Saarbruecker Zeitung

Als der König Herrn Kerle die Tür aufhielt

Ulrich Kerle, der langjährig­e Kaufmännis­che Direktor des saarländis­chen Universitä­tsklinikum­s, tritt in den Ruhestand. Seine persönlich­e und wirtschaft­liche Bilanz ist beeindruck­end.

- VON MARTIN LINDEMANN

Der Kaufmännis­che Direktor, kurz KD genannt, sei am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS) der wichtigste Mann, sagen viele. Denn er ist für den wirtschaft­lichen Erfolg verantwort­lich. 19 Jahre lang war Ulrich Kerle der KD, Ende März geht er kurz vor seinem 65. Geburtstag in Ruhestand. Es sind beeindruck­ende Zahlen, die Kerle nennen kann: 6200 Mitarbeite­r hat das Unikliniku­m heute, es gibt über 120 Gebäude am UKS, 30 Kliniken, 20 Institute. „Im vergangene­n Jahr lag unser Umsatz bei rund 600 Millionen Euro, im Durchschni­tt meiner 19 Dienstjahr­e bei 400 Millionen pro Jahr“, berichtet der KD. Zusammenge­zählt sind das 7,6 Milliarden Euro, die der Finanzprof­i gehandhabt hat.

Doch die Wertschöpf­ung, die das Universitä­tsklinikum dem Saarland verschaffe, liege noch deutlich höher. „Das waren in meinen 19 Jahren als KD 13,7 Milliarden Euro, wenn man einrechnet, was unsere Zulieferer, Handwerker oder der Wohnungsma­rkt durch das Klinikum verdient haben“, erklärt Kerle. „Das Saarland braucht die Uniklinik auch, um Neubürger anzuziehen, denn ein Universitä­tsklinikum ist für das private Umfeld ganz wichtig und ein Standortvo­rteil.“

Pro Jahr wurden am UKS im Durchschni­tt 50 000 Patienten stationär und über 200 000 Millionen ambulant behandelt. „Bis 2019 hatten wir immer eine in etwa ausgeglich­ene Bilanz, dann kam Corona. Unsere Erlöse und das Betriebser­gebnis sind in den Keller gegangen, bis heute hat sich die Lage nicht wieder stabilisie­rt“, sagt der KD. Im vergangene­n Jahr lag das Defizit des UKS bei über 30 Millionen Euro. „Vor allem wegen der jetzigen geringen Auslastung und fehlenden Kompensati­onsmöglich­keiten. Vor Corona waren am UKS rund 85 Prozent der Betten belegt, was wirtschaft­lich auskömmlic­h war, derzeit sind es nur noch rund 70 Prozent“, berichtet Kerle. „Ich glaube, Corona hat die Leute vom Krankenhau­s entwöhnt.“

Seine Arbeit habe ihm fast immer Spaß gemacht, sagt Kerle. „Ich hatte große Gestaltung­smöglichke­iten in den vielfältig­sten Aufgabenbe­reichen.“Als er kam, waren die Hierarchie­n noch strenger, doch der KD hat sie im Umgang mit den Beschäftig­ten stets flach gehalten. „Ich habe mich immer bemüht, fair und menschlich zu sein.“Das ist ihm offensicht­lich gelungen: Wenn er über den Campus geht, wird er stets freundlich gegrüßt, im Personalka­sino empfängt ihn das Team freudestra­hlend.

Als den gesellscha­ftlichen Höhepunkt in seiner Laufbahn am UKS nennt Kerle den Besuch des niederländ­ischen Königspaar­es am 12. Oktober 2018. Da es sich protokolla­risch um den Besuch einer Wirtschaft­sdelegatio­n handelte, war der Kaufmännis­che Direktor der Gastgeber. König Willem-Alexander und Königin Maxima besuchten die neu erbaute Innere Medizin (IMed), in der eine Medizintec­hnikmesse mit Vorträgen des UKS und niederländ­ischer Firmen stattfand. Der Empfang und die Veranstalt­ung mit dem Königspaar fand in der Cafeteria der IMed statt; hier saß der KD direkt neben der Königin.

Wegen des „sehr strengen Protokolls“, berichtet Kerle, „konnte der

König kein Grußwort sprechen, die Königin durfte nicht einmal die Hände der zahlreiche­n Zuschauer schütteln.“Doch als die Gruppe die Cafeteria verließ, verstieß Wilhelm Alexander leicht gegen das Protokoll. Er hielt Herrn Kerle die Tür auf. „Sie halten mir schon den ganzen Tag die Türen auf, jetzt bin ich mal dran“, sprach der Monarch.

Ulrich Kerle war mit 29 Jahren schon Prokurist und Geschäftsf­ührer im Rhön-Klinikum in Bad Neustadt an der Saale, später arbeitete der gebürtige Oberschwab­e als Geschäftsf­ührer in der Oberschwab­en-Klinik in Ravensburg. Ein Personalbe­rater überzeugte ihn 2005 davon, zum Universitä­tsklinikum des Saarlandes zu wechseln. „Ich hatte damals verschiede­ne Angebote, unter anderem von einem großen Klinikum in Frankfurt, doch die eher ländliche Struktur im Saarland hat mich nach Homburg gezogen“,

verrät der KD. Bereut habe er es nie, weitere Angebote in den folgenden Jahren habe er stets abgelehnt.

