Deutsche Bahn verspricht mehr Verlässlichkeit
2024 soll für die Bahn und ihre Fahrgäste das Jahr der Kehrtwende werden. Die seit Jahrzehnten vernachlässigte Infrastruktur wird endlich angegangen. Für den Konzern, die Regierung und fürs Klima steht viel auf dem Spiel.
(dpa) Schlechte Infrastruktur sorgt auf der Schiene für Verspätungen. Das soll sich bei der Bahn bald ändern. Mit Milliardeninvestitionen ins seit Jahrzehnten vernachlässigte Schienennetz wollen der Bund und die Deutsche Bahn die Kehrtwende schaffen. Die Zuverlässigkeit des Schienenverkehrs und damit das Vertrauen der Fahrgäste soll wiederhergestellt werden.
Trotz hoher Unpünktlichkeit – fast zwei Drittel der Fernzüge waren im vergangenen Jahr verspätet unterwegs – nutzen viele Menschen die Bahn. 1,8 Milliarden Fahrgastfahrten verbuchte die Deutsche Bahn 2023 und damit noch einmal knapp sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das Fahrgastniveau von vor der CoronaKrise ist längst übertroffen.
Daran hat auch der laufende Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer nichts geändert, der zuletzt immer wieder zu erheblichen Einschränkungen im Bahnverkehr geführt hat. „Wir sind froh und dankbar und ich darf mich
hier ausdrücklich für die Treue und die Geduld unserer Fahrgäste bedanken, weil wir in den letzten zwei Jahren eben Unpünktlichkeiten und Unzuverlässigkeiten hatten, die eine wirkliche Zumutung waren“, sagte Konzernchef Richard Lutz am Donnerstag bei der Präsentation der Jahresbilanz in Berlin. Hauptgrund für die hohe Unzuverlässigkeit ist das an vielen Stellen überlastete und marode Schienennetz und die damit verbundenen zahlreichen Baustellen. „Im Jahresdurchschnitt fuhr fast jeder zweite Fernverkehrszug durch mindestens eine Baustelle“,
sagte Lutz. Während die Anzahl der Fahrgäste stieg, ging das Angebot aufgrund der hohen Baukapazität zurück. Die Betriebsleistung sank 2023 um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Darum wollen Bahn und Bund in den nächsten Jahren die Infrastruktur grundlegend sanieren. 40 viel befahrene Schienenkorridore sollen bis 2030 ertüchtigt werden. Start ist im Juli auf der 70 Kilometer langen Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim, die dafür ein knappes halbes Jahr vollständig gesperrt wird. Die Hoffnung: Weniger Probleme in
wichtigen Knoten führt auch mehr Verlässlichkeit im Gesamtnetz.
„Wir rechnen mit etwa 80 Prozent weniger Störanfälligkeit als im Moment“, sagte Lutz. Schon im laufenden Jahr soll die Pünktlichkeit im Fernverkehr von zuletzt 64 Prozent auf mindestens 70 Prozent steigen.
Mit solchen Ansagen gehen Bund und Bahn ein großes Risiko ein. Sollten sich die Bauprojekte und die damit verbundenen Vollsperrungen etwa über Gebühr verzögern oder sich die Pünktlichkeit im Anschluss nicht grundlegend verbessern, droht ein weiterer Vertrauensverlust der
Kunden. Das Ziel der Regierung, bis 2030 die Fahrgastzahlen im Fernverkehr im Vergleich zu 2015 zu verdoppeln, stünde auf dem Spiel und mit ihm die Verkehrswende.
Damit das nicht passiert, nimmt der Bund so viel Geld in die Hand wie seit Jahrzehnten nicht. Für Modernisierung und Ausbau des Netzes hat er bis 2030 rund 27 Milliarden Euro zugesichert. Mit Eigenmitteln der Bahn stehen in den nächsten Jahren insgesamt knapp 30 Milliarden Euro für diese Projekte zur Verfügung. Doch die Bahn beziffert den Bedarf auf rund 45 Milliarden Euro. Der
Konzern sei weiter in Gesprächen mit der Regierung, um die Lücke zu schließen, heißt es immer wieder.
Schon im vergangenen Jahr ging die Bahn bei vielen Bauvorhaben in Vorleistung, weil die Finanzierung politisch nicht geklärt war. Sie investierte 2023 demnach rund 7,6 Milliarden Euro aus Eigenmitteln in die Ertüchtigung der Infrastruktur. Das führte zu einem Gewinneinbruch. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) sank auf ein Minus von fast einer Milliarde Euro – nach einem positiven Ergebnis von rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr davor. Wegen der ebenfalls gestiegenen Zinslast machte der Konzern 2023 unterm Strich einen Verlust von 2,4 Milliarden Euro. Die Bahn schleppt zudem Schulden in Höhe von 34 Milliarden Euro mit sich herum.
Um diesen Berg abzubauen, verkauft der Konzern sein Tafelsilber: Für die Logistiktochter DB Schenker wird ein Käufer gesucht. Ein zweistelliger Milliardenbetrag soll herumkommen.
Doch es gibt auch Lichtblicke. Beim Flottenhochlauf kommt die Bahn gut voran. Vor wenigen Wochen wurde der letzte von 137 bestellten ICE-4-Zügen ausgeliefert. Die Fahrzeuge bilden mit insgesamt 105 000 Sitzplätzen das Rückgrat der Fernverkehrsflotte der Bahn. Weitere Baureihen sollen in den nächsten Jahren folgen. Doch ihre Verlässlichkeit hängt vom Netz ab. Alle Augen richten sich deshalb in diesem Jahr auf die Riedbahn. Auch von ihr wird abhängen, ob in Zukunft weiter mehr Menschen in den Zug steigen.