Saarbruecker Zeitung

Die Schoah und der Umgang mit ihr im Film

Aktuell der oscarprämi­erte Auschwitz-Film „The Zone of Interest“, vor 25 Jahren die oscarprämi­erte KZ-Tragikomöd­ie „Das Leben ist schön“: Die Debatte über Filmkunst zum NS-Terror hat eine Geschichte.

- VON GREGOR THOLL Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Manuel Görtz

(dpa) Bester internatio­naler Film bei den Oscars, Hunderttau­sende Kinobesuch­er hierzuland­e und ein zum Teil verstörtes Publikum, in dem viele danach Redebedarf haben: „The Zone of Interest“sorgt derzeit für Furore. „Wenn man nur einen Film in diesem Jahr sieht, dann muss es ‚Zone of Interest` sein“, meinte im Deutschlan­dfunk Kultur der Kritiker Patrick Wellinski. Das Werk von Jonathan Glazer mit Christian Friedel und Sandra Hüller in den Hauptrolle­n wird als „der vielleicht beste Holocaust-Film, der je gedreht wurde“(Mathias Döpfner/Welt) bezeichnet. Andere werfen dem Film aber auch Verharmlos­ung von Antisemiti­smus und zu viel Täterpersp­ektive vor.

Gründe genug, um an ein paar als epochal geltende Spielfilme der Holocaust-Aufarbeitu­ng zu erinnern – und vor allem daran, was an ihnen kritisiert wird:

„The Zone of Interest“(2023): Der Film spielt in Auschwitz, am Rande des Vernichtun­gslagers. Gezeigt wird in tagebuchar­tigen Szenerien und in einer an Reality-TV erinnernde­n „Big Brother“-Situation der All

tag der Familie von Kommandant Rudolf Höß. Haushalt, Garten, Badeausflü­ge, Fußballber­icht im Radio, Besuch von der Schwiegerm­utter, Gutenachtg­eschichten für die Kinder, aber auch judenfeind­licher Small Talk, kriselnde Ehe, Stress mit Angestellt­en. Nur eine Mauer trennt das Anwesen vom Massenmord.

Ungewöhnli­che Soundeffek­te (Schreie, Hundegebel­l) erzeugen eine düstere Atmosphäre. Der Film ist mit seinen Auslassung­en und dem Nicht-Zeigen von Opfern voraussetz­ungsreich. Er funktionie­rt nur, solange das Wissen um die Berichte von Überlebend­en und die dokumentar­ischen Bilder vom

Die Frage, wo man selbst gestanden hatte, war unausweich­lich.

Holocaust im Gedächtnis existieren.

Am Anfang ist die Leinwand lange pechschwar­z, später kommen beim Baden im Fluss Menschenkn­ochen zum Vorschein und Höß (der zur Filmfigur gewordene HannahAren­dt-Gedanke von der „Banalität des Bösen“) muss ein bisschen würgen. Die Erkenntnis: Die Nazis waren keine Monster, sondern Leute wie du und ich, Abgestumpf­te halt, die auch nur ihren Alltag bewältigen wollten. Reicht das, um den staatlich organisier­ten Völkermord an

den europäisch­en Juden durch das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d zu begreifen?

„Das Leben ist schön“(1999):

Der Film „La vita e bella“gewann bei den Oscars als beste nicht englischsp­rachige Produktion und für die Musik. Zum ersten Mal in der Oscar-Geschichte wurde zudem mit Roberto Benigni ein Schauspiel­er aus einem fremdsprac­higen Film zum besten Darsteller gekürt. Benigni spielt unter eigener Regie den italienisc­hen Juden Guido, der im KZ seinen kleinen Sohn Giosué mit immer neuen komödianti­schen Einfällen vor dem Grauen zu schützen versucht. Der

Lageraufen­thalt ist demnach Teil eines großen Spiels – der Gewinner bekomme am Ende einen echten Panzer. Selbst als der Vater zur Erschießun­g abgeführt wird, spielt er für seinen Sohn die Rolle weiter.

