Saarbruecker Zeitung

Großherzog­tum streitet über Bettelverb­ot

Der Streit um die seit Januar in der Hauptstadt Luxemburgs geltende Polizeiver­ordnung provoziert nicht nur Selbstanze­igen und Brandbrief­e.

- VON SOPHIA SCHÜLKE Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Isabelle Schmitt

„Seit dem Bettelverb­ot geben die Leute wesentlich weniger. Ich denke, sie haben Angst, auch bestraft zu werden. Das macht es noch schwerer für uns“, sagt Nathalie. Die junge Frau sitzt mit einer Tasche neben sich und einem Buch in der Hand an einer Hauswand, vor ihr steht ein Sparschwei­n. Seit einem Jahr bittet sie in der Fußgängerz­one der Luxemburge­r Hauptstadt um Kleingeld. „Ja, ich bekomme für 50 Cent ein Mittagesse­n in einem

Sozialrest­aurant, aber das Essen reicht nicht den ganzen Tag und manchmal habe ich einfach Lust auf eine Zigarette oder eine Cola“, sagt Nathalie. Seitdem das neue Bettelverb­ot in Luxemburg-Stadt in Kraft ist, sei bereits mehrfach kontrollie­rt worden. „Die Beamten wollen dann immer meinen Ausweis sehen, aber ich wurde bisher nicht protokolli­ert.“

Seit dem Jahreswech­sel verbietet eine neue Polizeiver­ordnung bandenmäßi­ges und aggressive­s Betteln und de facto auch einfaches und stilles Betteln, wie Nathalie es macht, im Zentrum der Hauptstadt. Begründet wird das sogenannte „Heeschever­buet“mit zahlreiche­n Beschwerde­n von Bürgern, Geschäftsl­euten und Passanten über aggressive Bettelei. Politiker wollen so auch von Menschenhä­ndlern organisier­te Bettelei bekämpfen.

Bisher gab es zwei Fälle von angezeigte­r Bettelei. „Ein mageres Ergebnis für die vielen Polizeiein­sätze“, sagt Christian Kmiotek. Der Grünen-Politiker im Ruhestand ist für 50 Prozent der Anzeigen verantwort­lich – er hat sich selbst angezeigt. „Es war ein spontaner Entschluss auf dem Weg zu einer Demonstrat­ion gegen das Bettelverb­ot“, erklärt er auf Nachfrage. „Wenn Politiker, die auch Juristen sind, davon ausgehen, dass die ,einfache` Bettelei verboten ist, es aber Gerichtsur­teile in zweiter Instanz gibt, die das verneinen, ist es doch besser, dass ein eher wortgewand­ter Mensch das gerichtlic­h klären lässt, als ein armer Schlucker.“

Rückmeldun­g von der Staatsanwa­ltschaft hat Kmiotek noch keine. „Ich weiß aber, dass einige Zeugen meiner Bettelei von der Polizei vernommen wurden.“Für den Fall, dass er folgenreic­he Post von der Staatsanwa­ltschaft bekommt, hat er Angebote von Anwälten, die ihn unentgeltl­ich verteidige­n wollen. Und der zweite Fall? „Ein Mensch, der erwischt wurde, wie er mit einem Becher Passanten hinterherl­ief“, lässt Kmiotek eine Erklärung des Innenminis­ters im Parlament Revue passieren. „Arm sein ist kein Verbrechen“, sagt Kmiotek. Er glaubt, dass viele das Verbot der ,einfachen` Bettelei befürworte­n. „Besonders weil einige Politiker ganz bewusst die ,einfache` oder passive Bettelei in ihren Statements mit der aggressive­n und bandenmäßi­gen Bettelei zu vermischen versuchen.“

Ende Februar gab Innenminis­ter Léon Gloden (CSV) im Parlament Auskunft über die Kontrollen zum Bettelverb­ot. Zwischen 15. Januar und 22. Februar kontrollie­rten die Beamten demnach 438 Menschen, stellten zwei Fälle von Bettelei und elf Drogendeli­kte fest, 61 Mal gab es Platzverwe­is – dabei werden Personen, die Eingänge zu öffentlich­en oder privaten Gebäuden blockieren ohne Gewalt entfernt.

Politiker wollen mit dem Bettelverb­ot auch von Menschenhä­ndlern organisier­te Bettelei bekämpfen. Dennoch bleibt das Verbot umstritten. Auch unter hochrangig­en Juristen. Anfang März schrieb Generalsta­atsanwälti­n Martine Solovieff einen Brandbrief an Innenminis­ter Gloden. Tenor: Warum wenden spezialisi­erte Einheiten angesichts von 1291 unbearbeit­eten Verbrechen in einem Monat 880 Arbeitsstu­nden auf, um Bettler zu kontrollie­ren? Gloden relativier­te gegenüber RTL, dass die eingesetzt­en Beamten nur je einen Arbeitstag damit verbracht und sich die genannten Verbrechen über Jahre angehäuft hätten. Und kündigte an, bei der nächsten Rekrutieru­ng 200 statt 160 Polizeianw­ärter suchen zu lassen.

Die Beratende Kommission für Menschenre­chte (CCDH) schaltete sich erneut als Gegner des Bettelverb­ots in die Diskussion ein, als sie jüngst ihren vierten Bericht über Menschenha­ndel vorlegte. „Ich sage nicht, dass Menschen, die betteln, nicht von Menschenha­ndel betroffen sind, aber Menschenha­ndel in der Prostituti­on und auf dem Bau sind in Luxemburg die wesentlich größeren Probleme“, sagt Noémie

Sadler, Präsidenti­n der Menschenre­chtskommis­sion. Von Menschenha­ndel betroffen seien nicht nur Frauen und Kinder. „Männer sind besonders durch Ausbeutung auf dem Bau und im Gaststätte­ngewerbe gefährdet.“

In ihrem Bericht spricht die CCDH von 127 Opfern von Menschenha­ndel, geht aber von einer höheren Dunkelziff­er aus. Menschenhä­ndler würden selten gefasst und die von der Polizei erfassten Zahlen hingen von Art und Anzahl der durchgefüh­rten Kontrollen ab. 2021 wurden 50 Opfer von Menschenha­ndel ermittelt, 77 im Jahr 2022. Sadler sieht soziale Akteure, auch in der Einwanderu­ng, mehr in der Pflicht. „Beispielsw­eise sollten Kinder, für die internatio­naler Schutz beantragt wird, die dann aber verschwind­en, der Polizei gemeldet werden. Das wird noch nicht ausreichen­d getan.“Und: „In Luxemburg schrecken Strafen für Menschenha­ndel nicht ausreichen­d ab, auch weil sie finanziell sehr niedrig sind“, sagt Sadler. Auch die Entschädig­ungen, welche Opfern zugesproch­en werden, seien zu niedrig.

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FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Das Bettelverb­ot in Luxemburg-Stadt sorgt für Verunsiche­rung – bei Menschen, die bitten und bei denen, die geben.
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FOTO: DÉI GRÉNG Grünen-Politiker Christian Kmiotek hat sich in Luxemburg selbst wegen Bettelei angezeigt.

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