenhandel betroffen seien nicht nur Frauen und Kinder. „Männer sind besonders durch Ausbeutung auf dem Bau und im Gaststättengewerbe gefährdet.“
In ihrem Bericht spricht die CCDH von 127 Opfern von Menschenhandel, geht aber von einer höheren Dunkelziffer aus. Menschenhändler würden selten gefasst und die von der Polizei erfassten Zahlen hingen von Art und Anzahl der durchgeführten Kontrollen ab. 2021 wurden 50 Opfer von Menschenhandel ermittelt, 77 im Jahr 2022. Sadler sieht soziale Akteure, auch in der Einwanderung, mehr in der Pflicht. „Beispielsweise sollten Kinder, für die internationaler Schutz beantragt wird, die dann aber verschwinden, der Polizei gemeldet werden. Das wird noch nicht ausreichend getan.“Und: „In Luxemburg schrecken Strafen für Menschenhandel nicht ausreichend ab, auch weil sie finanziell sehr niedrig sind“, sagt Sadler. Auch die Entschädigungen, welche Opfern zugesprochen werden, seien zu niedrig.