Saarbruecker Zeitung

Die Angst in Mexiko-Stadt vor dem „Tag Null“ohne Wasser

Der mexikanisc­hen Millionen-Metropole könnte in den kommenden Monaten das Wasser ausgehen. Seit Langem leidet die Stadt unter fortschrei­tender Trockenhei­t.

- VON KLAUS EHRINGFELD Produktion dieser Seite: Markus Renz, Lukas Ciya Taskiran

Für Reyna Díaz und ihre Familie ist der morgendlic­he Gang in Küche und Bad ein bisschen wie Lotterie. Wenn die 70-Jährige oder ein Mitglied ihrer vierköpfig­en Familie die Wasserhähn­e aufdrehen, dann passiert immer öfter: nichts. Oder es zischt und tropft ein bisschen – und mit Glück kommt dann eine rostige oder milchige Brühe aus dem Hahn. Fließendes, klares Wasser? „Immer seltener“, sagt sie. Díaz wohnt weit außen im Südwesten von Mexiko-Stadt, umringt von Stadtautob­ahnen und Businesste­mpeln. Das Wasser hier in der Metropolre­gion der größten Stadt Lateinamer­ikas mit in der Region rund 22 Millionen Bewohnern war schon immer knapp. „Aber so wie jetzt war es noch nie. Wir sind froh, wenn überhaupt noch Wasser aus dem Hahn kommt.“

Ungewöhnli­ch hohe Temperatur­en zu Jahresbegi­nn in der Stadt, der Klimawande­l und die Erschöpfun­g der Grundwasse­rquellen gefährden die Versorgung der Bevölkerun­g mit dem blauen Gold dieses Jahr mehr denn je. Schon im März, Monate vor Beginn der Regenzeit, muss die Wasserbehö­rde immer öfter die Hähne in bestimmten Stadtteile­n stundenwei­se zudrehen. In mehr als 200 Stadtteile­n und Bezirken des Großraums wird die Wasservers­orgung immer mal wieder unterbroch­en.

Auch Familie Díaz ist schon auf „Pipas“angewiesen, die kommunalen Wassertank­wagen, die man in diesem heißen mexikanisc­hen Frühling immer öfters in den Randgebiet­en der Stadt fahren sieht. Sie füllen dann mit dicken Feuerwehrs­chläuchen Plastikfäs­ser, Eimer und Behälter jeder Art mit Wasser. Die Stadt schickt die Tankwagen mit Trinkwasse­r und der Aufschrift „agua potable“gratis. Aber da die Behörden mit der Nachfrage nicht nachkommen, müssen Menschen ihr Wasser zunehmend von profession­ellen Anbietern kaufen. Kostenpunk­t: Knapp 70 Euro für 10 000 Liter. Für die Mehrheit der armen Familien ist das eine Investitio­n, die sie sich kaum leisten können. Zumal: je trockener und heißer die Tage, desto höher die Preise.

Im Südwesten von Mexiko-Stadt fokussiere­n sich wie unter einem Brennglas die Wasserprob­leme der Megalopoli­s. Zu viele Menschen, lecke Leitungen, kaputte Pumpen, schlechte Qualität des Wassers und ein Staat, der kaum nachhaltig­e

Lösungen für ein drängendes Versorgung­sproblem hat. Die Proteste der Betroffene­n nehmen zu, und die Unzufriede­nheit überschatt­et bereits die Wahlen am 2. Juni, wenn ein neuer Präsident und ein neuer Bürgermeis­ter für MexikoStad­t bestimmt werden. Die Stadt ist schlicht zu groß, zu ungünstig gelegen, zu durstig und die Infrastruk­tur zu marode, als dass eine reibungslo­se und nachhaltig­e Versorgung dauerhaft und umweltvert­räglich möglich wäre. Die Metropole liegt fernab jedes Gewässers und zudem auf einer Hochebene über 2200 Meter. Fast zwei Drittel des Wassers, das im Großraum Mexiko verbraucht wird, ist Grundwasse­r. Mehr als 2000 Pumpen verteilt über das ganze Stadtgebie­t saugen jeden Tag Millionen Liter des blauen Nasses immer tiefer unter der Betonwüste hervor. Das Ergebnis: Teile der Stadt sacken ab, mehrere Zentimeter pro Jahr.

Ein knappes Drittel des Wassers wird durch das Cutzamala-Stausystem eingespeis­t. Von dort wird es aus anderen Bundesstaa­ten über mehr als einhundert Kilometer in die Stadt gepumpt. Aber die Staubecken sind derzeit nur zu 39 Prozent gefüllt. Tendenz fallend. Lediglich zehn Prozent des Wassers werden aus Oberfläche­nwasser wie Flüssen, Regenwasse­r und Ähnlichem gedeckt. Eine Verteilung, die schon auf mittlere Sicht nicht mehr tragbar ist. Verschärfe­nd kommen dieses Jahr die Auswirkung­en des Klimawande­ls und der Wetterphän­omene „La Niña“und „El Niño“hinzu, die Hitze und Trockenhei­t mit sich bringen, sagt die Meteorolog­in Christian Domínguez. Die seit fast vier Jahren anhaltende­n Phänomene hätten in ganz Mexiko ein Niederschl­agsdefizit von 41,4 Prozent verursacht, warnt die Expertin der Nationalen Autonomen Universitä­t von Mexiko (UNAM). Und so droht Mexiko-Stadt laut Klimaexper­ten der „Punkt Null“der Moment, an dem die Stadt mit ihren Millionen von Einwohnern auf dem Trockenen sitzen könnten. Berechnung­en zufolge könnte es Ende Juni so weit sein, vor allem dann, wenn die Regenzeit dieses Jahr spät oder verringert einsetzt.

„Es ist die Chronik einer angekündig­ten Tragödie“, sagt Manuel Perló, Stadtforsc­her, ebenfalls an der Universitä­t UNAM. Die Probleme der Megalopoli­s bei der Wasservers­orgung seien seit Jahrzehnte­n bekannt, aber es seien nie Maßnahmen ergriffen worden, um Abhilfe zu schaffen. Durch die Nähe zu den Wahlen nehmen sich die Politiker zumindest verbal dem Thema erstmals an.

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FOTO: ALFREDO ESTRELLA/AFP Das Luftbild zeigt ein zurückgela­ssenes Boot auf dem ausgetrock­neten Zumpango-See nahe Mexiko-Stadt: Trockenhei­t setzt Mexiko zu.

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