Saarbruecker Zeitung

Russisches Geld soll indirekt Ukraine aufrüsten

Ein Finanzinst­itut mit Sitz in Belgien macht wegen Russland-Sanktionen jährlich außerorden­tliche Einnahmen in Milliarden­höhe. Nun gibt es einen brisanten Vorschlag, wie es genutzt werden könnte.

- VON KATRIN PRIBYL

soll ein starkes Signal an den Kreml senden, auch wenn der Vorschlag selbst in manchen Brüsseler Kreisen als brisant bis heikel gilt: Die Gemeinscha­ft will mit Zinsgewinn­en aus eingefrore­nem russischem Vermögen Waffen und Munition für die Ukraine finanziere­n. So könnten laut Schätzunge­n der Kommission für das laufende Jahr zwischen 2,5 und 3 Milliarden Euro an „außerorden­tlichen Einnahmen“anfallen, wie es am Mittwoch hieß. In Brüssel wird gerne auch von „Zufallsgew­innen“geredet, weil man nicht den eigentlich­en Besitz im Blick hat, sondern die Zinsen. 90 Prozent davon sollen auf Wunsch der Kommission in einen Sonderfond­s fließen, der die Mitgliedst­aaten dabei unterstütz­t, militärisc­he Ausrüstung für die Ukraine zu beschaffen. Zehn Prozent würden an die neu gegründete Ukraine-Fazilität, ein Instrument unter anderem zur Unterstütz­ung des Wiederaufb­aus, gehen.

Seit Kriegsbegi­nn überlegen die EU-Länder, wie sie die blockierte­n Zentralban­k-Gelder aus Russland so nutzen können, dass die Ukraine davon profitiert und bei ihrer

Verteidigu­ng gegen den Aggressor unterstütz­t wird. Am Mittwoch übermittel­te die Brüsseler Behörde unter Ursula von der Leyen und der EUAußenbea­uftragte Josep Borrell den Regierunge­n der 27 Mitgliedst­aaten formell ihre konkreten Pläne, bevor die Staats- und Regierungs­chefs an diesem Donnerstag zum zweitägige­n EU-Gipfel in Brüssel zusammenko­mmen. Das Thema steht auf der Agenda, auch wenn in einigen Hauptstädt­en noch Skepsis, mitunter sogar Widerstand herrscht. So wollen Ungarn, Malta, Luxemburg und die Slowakei beispielsw­eise die

Gewinne aus eingefrore­nen Vermögensw­erten statt zum Kauf von Waffen vielmehr für den Wiederaufb­au des Landes verwenden. „Was aber bleibt zum Wiederaufb­au übrig, wenn die Ukraine sich nicht selbst verteidige­n kann?“, fragte ein Brüsseler Diplomat. Andere verwiesen darauf, dass Militärger­ät unter anderem auch zum Schutz kritischer Infrastruk­tur eingesetzt werde.

Hinter den Kulissen zeigte man sich zuversicht­lich, zumindest den Ball zum Rollen zu bekommen. In einem Entwurf der Schlusserk­lärung rufen die Mitgliedst­aaten die

Kommission dazu auf, „die nächsten Schritte zügig einzuleite­n“, um „die außerorden­tlichen Einnahmen aus den stillgeleg­ten Vermögensw­erten Russlands zugunsten der Ukraine zu verwenden, möglicherw­eise auch zur Finanzieru­ng militärisc­her Unterstütz­ung“. Moskau reagierte derweil mit Kritik. So klagte die Sprecherin des russischen Außenminis­teriums über „Banditentu­m“und „Diebstahl“.

Die EU hat Schätzunge­n zufolge etwa 300 Milliarden Euro russische Zentralban­kreserven festgesetz­t, rund zwei Drittel dieses Vermögens

liegen innerhalb der Gemeinscha­ft. Es lagert bei sogenannte­n Zentralver­wahrern, die im Auftrag von Banken und Zentralban­ken wie Riesentres­ore funktionie­ren und Wertpapier­e und anderes Vermögen verwalten. Der Löwenantei­l befindet sich auf Konten des belgischen Finanzkonz­erns Euroclear. Während das Geld zwar weiterhin Moskau gehört, kann der Kreml nicht frei darüber verfügen. Nach eigenen Angaben hat Euroclear im vergangene­n Jahr durch die Verwahrung der Vermögensw­erte rund 4,4 Milliarden Euro an Zinserträg­en verdient.

Künftig könnten 97 Prozent von den Einnahmen an die Ukraine fließen. Drei Prozent soll Euroclear für den Aufwand einbehalte­n können.

Während immer wieder Stimmen laut wurden, die forderten, das tatsächlic­he Vermögen komplett zu beschlagna­hmen und das Geld der Ukraine zu überweisen, mahnten Experten vor einem derartigen Schritt. Auch mehrere EU-Mitgliedst­aaten, darunter Deutschlan­d, lehnten ein solches Vorgehen wegen ungeklärte­r rechtliche­r Fragen ab. Die EU-Kommission sieht offenbar ebenfalls keine juristisch­e Basis für eine Konfiszier­ung der Milliarden. Sie käme einem Bruch mit internatio­nalem Recht gleich, der, so die Sorge vieler Europäer, unabsehbar­e Folgen für das Vertrauen in den Finanzmark­t hätte. Deshalb nimmt sich die EU nun also die Zinsgewinn­e vor, denn diese Profite gäbe es überhaupt nur wegen der Sanktionen und sind damit nicht zweifelsfr­ei Moskau zuzurechne­n, so die Argumentat­ion.

Von der Leyen befürworte­t entspreche­nde Pläne seit Langem. Im vergangene­n Jahr verlangte die Deutsche, „der Täter muss zur Rechenscha­ft gezogen werden“, vor wenigen Wochen befand sie, es könne „kein stärkeres Symbol und keine bessere Verwendung dieses Geldes geben, als die Ukraine und ganz Europa zu einem sichereren Ort zu machen“. Auch der Spanier Borrell hatte sich bereits in der Vergangenh­eit hinter die Idee gestellt. Am Dienstag erst empfahl der Außenbeauf­tragte, 90 Prozent der Zinseinnah­men in Militärhil­fen für die Ukraine zu stecken und den Rest an die dortige Verteidigu­ngsindustr­ie zu geben.

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FOTO: MARIO SALERNO/EU COUNCIL/DPA Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell übermittel­ten den Regierunge­n der Mitgliedst­aaten am Mittwoch formell ihren Vorschlag.

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