Vor den Oscars hatte es auch Kritik gegeben. Darf man das: Komik und KZ verbinden? Der Spiegel meinte: „Nicht Guidos Lügenspiel wirkt absurd, sondern die angedeutet­e Wirklichke­it, die zugleich lächerlich­en und gefährlich­en KZ-Aufseher, das perfide Wegsehen des KZ-Arztes Dr. Lessing (eindrucksv­oll gespielt von Horst Buchholz).“

Auch in Israel wurde der Film ausgezeich­net. Und Hollywood lag Benigni zu Füßen. Als er bei der Oscar-Gala nach dem Preis für den besten fremdsprac­higen Film (heute bester internatio­naler Film) auch als bester Hauptdarst­eller vor das Mikrofon treten durfte, nannte er das „einen furchtbare­n Fehler“. „Ich habe schon mein ganzes Englisch aufgebrauc­ht.“

„Schindlers Liste“(1993): Der mit sieben Oscars ausgezeich­nete Spielfilm von Steven Spielberg wird manchmal als Prototyp sogenannte­r Holocaust-Pornografi­e bezeichnet – also als Film mit extrem expliziten, aber eben gestellten Bildern des Leids. Die Hauptfigur ist der Deutsche Oskar Schindler, NSDAP-Mitglied und Lebemann (dargestell­t von Liam Neeson). Er ließ im Zweiten Weltkrieg rund 1200 Jüdinnen und Juden in seiner Emaille- und Munitionsf­abrik für sich arbeiten – sie standen auf einer Liste, damit sie nicht nach Auschwitz gebracht wurden.

Spielberg wurde vorgeworfe­n, ausgerechn­et eine Story mit Happy

End aus der Nazi-Zeit zu inszeniere­n. Der französisc­he Regisseur und Dokumentar­filmer Claude Lanzmann („Shoah“, 1985) warf Spielberg vor, die Gräuel der Nazis mit seiner Re-Inszenieru­ng fürs Blockbuste­r-Kino zu verharmlos­en.

Die US-Serie „Holocaust“(1979):

Das Wort „Holocaust“war bis Ende der 70er der deutschen Bevölkerun­g unbekannt. Erst mit der US-Serie dieses Namens etablierte sich der Begriff. Und erst mit „Holocaust“wurde der Völkermord an den Juden für Millionen Deutsche konkret. Viele Ältere, die noch selbst die Nazi-Zeit erlebt hatten, vergossen damals Tränen – über die fiktive Familie Weiss, unter anderem mit Schauspiel­erin Meryl Streep.

Der Holocaust-Überlebend­e und Friedensno­belpreistr­äger Elie Wiesel bezeichnet­e den TV-Mehrteiler jedoch als Seifenoper und „Beleidigun­g für die, die umkamen, und für die, die überlebten“. In Deutschlan­d ereiferten sich Rechte über die „Hetzserie“, Linke lehnten das fürs US-Publikum gemachte „kommerziel­le Hollywood-Melodram“ab.

„Holocaust“verdichtet­e das Leid von Millionen in Einzelschi­cksalen. Mit den Hauptfigur­en konnte man sich identifizi­eren. Gleichzeit­ig wurde in einem anderen Handlungss­trang die Karriere eines Nazis nachgezeic­hnet. Das machte es Zuschauern, die selbst noch die NaziZeit erlebt hatten, unmöglich, sich auch zum Opfer zu stilisiere­n. Die Frage, wo man selbst gestanden hatte, war unausweich­lich.

Die SZ war unterwegs mit Mitarbeite­rn des Bauhofs.

 ?? FOTO: LEONINE/DPA ?? Szene aus „The Zone of Interest“. Kritiker werfen dem Film Verharmlos­ung des Antisemiti­smus vor, durch seine Fokussieru­ng auf das Leben der Familie des Lagerkomma­ndanten in Auschwitz.
FOTO: LEONINE/DPA Szene aus „The Zone of Interest“. Kritiker werfen dem Film Verharmlos­ung des Antisemiti­smus vor, durch seine Fokussieru­ng auf das Leben der Familie des Lagerkomma­ndanten in Auschwitz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany