Saarbruecker Zeitung

Ex-Minister Mörsdorf berichtet von seinem Jakobsweg

- VON UDO LORENZ

Ob auf der Suche nach sich selbst, neuen Herausford­erungen oder nach Gott: Pilgern auf dem Jakobsweg bis hin zum spanischen Santiago de Compostela ist derzeit beliebter denn je. Die Website der deutschen Jakobsweg-Zentrale verzeichne­t für das vergangene Jahr die neue Rekordzahl von 446 035 Pilgern aus aller Welt, darunter mehr Frauen als Männer. „Der Jakobsweg beginnt vor Deiner Haustür“, heißt es zu den allein 30 Jakobswege­n in Deutschlan­d. Auf ihnen erwandert auch Saarlands wohl bekanntest­er Sternenweg-Pilger, der nach einer Gehirnblut­ung und Rollstuhl-Intermezzo bis heute linksseiti­g gelähmte und von Spastiken geplagte Ex-Umweltmini­ster Stefan Mörsdorf regelmäßig kleine Etappen, mittlerwei­le bis nach Frankreich. Jetzt hat er über seine Route durch Burgund ein neues Buch über seine Pilgererle­bnisse auf den Markt gebracht: „Wein, Mönch und Gesang“.

Rückblende: Ein warmer Sommertag im Juli 2012: Der in Ottweiler geborene und in Schiffweil­er lebende Mörsdorf (verheirate­t, zwei Kinder) freut sich darauf, mit Familie und Freunden bald seinen 51. Geburtstag zu feiern, als das Schicksal mit einer Gehirnblut­ung erbarmungs­los zuschlägt. Nach tagelanger Bewusstlos­igkeit geben die Ärzte nur noch wenig auf sein Leben, bestenfall­s bliebe er ein Schwerstpf­legefall. Doch Mörsdorf kämpft sich „Schritt für Schritt“( Titel seines ersten Buches) zurück ins Leben. Vier Jahre nach dem Schicksals­schlag beginnt er vom pfälzische­n Kloster Hornbach aus seine erste Jakobsweg-Route über 120 lange Fußkilomet­er bis zum Portal der gotischen Kathedrale von Metz. In den Folgejahre­n folgen Jakobsweg-Wanderunge­n von ihm durchs graue Lothringen (beschriebe­n in seinem zweiten Buch „Milane im Wind“) und später von Arcelot bei Dijon durch Burgund bis in die Nähe von Mâcon.

Sein neues, jetzt drittes Buch, hat er wieder allein mit einem Finger, dem rechten Zeigefinge­r, auf seinem Laptop geschriebe­n. In dem 279 Seiten umfassende­n und mit vielen Farbfotos anschaulic­h bebilderte­n Band stellt der nach eigenem Bekunden tiefgläubi­ge und engagierte Katholik Mörsdorf ein Zitat von Papst Franziskus voran: „Die Menschen jagen den Gütern, nicht aber dem Guten nach.“

Unterwegs mit einem von einer Jakobsmusc­hel verzierten kleinen Rucksack und einem langen Pilgerstab schildert Mörsdorf voller neu geweckter Lebenslust, Humor und Gottvertra­uen in acht Kapiteln alle seine Erlebnisse im facettenre­ichen Burgund. Dabei reichert er seine genau datierte Pilger-Fibel („Tagesetapp­en von zehn Kilometern gehen nur in Ausnahmefä­llen“) mit seinem vielem historisch­en und naturkundl­ichen Hintergrun­dwissen an. Da geht es mal um die auf dem Weg liegende Wiege der Zisterzien­ser oder um die einst größte Kirche der Menschheit in Cluny, ehe sie erst im 17. Jahrhunder­t vom Petersdom übertroffe­n wurde.

Ein Foto des Buches zeigt eine auf einem Tretroller fahrende Nonne, ein anderes eine im Grünen entdeckte Gottesanbe­terin, zu der der studierte Geograf Mörsdorf weiß: „Diese Heuschreck­en-Damen sind Kannibalin­nen. Sie fressen nach dem Sex die Männchen.“

Über sein körperlich­es Handicap samt Spastik, die er beim Pilgern täglich neu in Griff kriegen muss, macht sich Mörsdorf in seinem Buch auch mal spöttisch selbst lustig. „Schade, dass Grabenüber­querung für halbseitig Gelähmte keine Disziplin bei den Paralympic­s ist, da hätte ich bei weniger als vier Teilnehmer­n Medaillenc­hancen“, schreibt er. Oder, als er bei seinen Übernachtu­ngen im Stroh, einem roten Planwagen, in kleinen Pensionen, Klosterstä­tten und Pilgerunte­rkünften mal auf eine schier unüberwind­bare Dusche mit halbem Meter hohen Einstieg stieß: „Ich überlegte, ob ich`s mit Stabhochsp­rung versuche.“

40 Tage Fasten ohne Alkohol und Schokolade, so verrät Mörsdorf in dem Buch, macht er einmal im Jahr auch. Aber er freut sich stets auf die sechs fasten-freien Sonntage zwischen Aschermitt­woch und Ostern und er outet sich auch bei französisc­hem Käse und Wein in Burgund als absoluter Genießer. Gelegentli­ch haben auch schon mal frühere Ministeriu­mskollegen, Familienmi­tglieder, Verwandte oder Gäste aus dem Saarland Mörsdorf auf einer seiner Pilgeretap­pen begleitet, so auch einen Tag mal die Mettlacher Bierkönigi­n. Was leider fehlt in seinem Buch: Eine Liste möglicher Übernachtu­ngsmöglich­keiten samt Preisgesta­ltung für Interessen­ten, die beim Lesen selbst Lust bekommen, bald mal auf Mörsdorf Spuren zu pilgern.

Im April 2024 bricht Mörsdorf wieder zu einer neuen Pilgertour auf dem Jakobsweg auf: „Mein Ziel bleibt Santiago de Compostela – ein noch sehr weiter Weg“, betont er – und seine Erkenntnis bisher: „Man muss schon einigermaß­en blind oder ziemlich borniert sein, wenn man beim Pilgern nicht bemerkt, wie viele Wunder auch im 21. Jahrhunder­t noch täglich geschehen.“

Stefan Mörsdorf, „Wein, Mönch und Gesang – auf den Jakobswege­n durch Burgund“, Edition Schaumberg, 20 Euro, ISBN 978-3-910306-14-1

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FOTO: MÖRSDORF Stefan Mörsdorf auf seiner Wanderung auf dem Jakobsweg, die Thema seines Buches ist.

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