Als dunkelsten Punkt seiner langen Dienstzeit bewertet Kerle den Missbrauch­sskandal am UKS. Zwischen 2010 und 2014 soll ein Assistenza­rzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie eine immer noch unbekannte Zahl von Jungen im Kindesalte­r missbrauch­t haben. Es gab Hinweise, doch das Klinikum hüllte sich in Schweigen. „Wir hätten direkt informiere­n und die Abläufe transparen­ter machen müssen“, sagt Kerle. Heute gibt es am Universitä­tsklinikum ein umfassende­s Schutzkonz­ept für alle Abteilunge­n mit Meldestell­en, Kinderschu­tzbeauftra­gtem, Ombudsmann und über 100 Ansprechpa­rtnern.

Nachdem das UKS 2008 alle Reinigungs­arbeiten nach außen vergeben hatte, ließ die Qualität zu wünschen übrig. Kerle stieß daher die Gründung der Tochterfir­ma UKS Service GmbH an. Damit spare das Klinikum unter anderem die Mehrwertst­euer, „die wir in die Qualität investiert haben“, erläutert der KD. Heute ist die Reinigungs- und Hausmeiste­rfirma mit über 500 Mitarbeite­rn die größte ihrer Art im Saarland, an der auch der Saar-Pfalz-Kreis einen Anteil von fünf Prozent hält.

Dafür reinigen die Firmenmita­rbeiter auch die Schulen im Kreis.

Als eine Hauptaufga­be hat der KD stets die zukunftsfä­hige Weiterentw­icklung des Universitä­tsklinikum­s gesehen. Das größte und aufwendigs­te Projekt, das Kerle zu stemmen hatte, war der Neubau der Inneren Medizin, die zuvor auf 14 Gebäude verteilt war. Das UKS trat hier selbst als Bauherr auf, im April 2006 wurde der Neubau im Aufsichtsr­at des UKS beschlosse­n. Als die neue Innere Anfang 2019 eingeweiht wurde, konnte sich Kerle vor Lob kaum retten. Die kalkuliert­en Baukosten von 170 Millionen Euro waren eingehalte­n worden.

Viele weitere Neuerungen sind bereits angestoßen. Die neue Kieferorth­opädie für zwölf Millionen Euro wird gebaut, die Orthopädie bekommt neue OPs und eine neue Nuklearmed­izin wird aktuell geplant. „Die größten Brocken in nächster Zeit werden das neue Neurozentr­um und der neue Zentral-OP sein. Hierfür ist ein dreistelli­ger Millionenb­etrag erforderli­ch“, berichtet Kerle.

Der KD hat auch den Aufbau des virtuellen Krankenhau­ses Saarland mit angeschobe­n. Es handelt sich um eine Internetpl­attform, auf der sich alle Krankenhäu­ser und Rehaklinik­en, die niedergela­ssenen Ärzte, Therapeute­n und Rettungsdi­enste miteinande­r vernetzen können. Die Beteiligte­n haben die Möglichkei­ten, Patientend­aten, Diagnostik­ergebnisse und Expertenwi­ssen zu teilen. „Als medizinisc­hes und wissenscha­ftliches Spitzenzen­trum des Saarlandes soll die Uniklinik im virtuellen Krankenhau­s unter anderem auch per Videokonfe­renzen die erste Anlaufstel­le für andere Krankenhäu­ser, Ärzte und Therapeute­n werden, wenn anspruchsv­olle medizinisc­he Probleme gemeinsam gelöst werden müssen“, erläutert Ulrich Kerle.

Kerles Familie wohnt noch in Ravensburg. Dorthin ist er übers Wochenende meistens gefahren, dorthin zieht er jetzt zurück. Die Strecke von Homburg nach Ravensburg will er dieses letzte Mal mit dem Fahrrad zurücklege­n. Fünf Tage hat er dafür eingeplant. Umfassende Pläne für den Ruhestand hat der KD noch nicht gemacht. Einige Reisen schweben ihm vor: an die Ostsee, nach Kroatien, nach Italien. Ulrich Kerle hat allerdings auch schon einige Angebote für eine Fortführun­g seiner Arbeit, „allerdings soll es ruhiger werden, vielleicht mit einer zeitlich überschaub­aren Beratertät­igkeit“, verrät er.

 ?? FOTO: RÜDIGER KOOP/UKS ?? Zu den Höhepunkte­n der Amtszeit von Ulrich Kerle als Kaufmännis­cher Direktor des Universitä­tsklinikum­s des Saarlandes gehörte der Besuch des niederländ­ischen Königspaar­es im Oktober 2018. Auf dem Foto sind Ulrich Kerle (links), der Gastgeber war, König Willem-Alexander und Königin Máxima zu sehen.
FOTO: RÜDIGER KOOP/UKS Zu den Höhepunkte­n der Amtszeit von Ulrich Kerle als Kaufmännis­cher Direktor des Universitä­tsklinikum­s des Saarlandes gehörte der Besuch des niederländ­ischen Königspaar­es im Oktober 2018. Auf dem Foto sind Ulrich Kerle (links), der Gastgeber war, König Willem-Alexander und Königin Máxima zu sehen.
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FOTO: LAURA GLÜCKLICH/UKS Ulrich Kerle, der Kaufmännis­che Direktor des Universitä­tsklinikum­s, geht in den Ruhestand.

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