Die Grünen müssen als Feindbild herhalten
Vor drei Jahren schien die Partei auf dem Weg, den nächsten Kanzler zu stellen. Davon ist sie mittlerweile weit entfernt. Die Gereiztheit der Wähler wächst.
Mit seiner überschaubaren Parteienlandschaft und den verlässlichen Wählermilieus galt Deutschland lange als Hort der politischen Stabilität. Doch nun gerät auch hier vieles ins Wanken. Nicht nur, weil an den Rändern neue Parteien gegründet wurden und damit kompliziertere Regierungsbildungen zu erwarten sind. Auch die politischen Stimmungsschwankungen im Land schlagen extremer aus. Und werden in der Spitze von aggressiven Ausfällen begleitet.
Der letzte Höhenflug der Grünen etwa ist noch gar nicht lange her. Im Bundestagswahlkampf 2021 gingen viele schon davon aus, dass die Partei bald auch den Kanzler oder die Kanzlerin stellen könnte. Wer erinnert sich noch? Knapp drei Jahre später wird der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck am Ende einer privaten Auszeit daran gehindert, eine Nordseefähre zu verlassen, müssen die Grünen wegen bedrohlicher Proteste ein Aschermittwochstreffen mit ihrem Spitzenpersonal absagen und aus der Halle eskortiert werden. Parteichefin Ricarda Lang wurde bei einer Parallelveranstaltung von Störern beschimpft, bedrängt, verfolgt, bis die Polizei die Leute aufhielt. Da ist etwas aus dem Lot. Das Wahlvolk ist nicht nur wechselbereiter geworden, was Teil von Demokratie ist. Es ist launisch, unversöhnlich, ständig empört. Es lässt sich begeistern, straft kurz darauf mit totalem Liebesentzug, Euphorie und Stänkerei liegen nah beieinander. Und immer öfter treten Leute auf, die hinterher als aggressiver Mob beschrieben werden – als aufgewiegelte Grüppchen, die nicht für die Allgemeinheit stehen. Man kann versuchen, das inhaltlich zu erklären. Der Höhenflug der Grünen etwa fiel in eine Zeit, als die Sorge um den Klimawandel noch nicht überlagert war von derart vielen anderen Problemen. Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und dem Überfall der Hamas auf Israel sind Konflikte aufgebrochen, die auch innerhalb politischer Milieus zu unversöhnlichen Auseinandersetzungen führen.
Hinzu kommt das Regierungshandeln der Ampel, die den Zusatz „verhasst“schon wie einen Vornamen trägt. Viele sind unzufrieden mit der Leistung der Regierungsbeteiligten wegen dauernden Streits untereinander, wegen kurzfristiger Entscheidungen, mangelhafter Kommunikation, teils handwerklicher Fehler in Gesetzen. Für den Unmut gibt es Gründe. Aber es wird den Verantwortlichen trotz der erkennbar schwierigen Lage keine Fehlertoleranz mehr zugestanden. Angenommen wird im Gegenteil das Schlechteste: Korrupt, verlogen, unfähig sind inzwischen gängige Pauschalurteile über politisches Personal.
Das hat auch mit Berichterstattung und dem Wandel der medialen Öffentlichkeit zu tun. Dauerbeschallung auf diversen Kanälen, grelles Vorkommenwollen, Meinungsblasen und Verrohung – die Befunde sind bekannt. Natürlich haben auch Akteure aus dem politischen Betrieb selbst einen Anteil an der grassierenden Haudrauf-Rhetorik und der Tendenz, Frust zu befeuern und auf Sündenböcke zu lenken. Auf die politischen Gegner nämlich. Die AfD trägt Hassrede und Hetzbegriffe schon lange in den Bundestag, benutzt immer offener völkischen Jargon und arbeitet gezielt an der Veränderung des politischen Diskurses. Sahra Wagenknecht inszeniert sich als letzte Kämpferin für „den gesunden Menschenverstand“, immer nach dem Motto: Weiß doch jeder, nur die Eliten kümmern sich nicht drum. Und CSU-Chef Markus Söder, die Freien Wähler mit dem bisweilen demagogischen Chefgrantler Hubert Aiwanger im Nacken, verglich jüngst bei seinem Aschermittwochsauftritt die grüne Umweltministerin mit der verstorbenen Ehefrau des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Das sind Verschiebungen im Umgang miteinander, die auch das Verhältnis zu den Wählern verändern.
Es wird den Verantwortlichen trotz der erkennbar schwierigen Lage keine Fehlertoleranz mehr zugestanden.