„Alles, was wir machen, ist handverlesener Shit“
In der Sparte4 des Staatstheaters kann man Neues entdecken und danach an der Bar stehen. Ein Gespräch mit dem Co- Chef.
SAARBRÜCKEN Thorsten Köhler macht seit 25 Jahren Theater, ist Schauspieler und Regisseur. Seit acht Jahren leitet er zusammen mit Luca Pauer die Sparte4, die Experimentierbühne des Saarländischen Staatstheaters. Wir sprachen mit ihm über schweißtreibende Konzerte dort, seine Zuneigung zum Saarland und die Frage, wieso ein Stück über die Reichsbürger heute gar nicht mehr so lustig ist.
Sie kommen gerade aus einer Probe. An was arbeiten Sie im Moment?
KÖHLER Gerade spiele ich wieder. Unter der Regie von Christoph Mehler. Denn am 23. März ist die Premiere von „Arsen und Spitzenhäubchen“, einer klassischen Boulevard-Komödie, wobei unser Zugang ein etwas anderer ist. Darüber hinaus fange ich Mitte April mit dem „Reichskanzler von Atlantis“an, einem Stück von Björn SC Deigner über die Reichsbürgerszene. Ich führe Regie und mache dieses Mal auch die Bühne, also das Bühnenbild.
Ein Stück über die Reichsbürger. Das klingt spannend. Wie sind Sie dazu gekommen?
KÖHLER Das Stück wurde bereits 2018 geschrieben und war damals eigentlich auch noch lustig auf eine sehr böse Art, fast wie eine Farce oder Groteske. Sechs Jahre später und mit allem, was so drumrum passiert, ist das mit einem Mal gar nicht mehr so heiter, was da so im Stück steht. Soviel ich weiß, ist der „Reichskanzler“seit seiner Uraufführung auch nicht mehr aufgeführt worden. Vielleicht, weil man sich scheut, so ganz heiße Eisen anzufassen.
Dennoch trauen Sie sich daran?
KÖHLER Ja, es ist zwar schon eine Zumutung auch irgendwie, aber weniger für mich als Regisseur als vielmehr für die Spieler. Denn vieles, was man da in den Mund nehmen muss, sind Sachen, die man sicherlich ungern spricht, mit denen man
sich eher schwerlich identifiziert, was man als Schauspieler ja irgendwie doch machen muss, wenn man so eine Figur verkörpert. Dennoch ist es ein wichtiges Thema, wie ich finde. Die Lesart wird halt eine fiesere, eine ernstere auch, weil die Zeit, sich über Reichsbürger lustig zu machen meiner Meinung nach wirklich vorbei ist. Die sind zum schwerwiegenden gesellschaftlichen Problem geworden. Ich glaube, es wird ein ziemlich böser Abend über dieses Phänomen der Reichsbürger und deren Philosophie in der Sparte4.
Sparte4 – ein gutes Stichwort. Seit 2017 leiten Sie zusammen mit Luca Pauer die Sparte4. Wie empfinden Sie diese Aufgabe?
KÖHLER
Die Planung und das Aufstellen für die Sparte4 ist eine sehr dankbare Aufgabe, und es macht Spaß, auch in der achten Spielzeit. Wir konzentrieren uns auf die junge Dramatik. Das heißt, wir wollen eher die jungen Autorinnen und Autoren haben. Auch in der nächsten Spielzeit werden wir wieder Uraufführungen von Stücken haben, die gerade geschrieben wurden oder jetzt für uns geschrieben werden. Zu schauen, wer da gerade so am Start, also am Durchstarten ist, macht großen Spaß. Kommende Spielzeit haben wir eine sehr frauenlastige Spielzeit, viele ganz wundervolle Autorinnen, auf die ich mich sehr freue. Ich kann aber leider noch nicht mehr verraten.
Wie halten Sie Kontakt zur jungen Szene?
KÖHLER Die Sparte4 hat deutschlandweit einen ziemlich guten Ruf unter jungen Regisseurinnen und Regisseuren sowie Autorinnen und Autoren. Viele verfolgen ganz aktiv unseren Spielplan. Wir haben die Sparte4 die ersten paar Jahre angeschoben, aber jetzt läuft der Laden. Dabei werden wir oft weiterempfohlen, und was uns so an Bewerbungen erreicht, ist eigentlich immer spannend und mitunter auch ziemlich erstklassig. Die Liste von Sachen, die wir noch machen wollen, ist allerdings nicht kürzer geworden und meistens kriegen wir leider nicht alles unter.
Und die Spielpläne kommen beim Publikum gut an?
KÖHLER Rein besuchertechnisch sind wir in der Sparte4 so bei ehrlichen 75 Prozent. Das ist ganz gut, da wir ja auch eher neuere, tagesaktuelle und eher gesellschaftskritischere Themen anpacken. Wir suchen schon eher Stücke aus, die auch bitter sind, Zündstoff in sich bergen und dennoch amüsieren. Als Experimentierstätte dürfen wir einfach ein bisschen mutiger sein und da ist es ja klar, dass wir manchmal auch Stücke spielen, die vielleicht nicht ständig ausverkaufen, vielleicht auch, weil es sich um neuere bis neueste Stoffe handelt, die deswegen auch nicht mit einem allbekannten Titel klotzen können, wie beispielsweise Klassiker das tun würden. Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass man sie spielen muss.
