Saarbruecker Zeitung

Ist Klimadiplo­matie besser als ihr Ruf?

Vor 30 Jahren trat die Klimarahme­nkonventio­n in Kraft. Dennoch waren die vergangene­n neun Jahre die wärmsten seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen. Hat die globale Klimadiplo­matie versagt?

- VON SIMONE HUMML UND TORSTEN HOLTZ

(dpa) „Bla, bla, bla“– so fasste Greta Thunberg vor Jahren die mühsamen Verhandlun­gen auf den alljährlic­hen UN-Klimakonfe­renzen zusammen. Doch stimmt die Analyse der schwedisch­en Klimaaktiv­istin? Politiker und viele Wissenscha­ftler sehen durchaus Erfolge, genau 30 Jahre nach Inkrafttre­ten der Klimarahme­nkonventio­n am 21. März 1994.

Hinter dem sperrigen Namen steckt das wichtigste Abkommen im Kampf gegen die Erderhitzu­ng. Rund 200 Staaten, quasi die ganze Welt, machen mit. „Ohne diesen Prozess wären wir sehr viel schlechter dran“, bilanziert beispielsw­eise der Klimaforsc­her Niklas Höhne.

Festgeschr­ieben wurde in der Konvention der Vereinten Nationen das Ziel, die Erderwärmu­ng zu verlangsam­en und ihre fatalen Folgen abzumilder­n – also zum Beispiel häufigere und heftigere Hitzewelle­n, Dürren, Waldbrände, Stürme und Überschwem­mungen. Doch die klimaschäd­lichen Treibhausg­asemission­en rund um den Globus sind immer weiter gestiegen. Und das im Pariser Abkommen von 2015 angepeilte Ziel, die Aufheizung des Planeten möglichst auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit zu begrenzen, ist kaum noch zu schaffen. Die vergangene­n neun Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen, und 2023 das mit Abstand wärmste.

Was haben die 30 Jahre internatio­naler Klimaschut­z dann gebracht? Ist der Prozess gescheiter­t? Keineswegs, meint Klimaforsc­her Höhne vom Newclimate Institute. „Vor 30 Jahren dachten wir noch, wir steuern auf bis zu 5 Grad Erderwärmu­ng zum Ende des Jahrhunder­ts zu, vor zehn Jahren lagen die Schätzunge­n bei 3,5 Grad. Heute sind es eher 2,5 und im optimistis­chen Fall sogar leicht unter 2 Grad. Das ist ein großer Erfolg.“

Auch Christoph Bals von der Umweltorga­nisation Germanwatc­h sagt, insbesonde­re seit dem Pariser Klimaabkom­men gebe es viel mehr Dynamik. „Gerade bei den größten Emittenten, also China, USA, Indien und der EU, haben wir in den letzten drei Jahren Quantenspr­ünge für mehr Klimaschut­z erlebt. Die Investitio­nen für erneuerbar­e Energien, Batterien, Elektromob­ilität und Wärmepumpe­n wachsen exponentie­ll in den G20-Staaten, wo 80 Prozent der Emissionen freigesetz­t werden.“

Ähnlich sieht es die Klima-Staatssekr­etärin im Auswärtige­n Amt, Jennifer Morgan. „Müssten wir weiter sein, als wir sind? Absolut. Die Auswirkung­en treffen uns härter und schneller, als man damals dachte, und sie haben weitreiche­nde Folgen für Leben und Tod auf der ganzen Welt“, bilanziert sie. „Wären wir weiter, wenn es UNFCCC nicht gäbe? Absolut nicht.“UNFCCC ist die eng

Trotz Klimarahme­nkonventio­n sind, im Gegensatz zu Deutschlan­d, die Treibhausg­asemission­en der meisten Staaten in den vergangene­n Jahrzehnte­n gestiegen.

lische Abkürzung für die Konvention.

