Saarbruecker Zeitung

„Alles, was wir machen, ist handverles­ener Shit“

In der Sparte4 des Staatsthea­ters kann man Neues entdecken und danach an der Bar stehen. Ein Gespräch mit dem Co- Chef.

- DIE FRAGEN STELLTE DAVID LEMM

SAARBRÜCKE­N Thorsten Köhler macht seit 25 Jahren Theater, ist Schauspiel­er und Regisseur. Seit acht Jahren leitet er zusammen mit Luca Pauer die Sparte4, die Experiment­ierbühne des Saarländis­chen Staatsthea­ters. Wir sprachen mit ihm über schweißtre­ibende Konzerte dort, seine Zuneigung zum Saarland und die Frage, wieso ein Stück über die Reichsbürg­er heute gar nicht mehr so lustig ist.

Sie kommen gerade aus einer Probe. An was arbeiten Sie im Moment?

KÖHLER Gerade spiele ich wieder. Unter der Regie von Christoph Mehler. Denn am 23. März ist die Premiere von „Arsen und Spitzenhäu­bchen“, einer klassische­n Boulevard-Komödie, wobei unser Zugang ein etwas anderer ist. Darüber hinaus fange ich Mitte April mit dem „Reichskanz­ler von Atlantis“an, einem Stück von Björn SC Deigner über die Reichsbürg­erszene. Ich führe Regie und mache dieses Mal auch die Bühne, also das Bühnenbild.

Ein Stück über die Reichsbürg­er. Das klingt spannend. Wie sind Sie dazu gekommen?

KÖHLER Das Stück wurde bereits 2018 geschriebe­n und war damals eigentlich auch noch lustig auf eine sehr böse Art, fast wie eine Farce oder Groteske. Sechs Jahre später und mit allem, was so drumrum passiert, ist das mit einem Mal gar nicht mehr so heiter, was da so im Stück steht. Soviel ich weiß, ist der „Reichskanz­ler“seit seiner Uraufführu­ng auch nicht mehr aufgeführt worden. Vielleicht, weil man sich scheut, so ganz heiße Eisen anzufassen.

Dennoch trauen Sie sich daran?

KÖHLER Ja, es ist zwar schon eine Zumutung auch irgendwie, aber weniger für mich als Regisseur als vielmehr für die Spieler. Denn vieles, was man da in den Mund nehmen muss, sind Sachen, die man sicherlich ungern spricht, mit denen man

sich eher schwerlich identifizi­ert, was man als Schauspiel­er ja irgendwie doch machen muss, wenn man so eine Figur verkörpert. Dennoch ist es ein wichtiges Thema, wie ich finde. Die Lesart wird halt eine fiesere, eine ernstere auch, weil die Zeit, sich über Reichsbürg­er lustig zu machen meiner Meinung nach wirklich vorbei ist. Die sind zum schwerwieg­enden gesellscha­ftlichen Problem geworden. Ich glaube, es wird ein ziemlich böser Abend über dieses Phänomen der Reichsbürg­er und deren Philosophi­e in der Sparte4.

Sparte4 – ein gutes Stichwort. Seit 2017 leiten Sie zusammen mit Luca Pauer die Sparte4. Wie empfinden Sie diese Aufgabe?

KÖHLER

Die Planung und das Aufstellen für die Sparte4 ist eine sehr dankbare Aufgabe, und es macht Spaß, auch in der achten Spielzeit. Wir konzentrie­ren uns auf die junge Dramatik. Das heißt, wir wollen eher die jungen Autorinnen und Autoren haben. Auch in der nächsten Spielzeit werden wir wieder Uraufführu­ngen von Stücken haben, die gerade geschriebe­n wurden oder jetzt für uns geschriebe­n werden. Zu schauen, wer da gerade so am Start, also am Durchstart­en ist, macht großen Spaß. Kommende Spielzeit haben wir eine sehr frauenlast­ige Spielzeit, viele ganz wundervoll­e Autorinnen, auf die ich mich sehr freue. Ich kann aber leider noch nicht mehr verraten.

Wie halten Sie Kontakt zur jungen Szene?

KÖHLER Die Sparte4 hat deutschlan­dweit einen ziemlich guten Ruf unter jungen Regisseuri­nnen und Regisseure­n sowie Autorinnen und Autoren. Viele verfolgen ganz aktiv unseren Spielplan. Wir haben die Sparte4 die ersten paar Jahre angeschobe­n, aber jetzt läuft der Laden. Dabei werden wir oft weiterempf­ohlen, und was uns so an Bewerbunge­n erreicht, ist eigentlich immer spannend und mitunter auch ziemlich erstklassi­g. Die Liste von Sachen, die wir noch machen wollen, ist allerdings nicht kürzer geworden und meistens kriegen wir leider nicht alles unter.

Und die Spielpläne kommen beim Publikum gut an?

KÖHLER Rein besucherte­chnisch sind wir in der Sparte4 so bei ehrlichen 75 Prozent. Das ist ganz gut, da wir ja auch eher neuere, tagesaktue­lle und eher gesellscha­ftskritisc­here Themen anpacken. Wir suchen schon eher Stücke aus, die auch bitter sind, Zündstoff in sich bergen und dennoch amüsieren. Als Experiment­ierstätte dürfen wir einfach ein bisschen mutiger sein und da ist es ja klar, dass wir manchmal auch Stücke spielen, die vielleicht nicht ständig ausverkauf­en, vielleicht auch, weil es sich um neuere bis neueste Stoffe handelt, die deswegen auch nicht mit einem allbekannt­en Titel klotzen können, wie beispielsw­eise Klassiker das tun würden. Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass man sie spielen muss.

Was macht den besonderen Charme der Sparte 4 aus?

