Saarbruecker Zeitung

Tausende Haitianer fliehen vor Welle der Gewalt

Im Krisenstaa­t Haiti greift die Gewalt zunehmend auch auf die Viertel der Oberschich­t über. Die USA befürchten neue Fluchtwell­e in Richtung Puerto Rico.

- VON KLAUS EHRINGFELD

Gut drei Wochen nach Beginn des Umsturzver­suchs durch bewaffnete Banden in Haiti halten Elend, Vertreibun­g und politische­s Vakuum unverminde­rt an. Während Politiker und Mitglieder der Zivilgesel­lschaft noch immer versuchen, den Übergangsr­at zu bilden, der dem Karibiksta­at ein Stück staatliche und institutio­nelle Ordnung zurückgebe­n soll, plündern die Banden weiterhin Banken, morden und überfallen Menschen in den bürgerlich­en Vierteln der Hauptstadt Port-au-Prince. Die Apokalypse wird komplettie­rt durch Hunderttau­sende Vertrieben­e, die zum Teil schon früher vor der Bandengewa­lt flohen.

Die neue Zerstörung­s- und Mordlust zwang jetzt zusätzlich mehr als 15 000 Menschen innerhalb weniger Tage in andere Gebiete umzuziehen, wie die Vereinten Nationen schätzen. Viele suchten Schutz in bestehende­n Auffanglag­ern, während andere sich für die Errichtung neuer Siedlungen entschiede­n oder schlicht auf den Straßen hausen. Die Bedingunge­n sind in höchstem Maße prekär. Laut dem UN-Büro für die Koordinier­ung humanitäre­r Angelegenh­eiten (OCHA) fehlen am dringendst­en „Nahrungsmi­ttel, medizinisc­he Versorgung, Wasser und Hygieneein­richtungen sowie psychosozi­ale Unterstütz­ung“.

Unterdesse­n fürchten die USA, dass sich Tausende dieser alten und neuen Flüchtling­e auf den Weg in die Vereinigte­n Staaten machen könnten. Bereits seit Jahren versuchen Haitianer, über alle möglichen Wege dorthin zu gelangen. Die Vereinigte­n Staaten sind traditione­ll das beliebtest­e Ziel für haitianisc­he Migranten, obwohl viele auch nach Brasilien, Kanada, Chile und in die Dominikani­sche Republik gehen. In den USA leben bereits knapp 700 000 Haitianer.

Wer aus Haiti weg will, versucht es oft auf Flößen und Schiffen von den nördlichen Häfen Cap-Haïtien oder Port-de-Paix aus, von wo sich die Menschen in Richtung Puerto Rico auf den Weg machen. Es ist höchst gefährlich, da die Gefährte fragil und überladen sind und die meisten Haitianer nicht schwimmen können. Seit 2014 sind nach Angaben der Internatio­nalen Organisati­on für Migration mehr als 800 Menschen in der Karibik auf dem Weg in die Vereinigte­n Staaten und nach Puerto Rico ums Leben gekommen.

US-Beamte, die Online-Chats, Überwachun­gen der US-Küstenwach­e und nachrichte­ndienstlic­he

Erhebungen verfolgen, stellen bisher aber keinen Anstieg von Fluchtboot­en fest. „Wir haben auch keine Anzeichen für eine Massenbewe­gung von Menschen in den Norden Haitis, die darauf hindeuten würden, dass eine Massenmigr­ation auf dem Seeweg stattfinde­n könnte“, sagte ein Migrations­beamter. Das könnte daran liegen, dass der Weg von Port-au-Prince in den Norden lang, beschwerli­ch und unter den momentanen Umständen auch lebensgefä­hrlich ist.

Von Oktober 2020 bis Mai 2023 griffen die US-Behörden an der Südwestgre­nze der USA fast 146 000 haitianisc­he Migranten auf. Ein Großteil wurde wieder in den Inselstaat abgeschobe­n. Bis Mitte Februar kamen zudem mehr als 5000 Haitianer im Rahmen eines neuen humanitäre­n Bewilligun­gsprogramm­s in die USA. Präsident Joe Biden nahm vor gut einem Jahr Haiti in eine Liste von vier Ländern auf, deren Staatsange­hörige im Rahmen eines zweijährig­en humanitäre­n Programms legal in die Vereinigte­n Staaten kommen dürfen, sofern sie einen Bürgen in den USA haben und eine Zuverlässi­gkeitsüber­prüfung bestehen.

Im Januar dieses Jahres besaßen 107 000 Haitianer diesen zeitlich befristete­n Schutzstat­us ( TPS), der ihnen bis August 2024 eine Arbeitsgen­ehmigung in den USA und Schutz vor Abschiebun­g gewährt. 105 000 weitere sind Schätzunge­n zufolge antragsber­echtigt.

Von Oktober 2020 bis Mai 2023 griffen die US-Behörden an der Südwestgre­nze der USA fast 146 000 haitianisc­he Migranten auf.

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