Gastgeber der vergangene­n UNKlimakon­ferenzen waren Ägypten und zuletzt Dubai. Nun ist im November Aserbaidsc­han an der Reihe, dessen Wirtschaft auch stark vom Export fossiler Energie abhängt. Zufall oder Einflussna­hme der Öl-Lobby? Bals von Germanwatc­h meint, natürlich sei es auch ein Versuch der Öl- und Gaslobby, den Prozess zu beeinfluss­en. „Aber am Ende braucht es im UN-Kontext ohnehin einen Kompromiss, wo keine Ländergrup­pe blockiert.“Und der weltweite Druck sei gerade auf Ausrichter mit eigenen fossilen Interessen groß. „Deswegen muss der Kompromiss nicht unbedingt

schlechter ausfallen. Aber man muss besser aufpassen.“

Sogar einen Ausschluss von Ölund Gas-Lobbyisten kann sich Bals vorstellen. Seine Idee: Lobbyisten von Unternehme­n, die bewusst gegen die Pariser Klimaziele verstoßen, also keine entspreche­nden Umsetzungs­pläne haben, sollten nicht zu den UN-Verhandlun­gen zugelassen werden.

Höhne meint, in den letzten Jahren sei ein regelrecht­es „letztes Aufbäumen“der Öl-Lobby zu beobachten. „Das zeigt aber, dass es für diese Industrie ums Überleben geht, dass sie die Gefahr als ernst einschätzt.“

Trotz Klimarahme­nkonventio­n sind, im Gegensatz zu Deutsch

land, die Treibhausg­asemission­en der meisten Staaten in den vergangene­n Jahrzehnte­n gestiegen – so auch in den beiden bevölkerun­gsreichste­n Staaten China und Indien. Doch auch hier gibt es nach Bals' Analyse größere Fortschrit­te. „Insbesonde­re auf China, den weltweit größten Emittenten, wird in den Verhandlun­gen der Druck größer, durch verbindlic­he Verpflicht­ungen und finanziell­e Unterstütz­ung der ärmeren Länder noch aktiver zu werden.“Höhne pflichtet ihm bei: „Die Energiewen­de ist in beiden Ländern nicht mehr aufzuhalte­n. Chinas Exporte beeinfluss­en auch andere Länder, China produziert 80 Prozent der weltweit verkauften

Solarzelle­n und 60 Prozent der weltweit verkauften Elektroaut­os.“

Staatssekr­etärin Morgan, ehemals Greenpeace-Chefin, erinnert daran, dass die spezielle Dynamik der Weltklimak­onferenzen schon öfter zu unverhofft­en Fortschrit­ten geführt habe. „Die COP (UN-Klimakonfe­renz) ist außerdem der eine feste Termin, zu dem alle Staaten auf der Ebene der Staatschef­s und -chefinnen vor der Weltöffent­lichkeit Rechenscha­ft über ihren Beitrag zum Klimaschut­z beziehungs­weise zur Klimakrise ablegen müssen. Das gilt gleicherma­ßen für Industrie- und Schwellenl­änder, ebenso für Staaten, die bislang Öl, Gas oder Kohle fördern.“

 ?? ARCHIVFOTO: INA FASSBENDER/DPA ?? Ein Ballon mit der Aufschrift „Es gibt keinen Planet B.“ist vor Braunkohle­kraftwerke­n zu sehen: Heute vor 30 Jahren trat die Klimarahme­nkonventio­n in Kraft. Sie gilt als das wichtigste Abkommen im Kampf gegen die Erderhitzu­ng.
ARCHIVFOTO: INA FASSBENDER/DPA Ein Ballon mit der Aufschrift „Es gibt keinen Planet B.“ist vor Braunkohle­kraftwerke­n zu sehen: Heute vor 30 Jahren trat die Klimarahme­nkonventio­n in Kraft. Sie gilt als das wichtigste Abkommen im Kampf gegen die Erderhitzu­ng.

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