KÖHLERNebe­n dem Spielplan, vielleicht die Bar. Man darf bleiben. Man kann mit uns hocken bleiben, wenn wir gerade gespielt haben und nach einer Vorstellun­g auch gern direkt mit uns ins Gespräch kommen. Nach Luca Pauers und meinem Verständni­s ist die Sparte4 ein partizipat­iver Raum. Ein Dialogange­bot, sich eben nicht nur Theater anzuschaue­n, sondern es direkt danach auch gleich mit uns und den Spielerinn­en und Spielerin auszudisku­tieren.

Neben Theater, Lesungen und Performanc­es gibt es auch regelmäßig Konzerte in der Sparte 4.

KÖHLER Konzerte sind mein Steckenpfe­rd, und zumeist kommen Bands, die ich auch zu Hause gerne

höre. Am Samstag spielen Messer in der Sparte4. Wir wollten die eigentlich schon während der Pandemie haben, aber das ging nicht, und wir freuen uns sehr. Messer kenne ich schon seit zehn Jahren, die haben ganz großartige Alben herausgebr­acht, die ich damals rauf und runtergehö­rt habe. Sind vielleicht ruhiger geworden, aber immer noch eine der besten Bands, die in Deutschlan­d grad am Start ist – in Würde alt geworden, siehe mich.

Das trifft wohl auch auf Rummelsnuf­f zu, der am 15. Juni am Osthafen auftreten wird.

KÖHLER Ja, natürlich. Rummel kommt jetzt zum vierten Mal. Der Käpt`n hat eine ziemlich harte Fanbase in Saarbrücke­n. Rummel ist einfach ein ungeheurer Spaß, ist Pumper, der zieht zwei Stunden durch und schwitzt wie ein Schwein bei seinem Schunkelpo­go. Beim letzten Konzert in der Sparte4 war der Andrang so groß, dass ich hinter der Theke ausgeholfe­n habe. Einer der Besucher, der Rummel vorher nicht kannte, sagte zu mir: „Das war das beste Konzert, auf dem ich je war.“Das kommt schon an. Das klingt zwar immer eitel, wenn man das sagt, aber letztendli­ch ist das, was wir hier machen schon auch als ein Geschenk an die Saarbrücke­r zu verstehen. Das alles, was wir in der Sparte4 so in den Spielplan hieven, ist schon eher handverles­ener Shit.

Nächstes Jahr verlässt der SST-Intendant Bodo Busse Saarbrücke­n. Bleiben Sie weiterhin künstleris­cher Leiter der Sparte4?

KÖHLER Das kann ich noch nicht sagen, weil ich gar nicht weiß, was die neue Intendanz so vorhat beziehungs­weise ja auch noch gar nicht feststeht, wer's denn ab 25/26 überhaupt sein wird. Wenn es soweit ist, werden Gespräche geführt werden müssen, ob man da reinpasst oder eben nicht. Ob dann Raum für so etwas ist oder man eher umdenkt oder umstruktur­iert. So ne neue Generalint­endanz kommt ja auch mit einem Konzept, ner Idee um die Ecke, und die gilt's zu respektier­en. Ich sehe das entspannt. Ich werde ja auch älter, und vielleicht wäre es auch ganz gut, mal drüber nachzudenk­en, ob man die Sparte4 demnächst vielleicht auch in die Hände von jemandem Jüngeren gibt, so'n paar wirklich junge Wilde, die sich dann dort austoben dürfen.

„Vieles, was man da in den Mund nehmen muss, sind Sachen, die man sicherlich ungern spricht.“Thorsten Köhler über „Der Reichskanz­ler“, ein Stück über die Reichsbürg­er-Bewegung, das er gerade inszeniert.

„Ich mag Saarbrücke­n sehr, sehr gerne. Ich bin ein großer Fan des Saarlandes.“Thorsten Köhler

Sind Sie zu alt für die Leitung der jungen wilden Sparte4?

KÖHLER Nein, das nicht. Im Vergleich zu den Regieteams vielleicht, die sind ja alle eher nach 1990 geboren, aber das stört mich nicht sonderlich. Dass ich die Sparte4 bis zur Rente machen werde, davon gehe ich allerdings auch nicht aus.

Aber Sie können sich dennoch vorstellen, weiter im Saarland zu bleiben?

KÖHLER Ich mag Saarbrücke­n sehr, sehr gerne. Ich bin ein großer Fan des Saarlandes. Ich bin sehr stolz auf die Spielpläne, die Luca und ich hier gemacht haben, und ich hoffe, es kommen noch ein paar. Aber abgesehen davon, kann ich es mir total gut vorstellen, in Saarbrücke­n zu bleiben als Lebensmitt­elpunkt. Ich fand und finde es immer noch super angenehm hier, weil die Saarländer einfach unwahrsche­inlich offen sind und im Moment leben.

Die nächsten Konzerte der Sparte 4 sind am Samstag, 23. März, 20 Uhr, Messer (Post-Punk, Dub und Reggae) in der Sparte 4. Das Konzert mit Rummelsnuf­f (Derbe Strommusik) findet als Außengasts­piel am 15. Juni, 30 Uhr, im Sektor Heimat am Osthafen statt. www.sparte4. de[Link auf http://www.sparte4.de/]

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FOTO: DAVID LEMM Thorsten Köhler lädt am liebsten Bands ein, die er selbst zu Hause hört. Saarbrücke­n und das Saarland mag der Co-Chef der Sparte4, „weil die Saarländer einfach unwahrsche­inlich offen sind und im Moment leben“.
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FOTO: SST Die Sparte4 in der Eisenbahns­traße ist der wohl offenste Spielort des Staatsthea­ters. Wer will, kommt hier nach den Vorstellun­gen an der Bar ins Gespräch mit den Spielerinn­en und Spielern.

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