Was macht den besonderen Charme der Sparte 4 aus?
KÖHLERNeben dem Spielplan, vielleicht die Bar. Man darf bleiben. Man kann mit uns hocken bleiben, wenn wir gerade gespielt haben und nach einer Vorstellung auch gern direkt mit uns ins Gespräch kommen. Nach Luca Pauers und meinem Verständnis ist die Sparte4 ein partizipativer Raum. Ein Dialogangebot, sich eben nicht nur Theater anzuschauen, sondern es direkt danach auch gleich mit uns und den Spielerinnen und Spielerin auszudiskutieren.
Neben Theater, Lesungen und Performances gibt es auch regelmäßig Konzerte in der Sparte 4.
KÖHLER Konzerte sind mein Steckenpferd, und zumeist kommen Bands, die ich auch zu Hause gerne
höre. Am Samstag spielen Messer in der Sparte4. Wir wollten die eigentlich schon während der Pandemie haben, aber das ging nicht, und wir freuen uns sehr. Messer kenne ich schon seit zehn Jahren, die haben ganz großartige Alben herausgebracht, die ich damals rauf und runtergehört habe. Sind vielleicht ruhiger geworden, aber immer noch eine der besten Bands, die in Deutschland grad am Start ist – in Würde alt geworden, siehe mich.
Das trifft wohl auch auf Rummelsnuff zu, der am 15. Juni am Osthafen auftreten wird.
KÖHLER Ja, natürlich. Rummel kommt jetzt zum vierten Mal. Der Käpt`n hat eine ziemlich harte Fanbase in Saarbrücken. Rummel ist einfach ein ungeheurer Spaß, ist Pumper, der zieht zwei Stunden durch und schwitzt wie ein Schwein bei seinem Schunkelpogo. Beim letzten Konzert in der Sparte4 war der Andrang so groß, dass ich hinter der Theke ausgeholfen habe. Einer der Besucher, der Rummel vorher nicht kannte, sagte zu mir: „Das war das beste Konzert, auf dem ich je war.“Das kommt schon an. Das klingt zwar immer eitel, wenn man das sagt, aber letztendlich ist das, was wir hier machen schon auch als ein Geschenk an die Saarbrücker zu verstehen. Das alles, was wir in der Sparte4 so in den Spielplan hieven, ist schon eher handverlesener Shit.
Nächstes Jahr verlässt der SST-Intendant Bodo Busse Saarbrücken. Bleiben Sie weiterhin künstlerischer Leiter der Sparte4?
KÖHLER Das kann ich noch nicht sagen, weil ich gar nicht weiß, was die neue Intendanz so vorhat beziehungsweise ja auch noch gar nicht feststeht, wer's denn ab 25/26 überhaupt sein wird. Wenn es soweit ist, werden Gespräche geführt werden müssen, ob man da reinpasst oder eben nicht. Ob dann Raum für so etwas ist oder man eher umdenkt oder umstrukturiert. So ne neue Generalintendanz kommt ja auch mit einem Konzept, ner Idee um die Ecke, und die gilt's zu respektieren. Ich sehe das entspannt. Ich werde ja auch älter, und vielleicht wäre es auch ganz gut, mal drüber nachzudenken, ob man die Sparte4 demnächst vielleicht auch in die Hände von jemandem Jüngeren gibt, so'n paar wirklich junge Wilde, die sich dann dort austoben dürfen.
„Vieles, was man da in den Mund nehmen muss, sind Sachen, die man sicherlich ungern spricht.“Thorsten Köhler über „Der Reichskanzler“, ein Stück über die Reichsbürger-Bewegung, das er gerade inszeniert.
„Ich mag Saarbrücken sehr, sehr gerne. Ich bin ein großer Fan des Saarlandes.“Thorsten Köhler
Sind Sie zu alt für die Leitung der jungen wilden Sparte4?
KÖHLER Nein, das nicht. Im Vergleich zu den Regieteams vielleicht, die sind ja alle eher nach 1990 geboren, aber das stört mich nicht sonderlich. Dass ich die Sparte4 bis zur Rente machen werde, davon gehe ich allerdings auch nicht aus.
Aber Sie können sich dennoch vorstellen, weiter im Saarland zu bleiben?
KÖHLER Ich mag Saarbrücken sehr, sehr gerne. Ich bin ein großer Fan des Saarlandes. Ich bin sehr stolz auf die Spielpläne, die Luca und ich hier gemacht haben, und ich hoffe, es kommen noch ein paar. Aber abgesehen davon, kann ich es mir total gut vorstellen, in Saarbrücken zu bleiben als Lebensmittelpunkt. Ich fand und finde es immer noch super angenehm hier, weil die Saarländer einfach unwahrscheinlich offen sind und im Moment leben.
Die nächsten Konzerte der Sparte 4 sind am Samstag, 23. März, 20 Uhr, Messer (Post-Punk, Dub und Reggae) in der Sparte 4. Das Konzert mit Rummelsnuff (Derbe Strommusik) findet als Außengastspiel am 15. Juni, 30 Uhr, im Sektor Heimat am Osthafen statt. www.sparte4. de[Link auf http://www.sparte4.de/]