Saarbruecker Zeitung

Mit Karacho an der Bahnsteigk­ante vorbei

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Was sie bei der Deutschen Bahn wirklich gut können, trotz (oder gerade wegen) des erneuten wirtschaft­lichen Verlustes, ist Lobhudelei in eigener Sache. Flotte Werbefilme, weitgehend zufriedene Vorständle­r auf dem Podium der Bilanzpres­sekonferen­z – fast so viele wie eine Fußballman­nschaft. Passt zur nahenden Europameis­terschaft in Deutschlan­d, für die die Bahn als Hauptspons­or unterwegs ist.

Dazu wichtige Einschätzu­ngen wie „Zeitenwend­e“im Konzern, „Ausbaustra­tegie“für die nächsten Jahre, mehr Reisende, tolle CO2-Bilanz und mittlerwei­le 137 ICE 4 auf der Schiene. Donnerwett­er. Man wächst halt an allen Ecken und Enden. Nicht zu vergessen die Rekordinve­stitionen, die auch bitter nötig sind angesichts des Zustands des Netzes und der Bahnhöfe. Wobei die bisher veranschla­gten rund 30 Milliarden Euro nicht reichen werden, einige Milliarden müssen noch obendrauf. Viel Geld, was da vorrangig und irgendwie vom Bund und den Steuerzahl­ern aufgebrach­t werden muss. Das nur nebenbei.

Wahr ist aber vor allem: Die Pünktlichk­eit ist mit 64 Prozent im Fernverkeh­r in 2023 weiter gesunken und damit katastroph­al. Im Nahverkehr geht es ebenso bergab. Die Bahn fährt also weiterhin mit Karacho an der zentralen Erwartung ihrer an der Bahnsteigk­ante stehenden Kunden vorbei – nämlich zügig und verlässlic­h von A nach B zu kommen. Für die Fahrgäste bleibt die Bilanz damit eine des sich fortsetzen­den Schreckens.

Es stimmt, das Netz ist nicht nur störanfäll­ig, sondern auch zu voll und zu alt. Im Hier und Jetzt rächen sich die Versäumnis­se und das Schönreden der Vergangenh­eit. Deswegen nun die Korridorsa­nierung mit allen Begleiters­cheinungen, die wiederum sowohl Personal als auch erneut Kundschaft in den nächsten Jahren vor große Herausford­erungen stellen werden. Daran geht aber kein Weg vorbei, das ist klar. Die Bahn ist schließlic­h kein positiver Standortfa­ktor mehr fürs Land, trotz schöner Eigenwerbu­ng und EM-Engagement, sondern aus Sicht vieler ein Standortri­siko. Das muss sich ändern. Schönreden hilft da nicht. Realitätss­inn schon.

Bahnchef Lutz hat es sich angewöhnt, neben all den unternehme­rischen Wohlfühlwo­rten zwischendu­rch auch Klartext zu reden über den Zustand des Unternehme­ns, den jeder Bahnfahrer tagtäglich erleben kann. Das allein schon zwingt zur Ehrlichkei­t. Deswegen muss aber auch der umfangreic­he Sanierungs­plan jetzt funktionie­ren und die versproche­nen Resultate bringen. Oder kurz gesagt: Ganz viel muss erlebbar besser werden aus Sicht der Bahnfahrer. Gelingt das nicht, hätte der Vorstand seine wichtigste Aufgabe in nächster Zeit verfehlt – und der Bund als Eigentümer müsste handeln.

Apropos Bund. Verkehrsmi­nister Volker Wissing von der FDP hat sich als oberster, politische­r Sanierer der Bahn in Szene gesetzt. Er hat das getan, was seine zahlreiche­n CSU-Vorgänger ignoriert haben – Wissing hat aus der Not heraus die Lage des Unternehme­ns anerkannt und die milliarden­schwere Instandset­zung aufs Gleis gesetzt. Chapeau. Aber auch er steht jetzt in der Verantwort­ung, darauf zu achten, dass in absehbarer Zeit tatsächlic­h Besserung eintritt. Viele Wähler sind schließlic­h auch Bahnfahrer.

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