Afghanistan-Ausschuss will Merkel vor Weihnachten befragen
Seit fast zwei Jahren wird im Bundestag der 20 Jahre dauernde Afghanistan-Einsatz aufgearbeitet. Am Ende des Jahres wird die Altkanzlerin als Zeugin erwartet.
Am Ende soll Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag aussagen: „Ihre Befragung im Afghanistan-Untersuchungsausschuss wird ein vorweihnachtlicher Höhepunkt und gleichzeitig Abschluss der Zeugenvernehmung sein“, sagt SPD-Obmann Jörg Nürnberger unserer Redaktion mit Blick auf den möglichen Termin in der letzten Sitzungswoche dieses Jahres im Dezember. In Merkels Regierungszeit fiel der unrühmliche Abschluss des Afghanistan-Einsatzes nach 20 Jahren: Im August 2021 nahmen die Taliban das Land am Hindukusch im Handstreich ein. Eine Evakuierungsoperation wurde nötig, um
Beschäftigte von Botschaften, der Entwicklungshilfe und andere Ausländer aus dem Land zu bringen. Afghanische Ortskräfte wurden trotz gegenteiliger Zusicherungen vielfach zurückgelassen. „Oberste Frage ist: Sind bei dem Abzug Fehler im politischen Bereich gemacht worden? Das gilt es aufzuklären“, sagt Nürnberger.
Nach 68 Sitzungsrunden mit stundenlangen Befragungen nähert sich die Aufarbeitung dem Endspurt. Im heutigen Tagesverlauf soll nach Angaben des SPD-Politikers der Fahrplan in nicht-öffentlicher Sitzung abgestimmt werden. Gehört werden voraussichtlich alle damals politisch Verantwortlichen: Neben Merkel waren das unter anderen Verteidigungsministerin Annegret KrampKarrenbauer (CDU), Innenminister Horst Seehofer (CSU), Außenminister Heiko Maas (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU).
In der Enquete-Kommission zu den Lehren aus Afghanistan wirkt als Sachverständige Ellinor Zeino mit, die das Regionalprogramm Südwestasien der Konrad-Adenauer-Stiftung leitet. Im Gespräch mit unserer Redaktion ist ihr nüchternes Fazit: „Wir haben in allen Bereichen deutlich versagt: Afghanistan war bis zuletzt eines der unsichersten Länder weltweit. Der wirtschaftliche Entwicklungsstandard war einer der niedrigsten auf der ganzen Welt und auch die Demokratisierung und gute Regierungsführung hat kaum funktioniert. Wir haben über 20 Jahre eine Hilfswirtschaft und einen abhängigen Staat geschaffen, der im Kriegszustand festgehalten wurde.“
Mitte Februar wurde der 335-seitige Zwischenbericht der Kommission vorgelegt. Darin wurde als „Ursünde“des Einsatzes die Entscheidung bezeichnet, die Taliban militärisch zu bekämpfen, statt sie einzubinden. Heute sei die generelle Sicherheitslage am Hindukusch zwar deutlich besser, weil der Krieg vorbei sei, sagt Zeino. „Aber die humanitäre Lage bleibt schwierig ebenso wie die wirtschaftliche Lage, weil die ausländischen Zahlungen jenseits von humanitärer Hilfe weggefallen sind und das Land isoliert ist“, fügt die Sachverständige hinzu.
Sie arbeitet seit der Machtübernahme der Taliban aus Usbekistan, hat Afghanistan jedoch schon besucht. Was die Menschen am meisten belaste, sei die Perspektivlosigkeit. „Viele sehen keine Zukunft für ihre Familie, weil die Mädchen ab der 7. Klasse nicht zur Schule gehen, das Bildungssystem insgesamt seine besten Köpfe verloren hat und Frauen nur sehr eingeschränkt arbeiten dürfen“, sagt sie. In dem 2025 geplanten Endbericht der EnqueteKommission sollen Empfehlungen für künftige Einsätze stehen. „Dazu gehört, dass wir unser eigenes Rollenverständnis hinterfragen: Sprechen wir mit den Menschen in Einsatzgebieten auf Augenhöhe oder sehen wir uns in der Rolle, dass wir trainieren, erklären und anderen Gesellschaften sagen, wie sie es machen müssen?“Zeino glaubt: „Von dem Rollenbild, dass wir die sind, die es besser wissen, haben wir uns noch nicht gänzlich verabschiedet.“